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Monisha Kaltenborn: Formel1 Chefin: "Es braucht immer eine, die nach vorne prescht"

30 Jahre Wienerin - 30 Frauen im Porträt: Anlässlich des WIENERIN-Jubiläums widmen wir uns ein Jahr lang 30 starken Frauen, die uns beeindrucken. Heute im Interview: Formel-1 Chefin Monisha Kaltenborn.

Es ist ein schwüler Samstagmorgen als wir Monisha Kaltenborn zum Interview im Hotel Schloss Gabelhofen bei Spielberg treffen. Bereits in voller Arbeitsmontur -ein Poloshirt mit dem Logo ihres Rennstalls Sauber- kommt uns die Formel1-Chefin mit einem Lächeln entgegen. Nur zwei Stunden später würde sie schon wieder an der Boxenmauer stehen und mit besorgt-konzentrierter Miene über die Geschehnisse der Qualifikation wachen.

Von Anspannung ist beim Interview aber nur wenig zu spüren - im Gegenteil. Kaltenborn kennt das Business lange genug und strahlt eine besonnene Ruhe aus. Seit mittlerweile 18 Jahren arbeitet sie im Rennsport und weiß genau, wie der Formel-1 Zirkus läuft.

Als sie 2012 zur ersten Formel-1 Teamchefin überhaupt ernannt wurde, war der Trubel trotzdem groß. Internationale Medien zeigten plötzlich großes Interesse am Schweizer Privat-Rennstall und seiner neuen österreichischen Chefin. Daran hat sich die zweifache Mutter mittlerweile gewöhnt - genauso wie an dreiste und sexistische Fragen der Medien.

Wir sprachen mit der 45-Jährigen darüber, wie man sich in Männerdomänen behauptet, was die zukünftige Frauengeneration in der Unternehmenswelt erwartet und warum Frauen die besseren AutofahrerInnen sind.

War ein Job in der Formel-1 schon immer ein Traum von Ihnen oder hat sich das eher durch Zufall ergeben?

Kaltenborn: Es war bestimmt nicht so, dass ich zielgerichtet auf den Bereich Formel-1 hingearbeitet habe. Es war wirklich ein Zufall. Jetzt werden wahrscheinlich einige sagen "das ist wieder so eine typische Frauenantwort" - aber es ist nun einmal so. Ich habe ursprünglich Jus studiert und nach dem Studium ein Jobangebot bei einem Unternehmen in Liechtenstein bekommen. Mein damaliger Chef dort war auch Miteigentümer des Formel1-Teams Sauber. Als er sich von Sauber trennte, fragte mich Peter Sauber (Anm. ehemaliger Teamchef und Eigentümer), ob ich in die Formel-1 wechseln wollte. Dort kam ich schon nach wenigen Monaten aufgrund meiner bisherigen Funktionen in die Geschäftsleitung und blieb dort auch trotz zwei Eigentümerwechseln. Ich war praktisch die Einzige, die über die Jahre geblieben ist und kannte das Unternehmen, wie es vorher war. Und als Herr Sauber als Chef abtrat und mich fragte, ob ich die Stelle übernehmen wollte, habe ich sie angenommen.

Die Formel 1 ist auch heute noch ein extrem männerdominierter Bereich. Hatten Sie das Gefühl, dass es irgendwelche Vorbehalte gegen sie gegeben hat, als Sie den Chefposten übernahmen?

Nein, das hat mich überrascht. Die Formel-1 ist sicher eine sehr männerdominierte Welt. Ich denke, dass ich deswegen keine schlechten Erfahrungen gemacht habe, weil ich schon so lange im Team dabei war. Ich kam schon auf einer gewissen Ebene in den Konzern und war gewissermassen immer einen Meter hinter der „ersten Reihe". Als ich zur Teamchefin ernannt wurde, war es für die meisten Mitarbeiter also sowieso die logische Konsequenz. Es waren eher die Leute von außen, die sie sich wunderten, dass ich plötzlich in dieser Funktion war.

Und heute? Werden Sie nach den gleichen Kriterien behandelt?

Ich werde schon anders behandelt. Es ist viel härter. Aber ich denke, so geht es den meisten Frauen, die in einer Funktion sind, wo die Gesellschaft vielleicht eher einen männlichen Kollegen erwarten würde. Man wird viel härter kritisiert und nicht immer an den gleichen Maßstäben gemessen wie die Männer.

Welche Charaktereigenschaften sollte man demnach mitbringen, um Ihren Job zu bewältigen?

