Benedict Cumberbatch ist als Doctor Strange in seinem sechsten Marvel-Blockbuster zu sehen. Ein Gespräch über Superhelden, eine falsche Vorstellung von Männlichkeit und die Schwierigkeit, drei Söhne auf eine verrückte Welt vorzubereiten.
Interview von Annett Scheffel
Benedict Cumberbatch war nach den Lockdown-Staus im vergangenen Halbjahr in vier Filmen zu sehen: Im November Jane Campions Oscar-prämiertes Western-Drama „The Power of the Dog“ und dann pünktlich vor Weihnachten ein Teil der „Spider-Man“-Reihe. Im April folgte ein Biopic über den exzentrischen englischen Zeichner Louis Wain, der um 1880 mit Katzenbildern berühmt wurde. Nun reist er als Doctor Strange in seinem sechsten Marvel-Blockbuster durch ein Multiversum aus alternativen Realitäten. Sehr verschiedene Filme, die durch die fesselnde Darstellung des britischen Schauspielers zusammengehalten werden. Beim Gespräch in Berlin ist Cumberbatch trotz vollem Kalender munter und eloquent, was sicher nicht nur an der Cola liegt, die er aus einer Teetasse trinkt.
SZ: Mr. Cumberbatch, wie gut, würden Sie sagen, sind Sie als Superheld?
Benedict Cumberbatch: Im echten Leben? Ganz furchtbar. Aber ich glaube, das geht vielen so, weil wir leider nicht die passenden Superkräfte besitzen, um gegen das ganze Unrecht der Welt anzutreten. Als Schauspieler kriege ich das aber mittlerweile ganz gut hin. Ich hatte ja jetzt auch schon ein paar Filme, um das zu üben. Ich werde aber auch langsam alt, wissen Sie. Für einen Superhelden jedenfalls.
Spielt das Alter für einen Superhelden wirklich eine so große Rolle?
Wenn man sich auf Betonböden oder Drehbühnen herumwerfen lässt, ja. Ich musste wirklich viele verrückten Stunts machen. Und je älter man wird, desto leichter tut man sich weh.
In dieser Hinsicht haben Sie sich mit Doctor Strange doch aber den richtigen Superhelden ausgesucht: Im Vergleich zu anderen Marvel-Helden ist der ja weniger Kraftprotz als fernöstlich geschulter Zauberer.
Das habe ich bis zum neuen Film auch gedacht. Aber weil Doctor Strange weder Maske noch Helm trägt, das Gesicht also nie bedeckt ist, kann man schwer tricksen. Ich musste wirklich jede Szene mitmachen. Mit Ausnahme von ein paar wenigen, die wirklich zu gefährlich waren. Ich bin nicht Tom Cruise.
Was gefällt Ihnen an der Figur?
Sein Humor. Und seine Kameradschaft mit dem Zaubererkollegen Wong. Als Schauspieler interessiert mich am meisten, wo seine Grenzen liegen. Für einen Comic-Helden gibt es psychologisch ja so einiges an ihm zu entwirren. Ich würde beim nächsten Mal gerne Druck und Anspannung noch etwas erhöhen, um noch etwas tiefer vorzudringen.
Wer war Ihr erster Superheld, als Sie ein Kind waren?
Batman. Ich muss zwölf oder 13 gewesen sein, als der erste Tim-Burton-Film mit Michael Keaton herauskam. Genau das richtige Alter für diese Pop-Cartoon-Gewalt: Es war irgendwie zugänglich, aber auch schräg und düster. Und dann der Soundtrack von Prince. „Batman“ war der erste Kinofilm, der mich so richtig begeistert hat. Ich konnte Teile der Dialoge mitsprechen.
Was für eine Art Schauspieler sind Sie? Einer, der mit der Rolle verschmilzt?
Das ist ganz unterschiedlich und hängt von der Rolle ab. Ich wechsle meine Methode je nach Projekt und Rolle. Ich denke, deswegen bin ich überhaupt in der Lage, mit einem Fuß in der Marvel-Blockbuster-Welt zu stehen, und mit dem anderen in Jane Campions „The Power of the Dog“.
