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#egalgewicht: "Wir brauchen viel mehr als den Body-Positivity-Trend"

Alexandra Stanić und Jaqueline Scheiber (" Minusgold") beschäftigen sich auf Instagram fast täglich mit dem Thema Body Positivity.

Während Stanić mit ihren Fotoprojekten #viegirlgang und #youngrebels (junge) Wienerinnen vor den Vorhang holt ( alexandrastanic.com) und ihre Geschichten auf Bildern und in Worten festhält, erzählt Scheiber auf ihrem Instagram-Account "minusgold" ihre ganz persönliche Geschichte auf dem Weg zu mehr Selbstliebe und Akzeptanz.

Für den WIENERIN Schwerpunkt #egalgewicht trafen wir die beiden, sprachen mit ihnen über Schönheitsideale und haben herausgefunden, warum dicke Menschen in der Werbung kein ungesundes Körperbild vermitteln.

Warum ist Body Positivity ein Anliegen, das ihr so stark öffentlich auf Instagram und euren Blogs thematisiert?

Alexandra Stanić: Mir ist im Laufe meiner Arbeit in der Kreativszene als Journalistin und Fotografin irgendwann aufgefallen, dass ich immer nur die gleichen, perfekt aussehenden, super dünnen Frauen in der Werbung oder unter Bloggern und Influencern gesehen habe. Da wollte ich etwas ändern. So ist die Idee zu meinem #girlpower Projekt entstanden. Ich wollte jene Frauen vor den Vorhang holen, die sonst nicht so präsent sind. Ich wollte zeigen, dass sie voll ok sind, so wie sie sind und dass sie sich selbst lieben sollen. Das ist mir das Wichtigste.

Jaqueline Scheiber: Für mich war es eher ein persönlicher Prozess. Ich habe immer damit zu kämpfen gehabt, dass ich nicht in das klassische Schönheitsideal passte. Vor einem Jahr wog ich noch deutlich mehr als heute, noch dazu habe ich schiefe Zähne, hatte unreine Haut, Dehnungsstreifen. Da war immer diese Diskrepanz - weil ich irgendwo hineinpassen wollte, aber mir bewusst war, dass es für mich nicht möglich war. Durch Instagram und die Body Positivity Bewegung, wurde mir langsam bewusst, dass es ok ist, wie ich bin. Dieses Körperbewusstsein so öffentlich hinauszutragen, war dann eine Art Selbst-Empowerment für mich. Ich dachte: Wenn ich selbstbewusst damit umgehe, bin ich abgeschirmt von Leuten, die etwas an mir kritisieren. Weil ich es ja cool finde. Damit sage ich nicht, dass es für mich an allen Tagen so cool und voll super ist - aber es war für meine persönliche Entwicklung sehr wichtig.

Also war die öffentliche Thematisierung eine Art Selbstschutz für dich?

Scheiber: Genau. Es war ein Selbstschutz, der sich irgendwann in ein Selbstbewusstsein umgewandelt hat. Und dadurch, dass ich akzeptiert habe von unvorteilhaften Winkeln fotografiert zu werden oder Sachen zu zeigen, die nicht so schön sind, habe ich begonnen zu merken, dass ich ja wie ein Mensch aussehe. Und das sollte der einzige Anspruch sein.

Stanić: Ich glaube, das Problem ist, dass uns von klein auf, vor allem uns Frauen, gesagt wird: Du bist nur dann gut, wenn du schlank und schön bist. Du wächst in dem Bewusstsein auf, dass alles gut ist, solange du schön bist. Ich habe nie ein Kompliment dafür bekommen, dass ich gut Volleyball spielen kann - sondern dafür, wie schön meine Locken sind. Und damit bin ich dann im Teenager-Alter aufgewachsen. Ich glaube, genau deswegen ist es so wichtig, dass es Menschen wie Jaqueline, oder in weiterer Folge auch mich, gibt, die Mädchen zeigen: Du musst nicht zwanghaft einem Schönheitsideal entsprechen, um ein glücklicher Mensch zu sein. Ich glaube nicht, dass ein Model, dass 90-60-90 Maße hat, glücklicher ist als andere Menschen - auch, wenn sie auf Instagram so tun.

