3 subscriptions and 6 subscribers
Article

Vater und Mutter erzählen, wie sie Gewalt im Kreißsaal erlebten

Gewalt im Kreißsaal findet allgegenwärtig in österreichischen Krankenhäusern statt. Wir haben mit einer Familie gesprochen, die uns von traumatischen Vorgängen berichtete. Ein Protokoll.

von Arnika Zinke am 24.11.2018, 18.17 Uhr

Warnung: Dieser Artikel enthält Darstellungen von psychischer und physischer Gewalt und kann (re-)traumatisierend sein.

 

Im Februar 2018 widmete sich die WIENERIN erstmals dem Thema "Gewalt im Kreißsaal". Einem traurigen Phänomen, das, wie sich zeigte, auch in Österreich seit Jahrzehnten Realität ist. Im Laufe der folgenden Monate meldeten sich über 50 Frauen (zum Teil anonym) bei der WIENERIN, um von ihren erschreckenden Erfahrungen zu berichten. Erfahrungen, die nicht nur medizinisch, sondern auch menschlich Fragen aufwarfen. Die WIENERIN machte sich auf die Suche nach Antworten. Sprach mit Krankenhäusern, Hebammen, Lehrgangsleiterinnen und BeamtInnen, um der Hauptfrage dieser bedrückenden Erzählungen auf den Grund zu gehen: Wie konnte das passieren? Und noch wichtiger: Wie können wir das in Zukunft verhindern?

Eines ist klar: Erst, wenn Missstände aufgezeigt werden, kann Veränderung stattfinden. Viele jener Frauen, die Gewalt im Kreißsaal erfuhren, zeigten die Vorfälle nie an, sprachen nie darüber. Die Missstände, die sie erfuhren, blieben meist folgenlos. Das führte dazu, dass lange Zeit auch in entsprechenden Institutionen kein Verständnis für die Problematik verhanden war. Auf Anfrage der WIENERIN erklärte der Verbund der Wiener Krankenanstalten KAVnoch vor einigen Monaten, dass man über Gewalt im Kreißsaal kaum Beschwerden und Fälle vorliegen hätte - ähnlich argumentierte die Patientenanwaltschaft.

 

Eine Erfahrung, die auch Olivia* und Thomas* machten. Nach einem traumatisierenden Erlebnis im Kreißsaal wandten sich die beiden zuerst an den behandelden Arzt und später an die Patientenanwaltschaft. Die Reaktionen waren letztlich enttäuschend und zeigen: Hier ist noch viel zu tun. Die WIENERIN traf das Paar nun zum Gespräch. In einem Protokoll schildert neben der Mutter mit Thomas erstmals auch ein Vater seine Erlebnisse. Erlebnisse, die für das Paar nicht folgenlos blieben.

Olivia & Thomas: Protokoll einer Geburt

Olivia: "Als ich nach meinem Blasensprung ins Krankenhaus kam und aufgenommen wurde, war der Muttermund bereits 4cm offen. Meinem Mann, Thomas, und mir wurde signalisiert, dass an diesem Abend „nichts mehr ginge“. Thomas wurde daraufhin nach Hause geschickt. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon Wehen und Schmerzen. Erst am nächsten Tag kam ich in den Kreißsaal. Die Wehen waren so stark, dass ich nicht mehr damit umgehen konnte. Bei jeder Wehe fühlte ich mich so überrollt, dass ich mich nur noch winden konnte.

Thomas: Wir warteten über eine Stunde bis der Anästhesist endlich kam -im Geburtsprotokoll steht, dass die Ärzte gerade bei einer Operation waren. Er hatte einen ziemlich roten Kopf. Ich wurde die ganze Zeit das Gefühl nicht los, dass er etwas getrunken hatte. Dann ging die PDA los und er stach meiner Frau in den Rücken hinein. Ein paar Minuten später zog er den Katheter wieder heraus. Ich sah nur das verdutzte Gesicht der Hebamme als sie sah, wie Flüssigkeit aus dem Rücken meiner Frau austrat. Mittlerweile wissen wir: Wenn während dem Stich zu tief gestochen wird, kann eine Schicht vom Rückenmark verletzt werden, dann tritt Nerven-Flüssigkeit aus. Ein paar Minuten später fing dasselbe Spiel von vorne an. Es tropfte wieder heraus, blutete. Was genau vorging, können wir nur mutmaßen, man hat uns über die Vorgehensweise nicht informiert. Der Anästhesist hat es auch nicht kommentiert.