Glauben Sie, Sie können jede Rolle spielen?
Unter den aktuellen Bedingungen, ja. Ich würde jeden herausfordern, der eine Rolle hat und glaubt, dass ich die nicht spielen kann.
Sie spielen auffällig oft sehr schlaue Figuren: Stephen Hawking, Sherlock Holmes, Alan Turing. Woran, denken Sie, liegt das?
(lacht) Ich finde, die Rollen haben eigentlich gar nicht so viel gemeinsam. Sherlock ist ganz anders als Doctor Strange. Ja, sie sind alle intelligent, aber auf völlig verschiedene Art. Im Grunde sind sie alle Tiere, die mit ganz unterschiedlicher Tarnung durch die Welt streifen und von ganz unterschiedlichen Sehnsüchten angetrieben werden. Ich glaube, die klugen Figuren bleiben den meisten Menschen nur besser im Gedächtnis. Wenn man es genau nimmt, habe ich mindestens genauso viele Rollen mit durchschnittlicher Intelligenz gespielt. Zuletzt zum Beispiel Louis Wain.
… der wiederum vielleicht kein Superhirn war, aber genial auf seinem Feld als Zeichner und Illustrator. Und wie die anderen ein wenig verhaltensgestört und in sozialen Situationen ziemlich seltsam.
Das sind nun mal oft wirklich interessante Rollen!
Spielen Sie Menschen mit vielen Macken, Ticks und Eigenarten besonders gerne?
Das macht mir schon Spaß. Es geht aber weniger um die Ticks als darum, sich darüber die Charaktere zu erschließen. Die Figur Louis Wain zum Beispiel finde ich wahnsinnig faszinierend. Zu seiner Zeit war er in jeder Hinsicht ein Außenseiter. In der viktorianischen Epoche war jede noch so kleine Abweichung von den Verhaltensnormen schon ein Anzeichen von Wahnsinn. Und soziale Konformität quasi der Beweis für einen gesunden Verstand. Heute im Zeitalter des Individualismus würde ein Mann wie er für seine Einzigartigkeit gefeiert werden. Um sich in so einen Mann hineinzuversetzen, muss man mit absurden Situationen herumprobieren. Es gibt ja keine Videoaufnahmen von ihm. Der einzige Anhaltspunkt war die Beschreibung seiner Stimme und Körperhaltung, die von einem Journalisten stammt. Aber das ist ja ein sehr formaler, spezifischer, überhöhter Moment. Man kann das Wesen eines Menschen nicht in einem einzigen Interview erfassen. Ohne jetzt hier auf etwas anspielen zu wollen … (lacht)
In „The Power of the Dog“ spielen Sie eine neue Rolle: den tyrannischen Ranch-Besitzer. Was haben Sie dabei gelernt?
Die Dreharbeiten waren eine neue Erfahrung für mich, weil ich komplett in die Figur eingetaucht bin. Am Set war ich den ganzen Tag lang Phil Burbank, viel kontinuierlicher, als ich es von anderen Filmen kannte. Ein großes Ganzes, in das ich mich ganz vertiefen konnte. Ich glaube, deswegen ist die Figur auch lange, nachdem wir mit den Dreharbeiten fertig waren, in mir nachgeklungen. In gewisser Weise trauere ich diesem Mann immer noch hinterher.
Inwiefern?
Was mich traurig macht, ist die Idee eines Mannes, der so trunken ist von seiner Vorstellung von Männlichkeit, dass sie ihn blind macht für jede Art von Zuneigung. Ein Mann, der in einer anderen, toleranteren Zeit zur Liebe fähig gewesen wäre. Er hätte die Welt nicht hassen müssen, wenn sie ihn nicht gehasst hätte. Das ist Phils Tragödie. Darunter liegt für mich noch eine weitere Botschaft: Um diese gewaltsamen Verhaltensweisen zu ändern, genügt es nicht, sie nur zu benennen und zu verdammen. Es ist ein wichtiger Schritt, dass wir darüber sprechen, egal ob das jetzt sehr öffentliche Momente toxischer Männlichkeit sind oder Gewalt hinter verschlossenen Türen. Es ist wichtig, den Opfern dieser Gewalt zuzuhören. Genauso wichtig ist es, auf die Wurzeln zu blicken und zu verstehen, welche Strukturen dieses Verhalten fördern. Solange wir da nicht hinkommen, ist klar, was passiert: Unsere Kinder werden unsere Fehler wiederholen.
