Astrid Diepes

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Es sprießt aus allen Ritzen Guerilla Gardening und Urbanes Gärtnern in Stuttgart

Es sprießt aus allen Ritzen

Guerilla Gardening und Urbanes Gärtnern in Stuttgart
Text: 
Astrid Diepes
6. August 2014

Ihr habt Lust auf Gartenarbeit im Allgemeinen und auf leckeres, frisches Gemüse und bunte Blumen im Besonderen, aber das eigene Gartengrundstück fehlt? Die Trends Guerilla Gardening und Urbanes Gärtnern bieten Großstädtern mit grünem Daumen Abhilfe. In Stuttgart gibt es verschiedene offizielle Projekte zum Urbanen Gärtnern, von denen ich in diesem Artikel einige vorstellen werde. Guerilla Gardening hingegen zeichnet sich dadurch aus, dass die Guerilla-Gärtner unerlaubt Pflanzen auf Grundstücken anbauen, die ihnen nicht gehören. Der Brite Richard Reynolds, Verfasser des botanischen Manifests "Guerilla Gardening", bezeichnet diesen Kampf für schönere Städte als "eine Schlacht, in der Blumen die Munition sind".

 

Urbanes Gärtnern in der Stuttgarter Altstadt (Bild: Astrid Diepes)

Dabei ist Guerilla Gardening keine neue Erfindung. In der Geschichte wurde Hunger oft durch unerlaubten Gemüseanbau aktiv bekämpft. 1649 gründete der verarmte Textilfabrikant Gerrard Winstanley in Surrey in England die Bewegung der "Diggers" (zu Deutsch: Buddler). Auf dem St. George’s Hill bauten diese Männer und Frauen Karotten, Pastinaken, Gerste und Bohnen an. Winstanley wollte damit gegen die ungerechten Landgesetze vorgehen. Denn er war der Meinung, dass niemand mehr Land besitzen sollte als er selbst bewirtschaften kann. Es gibt genügend Beispiele in der Geschichte, in denen Gemüse und Obst angebaut wurde, um gegen Armut vorzugehen. Auch eine politische Botschaft spielt oft eine große Rolle. Dagegen ist der Begriff "Guerilla Gardening" neuer. Er wurde 1973 in New York erstmals von Liz Christy und ihrer Gruppe von Gärtnern verwendet. Noch heute ist sie eine der bekanntesten Guerilleras und der Liz Christy Community Garden in New York ist nach ihr benannt.

Gemüsebeet auf dem Parkhaus Züblin bei der Stuttgarter Leonhardskirche (Bild: Astrid Diepes)

Heute teilen sich die Guerilla-Gärtner in zwei Gruppen: in Nutz- und in Ziergärtner. Während einige sich mit Gemüse selbstversorgen wollen, haben andere die Verschönerung ihrer Städte zum Ziel. Mit selbstgebastelten Samenbomben bringen sie Farbe in die Tristesse der grauen Stadt. Dafür mischt man ganz einfach drei Teile Kompost mit fünf Teilen roter Tonerde, einem Teil Wasser und einem Teil Samen. Daraus werden kleine "Bomben", also Kügelchen geformt. Nach zwei Tagen sind diese fest genug, um sie unauffällig in der Stadt an Straßenrändern, Kreisverkehren, Mittelstreifen oder auf brachliegenden Flächen zu verteilen. Da Guerilla-Gardening streng genommen eine Straftat ist (juristisch fällt es unter Sachbeschädigung, auch wenn es meist nicht geahndet wird und oft sogar begrüßt), ist das wohl die ungefährlichste Methode. Viele Gärtner widmen sich jedoch auch ganzen Grundstücken. Sie befreien diese von Unkraut und pflanzen Bäume und Sträucher oder bauen Gemüse an. Dadurch entstehen oft soziale Gruppen und die Bewohner der Stadtviertel wachsen enger zusammen.

Blumen und Kräuter der Initiative des Vereins Ebene 0 e. V. (Bild: Astrid Diepes)

Wem das Risiko des Guerilla Gardenings zu groß ist, für den gibt es in Stuttgart viele andere Möglichkeiten. Das Ehepaar Eva und Stefan Grubmiller hat gemeinsam das Projekt deinbeet.de gestartet, denn beide lieben die Natur und das Gärtnern. Stefan ist Gärtnermeister, Eva hat Geoökologie studiert. Mit "Dein Beet" geben sie auch anderen die Möglichkeit, eigenes Gemüse zu ernten. Das Besondere dabei ist, dass dem Mieter schwere Arbeiten wie Bodenbearbeitung und Bepflanzung abgenommen werden. Die Parzelle wird nur für eine Saison gemietet und der Mieter pflegt das Beet und erntet selbst. Für ein 96 Quadratmeter großes Grundstück, das für eine bis drei Personen ausreicht, beträgt der Saisonbeitrag derzeit 270 Euro – dabei ist neben Jungpflanzen, Saatgut, Gartengeräten, Bewässerung und Dünger auch eine fachmännische Beratung engeschlossen. Natürlich kann man sich das Grundstück samt Kosten und Ernte auch mit mehreren Freunden teilen. Wer weitere Fragen hat, erreicht die Grubmillers per Email an info@deinbeet.de 