Sehr viel Ruhe, Geduld und Konsequenz. Es ist für mich von der Aufgabenstellung her nicht viel anders als beispielweise in der Finanzwelt. Das einzig Spezielle ist natürlich die Medienaufmerksamkeit. Alles, was wir machen, wird von außen hin beäugt und kritisiert.

Die Medienresonanz war zu dem Zeitpunkt Ihrer Ernennung wahnsinnig groß. Haben Sie als allererste Formel-1-Teamchefin einen gewissen Druck verspürt?

An den Punkt, dass ich die erste Frau in dieser Position bin, haben wir bei der Bekanntgabe überhaupt nicht gedacht. Aber die erste Resonanz ging tatsächlich in diese Richtung. Aber nein, Druck ist das keiner! Es war ja eine durchaus positive Resonanz, die wir als Team bekamen. Ich habe nicht mehr Druck als andere in meiner Position. Aber man wird definitiv von einigen Seiten viel härter beurteilt. Es passiert durchaus, dass mir dreiste Fragen gestellt werden. Doch bekommen diese Menschen von mir auch die entsprechende Antwort darauf. Und ich glaube nicht, dass sie sich so etwas bei einem Mann trauen würden.

In einem Portrait wurden sie gar als „Supermami und Stilikone der Formel 1" bezeichnet. Stört es Sie - im Gegensatz zu Männern - auf diese Ebene reduziert zu werden?

Dieser Aspekt stört mich gar nicht so sehr. Familie und Formel 1 - beides hat Priorität für mich. Das sind zwar zwei verschiedene Säulen, doch beide sind gleichwertig. Ich finde es wichtig, den jungen Generationen zu zeigen: Wir machen das jetzt, weil wir die Chance dazu bekommen haben. Das muss unser Ziel sein. Und wenn die nächste Generation kommt, dann muss sie es noch besser machen. Man darf nicht immer nur an sich selbst denken. Wichtig ist es, die Chancen zu schaffen und späteren Generationen ein Selbstbewusstsein mitzugeben. Man darf nicht nur reden, sondern muss es auch wirklich durchziehen. Und das ist sehr schwierig. Es ist jene harte Kritik, die oft jeglicher Grundlage entbehrt, die Frauen dazu bringt aufzugeben, weil sie sich das einfach antun wollen. Meist ist es wirklich nur das.

Ist das auch der Grund, warum so wenige Frauen im Motorsport fahren?

Es fehlt nicht an Frauen, weil sie es nicht können würden. Es kann doch wohl keiner behaupten, dass ein Mädchen keine Nachwuchs-Fahrerin sein kann. Natürlich kann sie das. Vielleicht hat sie an manchen Punkten mehr Schwierigkeiten als ein Junge. Aber vielleicht kann der Junge auch etwas schlechter, was Mädchen besser können? Wenn man unsere Gesellschaft betrachtet, dann fehlt einfach die richtige Einstellung dazu, Mädchen darin zu fördern. Und im Endeffekt fehlt es dadurch an Unterstützung im kleinen Kreis, um Fahrerinnen entsprechend zu fördern. Und da sind nicht nur die Eltern gemeint. Das muss man ändern und etwas weiterbringen. Für mich ist es ganz klar, dass die nächste Generation an Rennfahrerinnen das alles nicht mehr so miterleben muss und vieles selbstverständlicher wird. Wir Frauen sollten nicht mehr vor der Wahl stehen, ob wir Familie oder Beruf wollen. Oder, dass wir schreckliche Mütter werden, weil wir nie Zeit haben. Das soll so auch vermittelt werden. Damit sich andere Frauen denken: Wenn sie das kann, dann kann ich das besser. Das soll die Einstellung sein!

Da haben Sie wohl Recht. Mein Fahrlehrer hat immer gesagt: „Frauen sind sowieso die besseren AutofahrerInnen, weil sie das periphere Sehen besser beherrschen. Das hören die Männer nur nicht gern"...

Ja, ich glaube auch, dass Frauen sich besser konzentrieren können - für diese Aussage werde ich wahrscheinlich Ärger bekommen. Überlegen Sie einmal, was man heute alles im Auto machen muss! Die Zeiten, in denen man einfach Gas gibt und bremst, sind längst vorbei. Wer weiß, vielleicht haben Frauen einen intellektuellen Vorteil - im Gegensatz zu anderen Bereichen, in denen man mehr Kraft braucht. Aber dann muss man diese einfach mehr trainieren. Das ist doch alles kein Problem!