O: Die PDA brachte eine kurze Erleichterung, aber nicht lange. Kurze Zeit später kam dann eine neue Hebamme (Schichtwechsel), die sich endlich mehr um uns bemühte. Wir versuchten mit ihr verschiedene Geburts-Positionen auszuprobieren, dazwischen kippte ich immer wieder. Der Muttermund war mittlerweile schon ganz offen, die Geburt wollte aber einfach nicht weiter voranschreiten. Dann ging die Tür auf und der Arzt kam hinein. Er meinte "das geht jetzt zu lange, wir müssen etwas tun". Er wollte eine "Saugglockengeburt" machen, die Hebamme war damit überhaupt nicht einverstanden. Die beiden fingen an vor uns zu diskutieren. Der Arzt wollte von seinem Standpunkt nicht weichen, ich hatte das Gefühl, dass er sehr viel Hektik und Panik im Kreißsaal verbreitete. Irgendwann meinte er dann: "Na gut, dann Kristeller*". Ich bekam die Anweisung bei der nächsten Wehe tief einzuatmen, die Luft zu halten und zu pressen so viel es geht – mehr hat er dazu, was gleich passieren würde, nicht gesagt. Es kam zur Wehe, ich tat, was sie sagten und der Arzt schmiss sich mit einer großen Wucht auf meinen Bauch. Ich brüllte. Die Wehen waren unglaublich schmerzhaft und dann noch dieser Druck und dieser Aufprall. Der Arzt fuhr mich daraufhin an und sagte: "Ich will keinen Ton hören, die Kraft brauchen wir da unten". Ich habe mich in dem Moment so beschämt gefühlt.

*Vorgang des “Kristellerns” - ein Handgriff, den der Geburtshelfer Samuel Kristeller (1820-1900) 1867 entwickelte, um die Geburt in der letzten Geburtsphase zu beschleunigen. Dabei wird kräftiger Druck auf den oberen Teil der Gebärmutter ausgeübt. Das Problem: die Frauen werden im Vorhinein oft nicht darüber informiert, der Kristeller-Handgriff passiert also plötzlich und unerwartet. Der Griff gilt in der Geburtshilfe als umstritten. Mehr dazu hier.

T: Der Arzt hat diesen Vorgang noch zwei oder dreimal wiederholt. Es war echt so schlimm, mitanzusehen, wie da meiner Frau wehgetan wird. Ohne, dass man irgendetwas dazu erklärt bekommt. Ich habe erst im Nachhinein gelesen, dass man das eigentlich nicht ‚so‘ machen darf, wenn man es nicht richtig kann. Man kann dabei die Mutter und das Kind verletzen. Er hat sich einfach in der Panik auf sie hinaufgeworfen und eigentlich nichts damit erreicht. Bis dann die Hebamme endlich die Oberärztin angefordert hat.

O: Ich erinnere mich noch, wie die Oberärztin intervenierte und meinte: "Schluss jetzt". Sie erklärte mir den Vorgang dann das erste Mal richtig und klärte mich über die Folgen auf. Sie hat nichts schöngeredet. Ein-, zwei-, dreimal führte sie den Griff noch durch – aber gelenkt und mit Gefühl. Und dann war meine Tochter da.

T: Wir forderten den Geburtsbericht im Nachhinein, auf Anraten unserer (Haus-)Hebamme, an. Sie war verwundert darüber, dass überhaupt der Kristeller-Griff zum Einsatz kam. Die Herztöne des Kindes waren ja in Ordnung. Erst als wir den Bericht bekamen, haben wir darin gelesen, dass die Herztöne angeblich nicht in Ordnung waren und, dass wir vor dem Kristellern über den Vorgang aufgeklärt wurden. Das stimmt nicht.

Gewalt im Kreissaal
© iStock

O: Einen ganzen Tag oder fast 24 Stunden dauerte das alles. Der Arzt war ein junger Assistenzarzt, der seine Unsicherheit mit sehr bestimmendem Gehabe überspielte. Er vermittelte mir gegenüber kein Gefühl der Menschlichkeit. Im Anschluss an die Geburt wurde ich von ihm genäht, ich hatte mehrere Risse innen und außen. Die Naht hat nicht gehalten, ich blutete. Immer wieder schmiss er währenddessen die Nerven, irgendwann kam dann die Oberärztin dazu. Weil ich auch einen Riss zwischen Scheide und After hatte, wurde mir mehrfach unangekündigt der Finger in den After gesteckt – wahrscheinlich war das medizinisch notwendig, darüber aufgeklärt wurde ich nicht. Man wird behandelt, als wenn man gar nicht anwesend ist. Als wäre man eine Gebärmaschine.

