Border Patrol oder Kartell. Wenn du die Grenze verstehen willst, sind das die zwei Optionen", sagt Francisco und streicht sich eine Haarsträhne aus der Stirn. Wir sitzen im Mercado San Agustin im Westen von Tucson und trinken Craft Beer. Im Geschäft nebenan werden nachhaltig produzierte Wildleder-Etuis zu schwindelerregenden Preisen verkauft. Die Leute hier sind jung, entspannt und sehen nach Kalifornien aus. Das alles passt so gar nicht in das Bild, das man vom konservativen Wüstenstaat Arizona hat.
Mit seiner übergroßen Hornbrille erinnert Francisco an eine jüngere und attraktivere Version von Hunter S. Thompson. Die Ähnlichkeit ist nicht ganz unbeabsichtigt, bald erscheint Franciscos erstes Buch: Ein Bericht über die amerikanische Grenzpatrouille, oder wie er selbst sagt, „der Versuch die Grenze in all ihrer Komplexität zu begreifen". Zwischen unserem Bier und Mexiko liegt nur eine Stunde Autofahrt durch flirrende Wüstenlandschaft, vorbei an Saguaro-Kakteen, die wie monströse Mittelfinger in den Himmel ragen.
Amerika ist ein gespaltenes Land. Das ist vielleicht der einzige Satz auf den sich momentan alle einigen können. In Arizona lässt sich dieser Graben auch anhand der Wüste erzählen.
Während die einen die Wüste von Sonora als Ödnis sehen, in der nichts außer das Verbrechen gedeiht, ist sie für andere ein Identitätsraum. 41 Prozent der Bewohner von Tuscon, der zweitgrößten Stadt Arizonas, haben hispanische Wurzeln. In einigen Vierteln sind es 85 Prozent. In Tucson heißen die Straßen „Avenida" und Sonntags gibt es Gottesdienste mit Mariachi-Musik. Bis 1853 war das umliegende Pima County eine Provinz Mexikos. Die „us against them"-Logik der derzeitigen Einwanderungsrhetorik hat es hier schwerer als anderswo. Das war schon so, bevor ein wütender, weißer Mann anfing, das Land mit „Bad Hombres"-Reden zu überziehen. Javier Duran, Professor für Grenzstudien an der Universität Tucson, sagt: „Die Grenzpolitik ist das eine, die Realität an der Grenze etwas ganz anderes."
Duran träumt von einer transnationalen Zone, „in der die Menschen irgendwann so frei sind wie die Produkte, die wir konsumieren". An seiner Universität wird er deshalb von vielen als hoffnungsloser Optimist belächelt. Duran weiß auch, dass die Menschen sich nicht länger von Fakten überzeugen lassen. Wer die Stereotype über Einwanderer und das Grenzgebiet ändern wolle, müsse neue Geschichten erzählen - nach dem vergangenen amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf ist das eine ziemlich realpolitische Position.
Auch Francisco will neue Sichtweise auf die Grenzproblematik. Er ist mit der Grenze aufgewachsen. Jeder, der in Arizona aufwächst, tut das irgendwie. Während seine Kommilitonen die Wüste jedoch vor allem als ideale Kulisse für den Ayahuasca-Trip am Wochenende sehen, war sie für Francisco der Arbeitsplatz. Vier Jahre hat er bei der United States Border Patrol gedient - nicht gerade das typische Berufsumfeld für einen Fulbright Studenten mit einem B.A. in Internationale Beziehungen und Schriftstellerambitionen. Die Grenzschützer-Einheit gilt als ein Sammelbecken für Leute, die sonst wenig Perspektiven kennen und denen es Spaß macht, mächtiger als ihr Gegenüber zu sein. Rassismus ist nur einer, und nicht mal der gravierendste Vorwurf, mit dem die Einheit sich konfrontiert sieht. Francisco sagt, dass er mit mehr Fragen rausgegangen sei als rein. Was sich nur eine Autostunde von uns entfernt abspiele, sei eine humanitäre Katastrophe. Eine Katastrophe mit Ankündigung.
Mit dieser Meinung ist er nicht alleine. In den Vorgärten des Viertels Barrio Viejo nahe des Stadtzentrums zieren Bernie Sanders-Aufkleber die Stoßstangen der Autos, auf einer Veranda baumelt eine Trump-Piñata im warmen Wind. Seit den siebziger Jahren gilt Tuscon und das umliegende Pima County als eine Art liberales Biotop, ein gallisches Dorf mit bunten Häusern aus Lehmziegeln.
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