Scheiber: Ja und wir müssen den Zwang beenden, ständig schön sein zu wollen. Wenn ich in der Früh aus dem Bett steige, muss ich nicht schön ausschauen. Ich kann scheiße aussehen. Aber das ist egal.

Man könnte natürlich an dieser Stelle sowieso gängige Schönheitsideale als solches hinterfragen. Wer sagt, was schön ist?

Stanić: Ich habe vor kurzem dazu einen Wutbrief auf meinem Blog geschrieben. Ich gebe da den Marketing-Menschen, Werbeagenturen, Modefotografen und Agenturen und allen, die mit "in 10 Tagen kannst du aussehen wie Cameron Diaz" dieses Schönheitsbild konstruieren, sehr viel Schuld.

Scheiber: Ich finde es sehr prekär, dass uns immer suggeriert wird, dass wir unseren Körper zu optimieren haben, um irgendwo reinzupassen. Ich hab meine erste Diät gemacht, da war ich sieben Jahre alt. Und zwar aus eigenen Stücken - nicht weil mich irgendjemand dazu gezwungen hätte. Das ist irre! Zu glauben, dass man drei Tage Sauerkraut essen muss, um schön zu sein...

Stanić: Ich glaube, meistens steckt der Druck dahinter, gesellschaftlich dazugehören zu wollen. Uns wird immer suggeriert: Wenn du dünn bist, bist du gesund - das ist ein Blödsinn. Ich kann mich noch genau an diesen Moment erinnern, als ich an dem Punkt war wo ich mich selbst gehasst habe. Ich war 15 oder 16 und mit meiner Schwester auf Urlaub. Sie hat ein Foto von mir gemacht und als ich das Bild sah, habe ich mich plötzlich so fett gefühlt. Bis zu dem Zeitpunkt habe ich von mir gedacht, dass ich eigentlich ganz ok bin. Und ab diesem Zeitpunkt hatte ich das Gefühl, dass meine Beine, mein Bauch oder meine Arme zu fett waren. Ständig hatte ich das Gefühl, dass irgendetwas an mir nicht passt und es hat sehr lange gedauert, bis ich begriffen habe, dass dem nicht so ist. Und es ist nicht nur so, dass unsere Generation darunter leidet. Die nächste ist ja genauso arm dran! Ich habe für mein Fotoprojekt #youngrebels einige junge Mädchen interviewt, die auch das Problem hatten, sich nie schön genug zu fühlen und die ein bisschen abnehmen wollten. Viele von ihnen sind dann in eine Essstörung hineingerutscht oder haben begonnen, sich selbst zu verletzen. Es ist also nicht so, dass das irgendwann aufhört. Oder, dass dieser Body Positivity Trend auf Instagram ausreicht. Nein. Er reicht nicht. Wir brauchen mehr. Staatliche Regulierungen gegen Magermodels und sexistische Werbung. Da reichen Trends, so gut sie sind, nicht aus.

Hast du im Gespräch mit den jungen Mädchen das Gefühl gehabt, dass Instagram da einen großen Einfluss auf sie geübt hat?

Stanić: Ja, es geht ins Positive aber auch ins Negative. Es gibt tausende Accounts, auf denen du Anleitungen und Fotos findest, wie du dich selbst verletzt. Oder WhatsApp-Gruppen, in denen sich magersüchtige Mädchen austauschen und sich mit dünnen Fotos gegenseitig pushen. Viele drucken sich auch diese Fotos aus und hängen sich das ins Zimmer.

Wenn ihr derzeit auf euren Instagram Feed geht. Welche Gefühle lösen die Postings darin in euch aus?

Scheiber: Ich glaube, man erschafft sich seine eigene Blase. Man kreiert ein Umfeld aus Leuten, die einem wichtig sind, die inspirieren und authentisch sind, die mir ein positives Feedback geben. Das kommt, glaube ich, mit einem gewissen Selbstbewusstsein. Weil man nicht mehr versucht, sich selbst zu optimieren, sondern bewusst nach etwas sucht, das den eigenen Horizont erweitert.

