Am Anfang geht's noch ganz und gar klassisch zu: Das bekannte Finale aus Tschaikowskys „Schwanensee" erklingt aus dem Lautsprecher, dramatisch wie eh und je, zu noch leerer Bühne. Doch dann staksen sie aus den Gassen: 12 Schwäne, Männer und Frauen, barfuß, mit weißem Tütü und Federschmuck auf dem meist kahlgeschorenen oder wenig behaarten Kopf. Allesamt dunkelhäutig - und schon das allein ist von so umwerfender Komik, dass sofort klar ist: Dieser „Schwanensee" wird ein Spaß der Sonderklasse. Der Prinz: ein weiß behoster Dandy. Die Schwanenprinzessin: eine selbstbewusste dunkle Schönheit. Siegfrieds Mutter: die einzige Weiße in der munteren Tanztruppe. Sie gibt zu Beginn den Conférencier und zitiert lautstark einen Bericht aus dem „Sunday Telegraph Magazine", in dem ein des Balletts unerfahrener Betrachter die zugegebenermaßen höchst seltsame Geschichte vieler Handlungsballette wiedergibt. Da geht es um „Seegras-Arme", „Keiner-liebt-mich-Zusammenklappen", kurioses Zusammentreffen, Aneinandervorbei- und Wiederauseinandergehen. Parallel dazu zeigt das Ensemble die verschiedenen angesprochenen Verrenkungen und Haltungen. Unverkennbar: Dada Masilo, 27 Jahre alt, in Soweto groß geworden und in Kapstadt und Europa ausgebildet, kennt das klassische Repertoire.
Doch dann legen die Tänzerinnen und Tänzer erst richtig los - mit schwingenden Hüften, stampfenden Füßen und rhythmisch zuckenden Armen bilden sie ständig wechselnde Bewegungsformationen, inspiriert von afrikanischen Tänzen und begleitet von Schreien, Juchzen und schrillem Trillern - laut, kraftvoll, dynamisch, mitreißend. Zwischendurch immer wieder Gesten und Posen aus dem traditionellen „Schwanensee" integrierend, vor allem die berühmten Flügelbewegungen der Arme. Das ist außerordentlich komisch und humorvoll, aber nie trivial, nie Klamauk.
Auch die Handlung wird auf die Schippe genommen, und doch nachdenklich transformiert: Prinz Siegfried wird der Schwanenprinzessin nicht mit einer anderen Frau, sondern mit einem (bildschönen) Mann untreu, womit Masilo die Schwulenfeindlichkeit ihres Heimatlandes aufs Korn nimmt.
Von zarter Innigkeit und Poesie erfüllt gelingen Masilo Soli, Pas de Deux und Pas de Trois zu den langsamen Musikstücken aus „Schwanensee", versetzt mit moderner Musik von Steve Reich, René Avenant und Camille Saint-Saens. Elegisch, nachdenklich, traurig und doch auch versöhnlich der Schluss: zur bekannten „Mirror in a Mirror"-Musik von Arvo Pärt bewegen sich acht Tänzerinnen und Tänzer in schwarzen langen Röcken und nacktem Oberkörper über die Bühne, finden sich, verlieren sich, finden sich wieder, bleiben allein, stürzen zu Boden. Auch die verschmähte Schwanenprinzessin und der schwule Liebhaber sind dabei - und umarmen sich versöhnlich, bevor auch sie zu Boden fallen und das Licht verlöscht.
„Swan Lake ist eine Arbeit, die sich selbst nicht immer so ernst nimmt", wird Dada Masilo im Programmzettel zitiert. „Mein Ziel war es, ein witziges, trauriges, komisches, skurriles und interessantes Stück zu machen. Und vor allem wollte ich, dass es schön ist. Ich wollte mich nicht über ‚Schwanensee' lustig machen, weil ich klassisches Ballett liebe und respektiere, aber ich wollte mit dem Material spielen, vor allem mit der Erzählweise, der Musik und dem Bewegungsvokabular." Das ist ihr voll gelungen. Großer Jubel in der ausverkauften K6.