Gemüseernte einer Parzelle von deinbeet.de (Bild: DeinBeet)

Ein ähnliches Projekt ist meine-ernte.de. Dabei werden deutschlandweit an 24 Standorten Gemüsegärten in Stadtnähe vermietet. Die "Stuttgarter" Gemüsegärten befinden sich in Mühlhausen und Möhringen. Von Anfang Mai bis in den November hinein steht den Mietern ihr Grundstück zur Verfügung. Auch hier sind die Grundstücke schon bepflanzt. Blumen und über 20 Gemüsesorten garantieren einen aktiven Beitrag zum Klimaschutz und frische, vitaminreiche Nahrung. Dem Nutzer stehen zudem professionelle Beratung, Gartengeräte und Wasser zu. 45 Quadratmeter kosten hier 179 Euro pro Saison. Bei meine-ernte.de können jedoch auch Grundstücksbesitzer eine Gemüsegarten-Box für den eigenen Garten bestellen – Genaueres dazu auf der Homepage.

Das Projekt "InselGRÜN" in Bad Cannstatt freut sich über jeden weiteren Aktiven. Dort wachsen Kräuter, Gemüse und Blumen in alten PET-Flaschen, selbstgezimmerten Hochbeeten und ausrangierten Einkaufswägen. Seit Oktober 2012 gestalten Birgit Haas, Deborah Brinkschulte und ihre Mitstreiter das Gelände beim Club Zollamt mit ihren kreativen Ideen und experimentieren auch mit alten Gemüsesorten für eine hohe Sortenvielfalt. Das frühere Industriegelände eines ehemaligen Güterbahnhofs wird dabei Schritt für Schritt in eine grüne Insel verwandelt. Neben dem Spaß an der Sache und dem Gemeinschaftsgefühl bringt das urbane Gärtnern auch jede Menge für das Stadtklima: die Pflanzen filtern auf natürliche Weise die Luft und das Gelände wird zur Heimat für verschiedene Tierarten.

Die Initiative des Vereins Ebene 0 e. V. wertet unter der Leitung von Daniel Zürn die Gegend rund um das Parkhaus Züblin auf. Das Parkhausdach in der ehemals etwas anrüchigen Gegend in der Nähe des Bohnenviertels erblüht mittlerweile in neuem Glanz. Dieses Jahr pflegen bereits 150 Stuttgarter Hobbygärtner mit insgesamt 75 Hochbeeten den Dachgarten. Letzten Sommer waren es noch 90 Gärtner und Gärtnerinnen. Erfreulich ist auch der interkulturelle Aspekt dieses Projekts, denn jeder ist willkommen – egal wie alt oder welcher Nationalität er ist. Das oberste Stockwerk des Parkhauses lädt mit den Beeten, der gesponserten Erde und den selbstinstallierten Sitzmöglichkeiten auch zum geselligen Zusammensein ein. Nirgends sonst ist das Gemüse so frisch und vitaminreich wie bei der eigenen Anzucht. Der Parkhausbetreiber Hüfner ist so begeistert von der Idee, dass er den Stadtgärtnern neben der Fläche sogar kostenlos Wassertanks zur Verfügung stellt. 

Tomatenernte beim Projekt InselGRÜN in Bad Cannstatt (Bild: Deborah Brinkschulte)

Erfolgreiche Guerilla-Gardening-Projekte werden oft nach einiger Zeit offiziell genehmigt. Alexander Schmid ist Koordinator für urbanes Gärtnern beim Amt für Stadtplanung und Stadterneuerung in Stuttgart. Er hofft, dass zukünftig viele weitere Gartenprojekte in Stuttgart entstehen. "Initiativgruppen sollen künftig gefördert werden, um möglichst schnell und sinnvoll in die Umsetzungsphase zu kommen", sagt Schmid. "Unser Ziel ist es, die Barrieren für bestehende und kommende Projekte zu senken. Schon heute tragen urbane Gärten zu Kultur, Bildung und Verständnis bei, stellen einen ökologischen Mehrwert dar und bieten Raum für Engagement und Beteiligung in Stuttgart." Jeder, der sich ein Stück Natur in die Stadt holen möchte, kann selbst aktiv werden und einer Gruppe beitreten oder mit Freunden und Bekannten eine eigene Initiative gründen.


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