T: Ich bin danach monatelang in Therapie gegangen. Es war echt ein Horror zu sehen, dass so mit meiner Frau und mit Menschen im Allgemeinen umgegangen wird. Ich habe mich dafür geschämt nicht dazwischen gegangen zu sein. Jetzt weiß ich, dass ich etwas tun kann. Ich kann für sie da sein und mitlenken. Man muss sich das nicht gefallen lassen. Hätten wir diesen Kristellergriff auf menschliche Art erklärt bekommen, dann hätten wir uns ein bisschen darauf einstellen können. Aber da wurde mit einer derartigen Unfreundlichkeit, Grobheit und Unmenschlichkeit vorgegangen -  und dann sagt der Arzt auch noch "ich will nichts von dir hören". Das geht einfach nicht.

O: Das Bild, das ich von dieser Geburtenstation mitbekam, war, dass die Menschen dort abgestumpft und genervt sind. Das beste Beispiel ist wohl der behandelnde Assistenzarzt, der mich einige Zeit nach der Geburt wegen starker Blutungen erneut untersuchte und mir doch ernsthaft die Frage stellte, ob ich Geburtsverletzungen hätte. Jener Arzt, der sich auf mich geschmissen und mich anschließend erfolglos zuzunähen versuchte, konnte sich nicht einmal mehr an mich erinnern. Es sind sicherlich keine schlechten Menschen, die auf solchen Stationen arbeiten. Sie sind überlastet und es liegt auch am System. Aber ein System machen auch wir Menschen und wir müssen etwas daran ändern, wenn Dinge so katastrophal laufen.

T: Zwei Monate nach der Geburt schrieb ich dem Arzt noch einen Brief und konfrontierte ihn mit den Geschehnissen. Als Antwort erhielten wir eine lange Stellungnahme- für jede Intervention wurde ein Grund gefunden. Der Brief endete mit der sinngemäßen Aussage  "seien Sie froh, ein gesundes Kind zu haben". Das rechtfertigt dann wohl alles, was geschehen ist. Auf die kritisierten Punkte hinsichtlich der fehlenden Menschlichkeit ging er nicht ein.

O: Dieses Jahr, also ein Jahr nach der Geburt unserer Tochter, entschied ich mich dazu der Patientenanwaltschaft zu schreiben. Leider erwarteten wir uns von der Patientenanwaltschaft mehr, als wir bekommen haben: Hätte es bei uns die Komplikation mit der PDA nicht gegeben, dann wäre unser Fall wahrscheinlich gar nicht weiter verfolgt worden. Unsere Beschwerde wurde, nun über die Patientenanwaltschaft, wieder an den ärztlichen Leiter weitergeleitet. Der wiederholte, was er sowieso schon meinem Mann geschrieben hatte. Weder wurde auf uns eingegangen, noch anerkannt, welche Belastungen das für uns zur Folge hatte.

Früher habe ich mich immer gewundert, wie es sein kann, dass Frauen sich extra für die Geburt zusatzversichern lassen. Ich kann es jetzt nachvollziehen. Und wir überlegen es auch. Aber das kann nicht die Lösung sein. Dass alle, die es sich irgendwie leisten können, sich zusatzversichern, damit sie wieder die menschliche Behandlung bekommen, die ihnen zusteht. Und wenn es um's Gebären geht, dann braucht es ein Umfeld, in dem man sich wohlfühlt. Das sollte selbstverständlich sein.

Ich verstehe, dass es schwer ist, darüber zu sprechen. Ich würde mir wünschen, dass Frauen die Scham ablegen und einen offenen Diskurs darüber führen - das kann sehr ermächtigend sein. Ich bin sonst auch nicht jemand, der sich gern aufregt. Aber nachdem ich die ganzen Berichte in der WIENERIN gelesen habe und wir selbst so abgewimmelt wurden, habe ich mir gedacht: Das kann’s einfach nicht sein.“

 

*Auf Wunsch wurden die Namen von der Redaktion geändert.

Roses Revolution Day

Der “Roses Revolution Day” schenkt Frauen Aufmerksamkeit, die Opfer von Gewalt im Kreißsaal wurden. Jährlich werden Betroffene am 25. November dazu aufgerufen, Rosen an jenem Ort niederzulegen, an dem sie Gewalt erfahren haben. Auch in Österreich beteiligen sich seit einigen Jahren immer mehr Frauen (und/oder betroffene PartnerInnen) an der Aktion. Die Beweisbilder von den mit Rosen beschmückten Krankenhausfluren werden anschließend auf der Facebook-Seite der Initiative hochgeladen. 

Original