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Interview

SAINt JHN: Ghetto Lenny, No Guitar

Einen guten Monat nachdem sein Debütalbum Collection One erschien, ist SAINt JHN auf Welttournee. Unter anderem führt ihn diese auch ins Herz der deutschen Hauptstadt. Er hat einen schweißtreibenden Weg hinter sich - und entsprechend viel zu erzählen.

Als SAINt JHN an diesem lauen Sommer­abend das erste Mal die Treppe zur Terrasse der Location Burg Schnabel hochsteigt, ist er noch oberkörperfrei: »It was hot as fuck in there!« Geduldig posiert er für das eine oder andere Foto mit Fans. Dabei denkt er immer daran, rechtzeitig seine Céline­-Sonnenbrille aufzusetzen – Rockstarattitüde. Mit den Worten »I need to get a shirt. I’ll be right back«, verschwin­det er zunächst nochmal ins Innere des Clubs. Wenig später steigt er dann erneut die Stufen in den Berliner Nachthimmel empor. Ich habe seine ungeteilte Aufmerk­samkeit: »I’m SAINt JHN, nice to meet you.«

Auf Reflex, deinem Breakout-Song, rappst du: »I spent a half a decade working on a blueprint.« Schon vor fünf Jahren hast du gerappt, bevor du einen Schritt zurückgemacht und für andere Künstler geschrieben und produziert hast. An welchem Punkt hast du gemerkt, dass du wieder eigene Musik machen möchtest?
Als ich an eine Grenze gestoßen bin, denn viele Dinge im Leben haben eine Grenze. Um dir ein Beispiel zu geben: Wenn du bei Burger King arbeitest, besteht die Grenze darin, Manager des Restaurants zu werden. Danach ist die Grenze, ein Burger­-King­-Restaurant zu besitzen, und danach, mehrere dieser Läden zu haben. Ich habe irgendwann verstanden, dass auch Songwriting eine Grenze hat. Und Leute, die so große Träume haben wie ich, wollen höher hinaus.

Du bezeichnest dich selbst als »Ghetto Lenny« – eine Referenz an Lenny Kravitz. Welche Genres außer Rap beeinflussen dich?
Ich höre mir ganz unterschiedliche Sachen an: Rock, EDM, R’n’B, am liebsten Dance­hall. Manchmal auch Country. Ein paar der besten Tracks aller Zeiten sind Country­-Songs. Einer meiner Favoriten ist ein Folk­-Song: Fast Car von Tracy Chapman. Die Art, wie dieses Lied geschrieben ist, ist unorthodox. Der Klang und Schmerz ihrer Stimme – Wahnsinn. Was ich mir aber so gut wie nie anhöre, ist Gospel. Ich mag keine Sachen, die preachy sind.

Dabei predigst du selbst auf einigen deiner Songs.
Ich habe eine Meinung, aber ich predige nicht. Ich habe auch nicht das Recht dazu!

Deine Mutter ist Pfarrerin, dein Logo ein Kreuz. Dein Geburtsname ist Carlos Saint John. Welche Rolle spielt Religion in deinem Leben?
Religion hatte einen großen Einfluss auf mich, als ich klein war. Deshalb ist sie so präsent in allem, was ich tue. Heutzutage rebelliere ich aber dage­gen. Denn Religion legt einem häufig Handschellen an. Man sollte sich von niemandem vorschreiben lassen, wie man zu handeln hat. Mir zu sagen, was ich tun und lassen sollte, ist für mich mentale Sklaverei. Das kann ich nicht ausstehen. Wofür konditioniert man uns bitteschön?

Einer der Songs auf Collection One heißt God Bless The Internet. Welchen Einfluss hat das Internet auf dich als Person und Künstler?
Ich weiß alles zu schätzen, was es zu bieten hat: Zuspruch, Trollen, Flexen. God Bless The Internet ist eine Ode daran. Gleichzeitig ist es natürlich meta­phorisch zu verstehen, wenn ich sage: »And I think of you like Wi­Fi/And I think of her like cable«. Ich weiß genau, was ich damit meine – macht was draus.

Wo wir schon beim Thema Internet sind: In deinen Instagram-Stories sprichst du oft über Seide. Seit wann interessierst du dich für Mode? Und was gefällt dir so sehr an Seide?
Ich mag Seide einfach. (lacht) Im Ernst: Seide repräsentiert alles, wofür ich aufrich­tig stehe. Es muss sich gut anfühlen, gut aussehen und echt sein. Hundertprozen­tige Seide ist alles davon. Und wenn du in Brooklyn aufwächst, kommst du nicht drum rum, dich für Mode zu interessieren. Wenn du nämlich aus armen Verhältnis­sen kommst, hat Mode mit allem, was dazugehört, etwas von Sehnsucht. Mein Ziel als Junge war: »Yo, get a Benz!« Was wiederum zu wenig für mich war. Ich will mehr! 

Zum Beispiel Zigarren.
Ich liebe das Gefühl, das dir Zigarren geben, ihre Identität und ihren Ursprung. Als ich angefangen habe, Zigarren zu rau­chen, und meiner Mutter davon erzählte, meinte sie: »Mach weiter, das ist cool.« Sie war also nicht der Meinung, dass ich etwas Verachtenswertes tat. Sie verstand vielmehr, dass ich große Träume habe und dass Zigarren ein Teil dieser Träume sind.

Ein weiterer deiner Tracks trägt den Titel God Bless The Ratchets. Welche Rolle haben Frauen in deinem bisherigen Leben gespielt?
Jede große Chance, die ich je bekommen habe, jede Form von Wachstum, hat mich durch die Hände und Augen einer Frau erreicht. Ganz egal, ob das meine Mutter, eine meiner Schwestern oder jemand anderes war. Alle wichtigen Lektionen im Leben haben mich Frauen gelehrt. 

Ein Faible für ratchet Bitches hast du trotzdem.
Das stimmt – weil sie so frei sind. Stell dir vor, ein Mädel kommt zu dir, sagt: »Unter­schreib' auf meinem Busen« und zieht ihr Shirt runter ...

... was vorhin buchstäblich passiert ist, als eine junge Frau zu dir kam.
Genau. Was soll ich dann schon sagen? Sie ist so frei, man muss sie darum beneiden. Wie viele Menschen leben nach einem Drehbuch, das sie nicht selbst ge­schrieben haben? Sie hingegen schreibt ihr eigenes Drehbuch – in Echtzeit.

Deine ersten Worte auf Lust, dem Album-Opener, sind: »I've come this far. I can’t fuckin’ complain.« Später heißt es: »This is the beginnin’«. Was sind deine Ziele?
Solange ich lebe und Aufmerksamkeit bekomme, ist es meine Absicht, wichtige, beeindruckende Dinge zu machen. Falls irgendwann ein Punkt kommen sollte, an dem ich keine Musik mehr machen möchte, und an dem ich das Gefühl habe, dass ich auf andere Weise Einfluss haben kann, dann ist das so. Im Moment tue ich jedenfalls genau das, was ich tun will.


Dieses Interview erschien in JUICE Magazin #187 (06/2018).