Die Frage ist, auf wen diese jungen Frauen dann aufblicken können, wenn es doch heute keine Fahrerin in der Formel-1 gibt...?

Bei den jungen Leuten herrscht heute schon ein anderes Denken. Junge Menschen sehen das Vorbild nicht mehr im gleichen Geschlecht. Die sehen das schon völlig neutral.

Das ist doch etwas Gutes, wenn Jugendliche nicht mehr geschlechterspezifisch trennen, sondern sagen: "Ich will einfach die Beste sein!"

Genau das brauchen wir und genau das fehlt oft noch. Dieses Denken muss sich mehr und mehr durchsetzen. Man muss einfach nach oben wollen. Wir Frauen sind Frauen und das ist auch gut so. Wenn man eine Familie möchte, was auch schön ist, dann muss man dafür eine Lösung finden. Die ehemalige Rallye-Fahrerin Michele Mouton hatte damals auch überhaupt keine Frauenvorbilder im Rennsport. Trotzdem hat sie einfach beschlossen, sie will das tun und hat es gemacht. Sie ist mit den Männern mitgefahren, hat es durchgezogen und war erfolgreich.

Haben Sie, seitdem Sie den Chefposten bei Sauber übernommen haben, auch gemerkt, dass mehr Frauen in Spitzenpositionen der Formel-1 kommen?

Ich glaube, es ist der natürliche Verlauf der Dinge, dass jetzt auch immer mehr Frauen in Formel-1-Teams arbeiten. Früher gab es gar keine Frauen an der Boxenmauer - heute sieht man immer mehr. Meine Benennung hat sicher etwas in Gang gesetzt, dass aber auch natürlichen Ursprungs war. Es braucht immer einen oder eben eine, die nach vorne prescht und dann kommen die anderen. Auf der anderen Seite, engagiere ich mich in der „Women in Motorsport Kommission" der FIA, die von Michelle Mouton (Anm. ehemalige Rallye-Fahrerin) gegründet wurde. Ich versuche dabei Frauen auf allen Ebenen des Motorsports zu fördern. Nicht nur als Fahrerinnen, sondern auch in Funktionen bei nationalen Verbänden. Aber das wird Jahre dauern, bis wir überhaupt dort hinkommen, wo wir sein wollen.

Mit den Gridgirls hat es ja eigentlich schon länger Frauen in der Formel 1 gegeben. Allerdings eher zum Zweck der „Behübschung". Sind die Ihrer Meinung nach noch zeitgemäß?

Das gehört einfach zum Sport und verkauft sich auch. Sie bewerben sich ja auch in jedem Land freiwillig dafür. Wenn ich mir die Alternative mit den Männern von früher ansehe, muss ich ehrlich sagen, dass ich die Frauen auch schöner finde. Ich finde, man darf nicht in jeder Sache eine Diskriminierung der Frau sehen. Also zumindest hier, kann man beim besten Willen nicht sagen, dass die Frauen dazu gedrängt werden. Ich finde, es sieht schön aus und es ist Teil des Images des Motorsports. Und ich denke auch nicht, dass es eine Fahrerin stören würde, wenn jetzt ein Gridgirl vor ihr steht. Das sehen bei uns alle sehr gelassen und ich persönlich habe damit gar kein Problem.

Mittlerweile leben Sie mit Ihrer Familie in der Schweiz, aufgewachsen sind Sie aber in Wien. Welchen Bezug haben Sie heute noch zu Wien?

Ich bin in Wien aufgewachsen, bin hier zur Schule gegangen und habe hier Jus studiert. Wien ist für mich das Zuhause, wo ich immer noch das Gefühl habe, alles zu kennen - auch, wenn sich sicherlich viel verändert hat. Es ist mir wichtig meinen Kindern auch zu zeigen, wo ich herkomme. Der österreichische Grand Prix in Spielberg bedeutet für mich daher auch ein Stück weit wieder nach Hause zu kommen.

Wie würden Sie als Vielreisende den Begriff Heimat definieren?

Das ist schwierig. Heimat ist für mich nicht der Ort, an dem ich gerade zuhause bin. Ich könnte meinen momentanen Wohnort, die Schweiz, nicht als Heimat bezeichnen. Aber es ist mein Zuhause. Tendenziell ist Wien meine Heimat, weil ich dort alles Wichtige und Prägende erlebt habe, an das ich mich erinnern kann. Zu einem kleinen Teil ist auch mein Geburtsland Indien Heimat- aber das ist schon sehr weit weg für mich.

Wordrap mit Monisha Kaltenborn
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