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Emotionsforschung in Berlin: Warum wir andere Menschen verehren

Berlin - Bewundert wird viel und in alle Richtungen. Den brasilianischen Ausnahmestürmer Ronaldo Luis Nazaro de Lima, besser bekannt als Neymar, findet fast jeder klasse. Der wiederum sagte kürzlich, er schätze die deutschen Nationalspieler Klose, Müller und Özil. Deren Kollege Mario Götze bewundert, ebenso wie Millionen überwiegend weiblicher Fans, den kanadischen Popstar Justin Bieber.

Ob auch US-Politikerin Hillary Clinton ein Bieber-Fan ist, weiß man nicht so genau. Aber sie gibt sich in ihrer gerade erschienenen Biografie als Bewunderin von Angela Merkel zu erkennen. Was hat es mit diesen Gefühlen auf sich? Warum bewundern und verehren wir?

Beim Stichwort Justin Bieber verdreht Ines Schindler lachend die Augen: Nein, das Mysterium könne sie wirklich nicht vollständig erklären. Aber ein paar Antworten habe sie schon parat. Schließlich gehört die Psychologin zu der interdisziplinären Forschungsgruppe „Verehrung und Bewunderung" der Freien Universität (FU) Berlin. Damit ist sie Teil des breit angelegten Forschungszentrums Languages of Emotion, das die Welt der Gefühle aus den verschiedensten Perspektiven ergründet.

Kleiner Unterschied

Oft reagierten wir emotional sehr stark auf eine Person und das öffne uns für bestimmte Dinge. „Jeder von uns kennt das Beispiel des Mathematik-Lehrers, der den Schüler plötzlich für das ungeliebte Fach begeistert." Diese emotionale Seite in der menschlichen Identitätsfindung ist kaum erforscht. Tatsache scheint aber zu sein, dass wir nicht unbedingt Herr unserer Sinne sind und nicht immer rational entscheiden, welche Identität wir annehmen.

Schindler spricht von zwei Spuren, die wir etwa bei der Berufswahl verfolgen. „Natürlich gibt es da einen Bereich, den wir bewusst wählen. Daneben existieren aber auch Stimmen, von denen wir nicht genau wissen, woher sie kommen und die uns in eine bestimmte Richtung ziehen." Diese „Stimmen" sind eng damit verknüpft, was wir verehren oder bewundern.

Die kleine Forschungsgruppe diskutierte länger als ein Jahr, wie man die Gefühle der Verehrung und Bewunderung definieren kann. Die drei Wissenschaftler durchforsteten die Fächer der Literaturwissenschaft, der Psychologie und der Soziologie und einigten sich schließlich auf Folgendes: Beide Emotionen richten sich auf jemanden, den eine Person als höher oder besser als sich selbst wahrnimmt. In ihrer Intensität und Funktion unterscheiden sich Bewunderung und Verehrung allerdings erheblich. „Bewundere ich jemanden, kann er meistens etwas, was ich auch gerne können würde. Beispielsweise Fußballspielen wie Kevin-Prince Boateng", erläutert Schindler.

Anders die Verehrung: Sie funktioniert vor allem in einer Gemeinschaft, die bestimmte Ideale und Werte teilt. „Durch das gemeinsame Verehren, und dabei kann es sich durchaus um ein Fußballspiel handeln", sagt Schindler, „wird die Gemeinschaft zusammengeschweißt." Das Gemeinschaftsgefühl, das daraus erwächst, ist zugleich Stärke und Pferdefuß. Denn: Im Ernstfall zählt das Kollektiv mehr als der Einzelne. „Die Verehrung kann bis zum Heldentod führen, davor schreckt die Bewunderung zurück."

Lesen Sie weiter, wie wir unsere Identität in einem Verehrten suchen.
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