Stanić: Das ist bei mir genauso. Wenn ich Instagram öffne, sind da viele starke Frauen, die sich auch in ihren schwächsten Momenten zeigen, die sich gegenseitig unterstützen oder sich liebe Nachrichten schreiben. Und ich habe mir angewöhnt, einmal im Monat auch allen Leuten zu entfolgen, die mich runterziehen.

Body Positivity ist ja mittlerweile nicht nur einem kleinen Kreis auf Instagram bekannt, sondern wird auch von großen Firmen wie H&M oder ASOS aufgegriffen. Nimmt ihr diesen Konzernen das Engagement für die Bewegung ab?

Stanić: Gar nicht. Dass H&M, ein Unternehmen, das unter den ärgsten Bedingungen von jungen Mädchen T-Shirts produzieren lässt, auf seine Sprüche Dinge wie Girl Power drauf schreibt... Ich glaub da brauch ich gar nichts mehr dazu sagen. Grundsätzlich finde ich den Trend „Girl Power" gut und ich finde es super, wenn sich Begriffe wie „Girlboss" auch in der Szene etablieren. Aber ich stehe diesen Konzernen sehr kritisch gegenüber, weil sie primär nicht im Sinn haben, sich für die Gleichstellung von Frauen einzusetzen. Sie wollen nur mit Feminismus Kohle zu machen.

Aber mal ganz abgesehen von den Sprüche-Shirts... Was haltet ihr davon, wenn die Kommerzialisierung von Body Positivity dafür sorgt, dass wir immer mehr Kampagnen sehen, die bewusst ohne Photoshop produziert werden. Aktuell etwa bei ASOS..?

Scheiber: Ich glaube es ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, aber es ist immer noch kritisch zu hinterfragen. Es ist ein guter Anfang, Menschen so zu fotografieren, wie sie wirklich aussehen.

Stanić: Es passiert vielleicht nicht aus den richtigen Gründen, aber es bewirkt etwas Gutes. Und das muss man in Kauf nehmen. Natürlich könnte man für die Fotos mal ein Mädchen nehmen, das nicht gerade Size Zero trägt, sondern kurvig ist. Das kann ja auch ästhetisch sein. Das sollte doch normal sein, dass Frauen einfach Kurven haben! Und das muss man dann auch nicht mit „Plus Size" betiteln. Genauso wie es normal ist, dass es auch dünne Frauen gibt.

Scheiber: In Verbindung damit stört mich auch immer, dass etwa in Dove Werbungen die Frauen zwar kurvig gezeigt werden, aber immer extrem hergerichtet und hübsch sind. Du bist nur eine tolle, dicke Frau, wenn du ur schön hergerichtet bist. Du hast die perfekte Mähne, perfekte Zähne...

Stanić ( wirft ein): ... ein ur hübsches Gesicht...

Scheiber: Genau. Das ist ok. Aber die dicke Frau, die verschwitzt ist und aufgeriebene Oberschenkel hat und Augenringe... die ist dann nicht ok. Das ist dann schon zu viel der Hässlichkeit. Das ist mir wirklich ein Anliegen. Weil das ist dann auch nicht die Realität.

Stanić: Bei den Dove Werbungen ist immer dieser Stempel drauf: SCHAUT'S, WIR SIND DICK! Aber es ist halt Werbung, gell....

Die Plus Size Models sind halt immer an den „richtigen Stellen" dick und haben trotzdem eine definierte Taille...

Stanic: Ja. Also ein Plus Size Model mit kleinen Brüsten hab ich noch nie gesehen. Ich find's ein bisschen schade, dass man in der Werbung noch nicht erkannt hat, dass man mit so viel mehr als Schönheit Emotionen erzeugen kann. Warum müssen wir immer darüber reden, wie wir ausschauen?

Scheiber: Es sollte einfach nichts sein, was man ständig thematisieren muss.