Sie sind selbst Vater. Was versuchen Sie Ihren drei Söhnen in dieser Hinsicht mitzugeben?
Das beschäftigt mich wirklich sehr. Wie bringe ich ihnen bei, feministisch zu sein? Wie bringe ich ihnen bei, empathisch zu sein? Wie stelle ich sicher, dass es einen geschützten Raum für die Gefühle gibt, die sie ausdrücken möchten? Wie gehe ich mit dem sozialen und kulturellen Druck um, den es ja immer noch gibt? Kein Mensch ist eine Insel. Und wir leben in einer Welt mit so vielen Problemen: die toxischen Mechanismen von Social Media, der gewaltige Handlungsdruck, der sich aus der Klimakrise ergibt, soziale Ungerechtigkeit. Und gerade wenn man denkt, die Leute fangen endlich an zuzuhören und sich langsam zu ändern, marschiert Putin in die Ukraine ein und ein Mann ohrfeigt einen anderen live auf der Bühne der Oscar-Verleihung. Ich fürchte, es ist noch ein weiter Weg.
Was ist das größte Missverständnis über Benedict Cumberbatch?
Es gibt so viele. Die Leute sehen immer nur eine bestimmte Version von dir. Ehrlich gesagt habe ich eine ganze Weile gebraucht, bis ich aufgehört habe, mir darüber den Kopf zu zerbrechen. Aber gut, dass Sie fragen. So kann ich wenigstens eine Sache geradezurücken: Viele Leute denken zum Beispiel, dass ich mich selbst sehr ernst nehme. Aber wie soll das in dem Job funktionieren? Ich bin Schauspieler, um Himmels willen. (lacht)
Sie sind jetzt 45. Was ist in den Vierzigern besser als an den Dreißigern?
Das Loslassen. Darin werde ich immer besser. Natürlich gibt es immer noch ab und zu diese Momente, in denen das Ego kurz übernimmt oder man versucht, noch ein klein bisschen länger an der Jugend festzuhalten. Manchmal denke ich, es ist verrückt, dass ich jetzt in meinen Vierzigern noch mit Dingen anfange, die ich definitiv hätte machen sollen, als ich jünger war.
Was zum Beispiel?
Ich habe angefangen zu surfen. Ein Sport für junge Körper. Umso später man damit anfängt, desto schwerer ist es. Aber ich liebe es trotzdem. Und ich bin erwachsen genug, um zu wissen, dass ich kein Kelly Slater mehr werden muss. Für mich geht es einfach darum, im Wasser zu sein und vielleicht, wenn ich einen guten Tag habe, eine Welle zu bekommen. Ich glaube, vor allem liebe ich es so sehr, weil es draußen auf dem Brett eigentlich nur um die Gegenwart geht. Für etwas anderes als für die Wellen und dein Brett hast du gar keine Zeit.
Was hilft Ihnen, optimistisch zu bleiben?
Meine Familie. Und die Natur. Das ist auch etwas, auf das ich erst in meinen Vierzigern zurückgekommen bin: einerseits meine kindliche Verbindung zur Natur wiederzuentdecken, andererseits aber auch ernsthaft in der Natur nach Lösungen zu suchen und weniger in der Technologie. Ich versuche heute, viel öfter Produzent als Konsument zu sein. Einmal weniger Essen mit einem Klick online bestellen und sich einmal mehr wirklich in die Küche stellen. Oder Gemüse im Garten anbauen. Überhaupt abbremsen und sich Zeit nehmen. Einfach sehr viel öfter sehr viel weniger machen.
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