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Dealer zur Cannabislegalisierung: Guten Tag, Herr Dealer

Zehn Uhr morgens. Er steht an einer Berliner U-Bahn-Station und wartet. Sonnenbrille, Kapuze über dem Kopf und eine blaue Jeans. Der Dealer. Um die 30 Jahre ist er alt. "Kleidest du dich so, weil du nicht erkannt werden willst?", frage ich ihn. "Nein, ich ziehe mich immer so an." Ein unscheinbarer Typ. Er begrüßt mich mit der Faust. Ich erwidere. Wir laufen um den Block. Er will mich erst mal abchecken, bevor wir zu ihm gehen. Sicherheitsüberprüfung. "Du kümmerst dich schon darum, dass man mich nicht in der ZEIT erkennt, oder?", fragt er. "Niemand wird dich in der Zeitung erkennen", antworte ich. In diesem Text heißt er der Dealer. Und der Dealer, er lebt in Berlin.

Viel hatte man nicht mitbekommen aus den Verhandlungen der künftigen Koalitionspartner SPD, FDP und Grüne. Aber eines wohl: Der Cannabis-Verkauf soll legal werden. Alles schön und gut. Für die Konsumenten zumindest. Aber was passiert dann mit den Dealern? Verschwinden sie? Gilt die organisierte Kriminalität bald als besiegt? Eröffnen alle Dealer Cannabis-Shops? Riecht es in zwei Jahren überall nach Gras?

Der Dealer ist keiner von denen, die im Görlitzer Park in Kreuzberg Gras an Spaziergänger und Touristen verkaufen, die bei Polizei-Razzien rennen. Er dealt jetzt schon so, als hätte er einen Laden in Amsterdam und nicht in Berlin. Er bezeichnet sich selbst als Cannaisseur. Ein Connaisseur, ein Cannabis-Kenner. Er lebt irgendwo in Berlin in einem Viertel, das man als gutbürgerlich und wohlsituiert bezeichnen kann. Alle paar Tage schaut er nach, ob sich wieder etwas bei der Cannabis-Legalisierung tut. Er hört Nachrichten. Radiosendungen. Podcasts wie Lage der Nation. Oder Wissenspodcasts. Den Koalitionsvertrag hat er gespannt erwartet.

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Bevor wir das Mietshaus betreten, in dem er wohnt, gibt der Dealer zu verstehen, dass wir im Flur nicht über seine Arbeit, übers Dealen, reden können. Mit den Nachbarn will er sich gut stellen. Sie sind sein größtes Risiko, sagt er. Sie beobachten. Sie sehen, riechen und hören alles, fürchtet er.

Seine Wohnungstür ist reich verziert, Jugendstil. Das hier könnte auch die Einzimmerwohnung eines Studenten sein. Ein Bett, Schwarz-Weiß-Fotos von Plattenbauten an der Wand, eine schwarze Ledercouch, ein Fernsehtisch aus Holz, ein großer Fernseher.

Es liegt keine dreckige Wäsche rum, es gibt kein abgedunkeltes Zimmer, in dem UV-Lampen die Cannabis-Pflanzen großziehen. Und: Es riecht nicht nach , der süßlich penetrante Geruch, der an billiges Drogerie-Parfum erinnert, er fehlt.

"Warum riecht es hier nicht nach Gras?", frage ich. Er streckt sich zum Schrank und holt eine Tupperdose runter, darin eine weiße klebrige Masse. "Geruchsneutralisator", sagt er. "Ich sorge vor." Die Masse füllt er regelmäßig aus einem Baumarkt-Eimerchen nach.

Vor 15 Jahren, als der Dealer noch kein Dealer war, hat er mit dem Kiffen angefangen, in einem kleinen Dorf im Osten Deutschlands. Mehr soll hier nicht stehen, wie er überhaupt darum bittet, mit persönlichen Informationen extrem behutsam umzugehen. Noch ist das ja alles verboten.

Eine Komödie aus Großbritannien hat ihn zum Cannabis gebracht, sagt er: Grasgeflüster. Danach wollte er auch rauchen. Einen Görlitzer Park gab es auf dem Dorf nicht. Aber ein paar Hip-Hopper "mit ihren hängenden Hosen". Die ersten Male haben sie in der Gartenlaube der Großeltern eines Freundes gekifft.

Grasgeflüster handelt von der Orchideenzüchterin Grace. Sie erbt von ihrem verstorbenen Mann einen Haufen Schulden. Ihr viel bekiffter Gärtner bringt sie auf eine Idee: statt Orchideen pflanzen. So gelingt es ihr, die Schulden zurückzuzahlen. Die Gleichung scheint einfach: Marihuana + Kunden = Geld. "Ich hatte fast gar kein Taschengeld." Höchstens habe er mal Zeitungen ausgefahren. "Deshalb hat mich das damals so fasziniert." Er wollte Geld verdienen wie die Frau in diesem Film: "Es fühlte sich einfach richtig an."

Seinen Berufseinstieg mit 16 beschreibt er so: "Je mehr man kennt, die verkaufen und konsumieren, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass man irgendwann jemanden trifft, der jemanden kennt, der gutes Zeug hat." Über einen Bekannten traf er einen Dealer, der sein Cannabis aus den Niederlanden importierte. Und einen, der irgendwo in Berlin selbst anbaute.

Seiner Mutter versprach er, nicht zu viel zu kiffen. Ein Versprechen, das er nicht an jedem Wochenende halten konnte. Heute weiß sie von dem Geschäft. Sie akzeptiert es. Vielleicht auch, weil sie weiß, dass er selbst sehr kontrolliert kifft mittlerweile. Drei, vier Joints in der Woche, sagt er.

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