Stanić: Natürlich hör ich gern, dass ich hübsch bin. Aber noch lieber würd ich hören, dass ich witzig oder klug bin. Ich will nicht dauernd hören, dass ich schön bin. Das interessiert mich nicht. Und das sollte keine andere Frau interessieren. Wieso werden Männer nicht so stark auf ihr Äußeres reduziert? Sicher leiden sie auch darunter. Aber jetzt mal im Ernst. Es sind schon die Frauen, die mehr darunter zu leiden haben.

Es gibt von Body Positivity aber nicht nur Befürworter, sondern viele, die behaupten, dass dicke Frauen ein ungesundes Körperbild vermitteln.

Stanić ( unterbricht): Kannst du an dieser Stelle bitte notieren, dass ich gerade meine Augen verdreht habe? (* demonstratives Augenrollen*) ...

Scheiber ( wiederholt): Schreib "Stanić rollt ihre Augen, Klammer zu" ( lacht) Ich mein... es ist voll schwierig. Einerseits ist es wichtig, ein Körperbewusstsein für einen gesunden Körper zu schaffen. Aber: Aussehen hat nichts mit Gesundheit zu tun! Es ist geht vielmehr darum zu spüren. Wie ernähre ich mich? Wie bewege ich mich und in welchem Umfeld bewege ich mich? Man muss dieses „Gesundsein" und Körperaussehen ein bisschen auseinandernehmen und das ist schwierig. Das ist auch in meinem Kopf drin. Ich kann mich erinnern, dass ich mich als Jugendliche nicht getraut hab, ein Eis in der Öffentlichkeit zu essen, weil ich mir gedacht hab, die Leute würden denken "die schaut genauso aus, als würde sie den ganzen Tag nur Eis essen".

Stanić ( schmunzelt): Wirklich?

Scheiber: Ja. Es ist so. Und mittlerweile denke ich mir, "ok ich bin gesund, ich fühl mich wohl in meinem Körper, ich spür meinen Körper, es funktioniert alles". Und das hat nichts damit zu tun, ob man Übergewicht hat oder nicht und auch nix damit, ob man sehr dünn ist.

Stanić: Ich habe eine Freundin, die immer schon sehr schlank und sportlich war. Die musste sich ihr Leben lang Sätze darüber anhören, wieso sie so dünn ist, wie sie einen Mann finden will oder jemals Kinder bekommen will. Also geht auch in die andere Richtung. Wobei gesellschaftlich natürlich ganz klar "die Dünnen" "den Dicken" bevorzugt werden. Unser Körper kann so viel und wir Menschen fokussieren uns immer nur auf eine einzige Sache: Unser Gewicht. Das ist auch sinnloser und ein falscher Ansatz.

Scheiber: Ich glaube die ganze "Angst" ist eine Verdrängung der Tatsache, dass es dicke Menschen einfach gibt. Es werden nicht mehr oder weniger, weil man sie auf Instagram oder der Werbung gesehen hat. Also ich bin doch jetzt nicht dick, weil ich einmal im Alter von 5 Jahren ein Foto von einer dicken Frau gesehen hab und mir dachte "so will ich jetzt werden".

Stanić: Ich glaube aber schon, dass es eine sehr problematische Auswirkung auf junge Mädchen hat, wenn sie ständig dünne Frauen auf Instagram sehen. Die hungern dann. Und ich hab wirklich mit sehr vielen jungen Frauen gesprochen. Die macht es einfach fertig, wenn sie ständig Bilder von dünnen Frauen sehen. Also, wenn man denkt, dass Body Positivity ein ungesundes Körperbild vermittelt... na, was förderst du denn, wenn du ständig nur Magermodels in der Werbung zeigst?! Selbst ich, die sich ständig mit Body Positivity beschäftigt und versucht gegen die Schönheitsideale anzukämpfen, erwische mich manchmal dabei, dass ich mich fett fühle. Weil das einfach so tief in dir drinnen ist, dass du es nur ganz schwer loswirst.

Video: Ist das Gänsehäufel die Hochburg der Body-Positivity? Original