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"Solange sie spielen, singen wir"

Die Mitglieder des Fanclubs Eiserner Virus bei einem Auswärtsspiel des 1. FC Union Berlin in Emden.

In seinem Geschirrschrank sind es die Tassen und Eierbecher, die es verraten, in seinem Kleiderschrank die Schals und Shirts: Jens ist Fan vom 1. FC Union Berlin - und zwar mit Leib und Seele. Zehn Jahre war Jens alt, als er das erste Mal beim 1. FC Union Berlin im Stadion saß. Er erinnert sich genau: Ein Testspiel gegen 1860 München, sein Opa hatte ihn dorthin mitgenommen. 1998 ist das gewesen. Jetzt ist er 27 Jahre alt und verpasst kein einziges Spiel des Vereins.


Noch heute wohnen seine Großeltern im Berliner Ortsteil Köpenick, wo auch die Union-Heimspiele im Stadion An der Alten Försterei ausgetragen werden. Damals wie heute liebt Jens die unmittelbare Atmosphäre: "Das ist ein reines Fußballstadion, das heißt die Zuschauer werden nicht durch eine Laufbahn vom Rasen getrennt". Wenn er ganz vorne steht, kann er die Spieler reden und schreien hören. Er sieht die Schweißperlen auf ihrer Stirn und kann spüren, wie anstrengend das Spiel für sie ist.


24 Stunden Fahrt für 90 Minuten Fußball

Immer tönt aus den Fanreihen der Ruf: "Eisern Union!", der schon in den 1920er Jahren verwendet wurde, um die Mannschaft anzufeuern. Diese besondere Stimmung sorgte dafür, dass Jens nach und nach zum Stammgast bei Heimspielen wurde. Heute ist er mit seinem Fanclub Eiserner Virus bei jedem Spiel des Zweitligisten dabei: Egal, ob seine Mannschaft in Berlin, Leipzig oder München aufläuft.


"Die weiteste Strecke, die wir diese Saison gefahren sind, war nach Freiburg", berichtet Jens. "Da waren wir gute 24 Stunden unterwegs für 90 Minuten Fußball. Wir haben einen Sonderzug von der Bahn gechartert und dann ging es mit Disko- und Bierwagen und knapp 800 Leuten zum Auswärtsspiel."


Freunde müssen sich der Leidenschaft unterordnen

Auch wenn nicht jede Partie zu einem tagesfüllenden Erlebnis wird, so ist doch jeder Spieltag mit bestimmten Ritualen verknüpft. Bei Heimspielen treffen sich Jens und die anderen Fans schon drei Stunden vor Anpfiff in der Kneipe "Abseitsfalle" auf ein Bier. Bei Auswärtsspielen müssen sie vor der Abreise oft noch Aufkleber vom Fanclub abholen.

Jens arbeitet bei einem Möbelhaus. Um seine Arbeit mit seiner Fußballleidenschaft zu vereinbaren, muss er langfristig planen und braucht ein gutes Verhältnis zu den anderen Mitarbeitern: "Wenn's knapp wird, frage ich einen Kollegen , ob er mit mir die Schicht tauschen kann." Auch Jens' Familie und Freunde müssen sich seiner Leidenschaft unterordnen. Ob Familienfeiern oder Geburtstage, Union geht für Jens vor. "Wenn es möglich ist, komme ich nach dem Spiel noch dazu", sagt Jens.


Jens kennt auch Fanfrust

Im Stadion unterstützt Jens seinen Verein bedingungslos und lautstark. "Wir singen wirklich bis zur 90. Minute, auch wenn Union verliert. Die können nicht jedes Mal gewinnen. Aber das ist eben so, man steht hinter dem Verein. Egal bei welchem Wetter, egal bei welchem Spiel. So lange wie gespielt wird, wird auch gesungen."


Doch Jens weiß auch wie es ist, richtig frustriert zu sein: "Wenn Union ein schlechtes Spiel hinlegt und verliert, bin ich schon enttäuscht. Das merke ich den ganzen Tag noch, vor allem wenn wir die Punkte dringend gebraucht hätten oder unglücklich verspielt haben."


"Stadien sind sicher"

Mit gewaltbereiten Fans oder rechtsradikalen Parolen hat er bisher kaum Erfahrungen machen müssen. Er erzählt, dass Union Berlin mit Infoveranstaltungen und Fanbetreuern versucht, gegen Gewalt unter Fans vorzugehen. "Aber man sollte schon darauf achten, was da für Leute noch mit in der Kurve stehen. Wenn mir ein Grüppchen auffallen würde, das sich in dieser Hinsicht komisch verhält, würde ich wahrscheinlich erstmal versuchen, auf sie zuzugehen und mit ihnen zu reden. Ihnen sagen, dass sie ihre Meinung im Stadion außen vor lassen sollen, dass hier nur der Verein zählt", sagt er.


Jens kennt nicht nur das Stadion von Union Berlin wie seine Westentasche, sondern besucht auch viele andere deutschlandweit. Eine erhöhte Gefahr in den Rängen sieht er derzeit nicht: "Da kannst du mit deiner Oma oder deinem kleinen Kind reingehen. Das ist sicher", so sein Eindruck. Brenzlige Situationen im Stadion hat er noch nicht erlebt, dafür aber umso mehr schiefe Blicke und Nachfragen von Familie und Kollegen, wenn Fußballfans wieder mal negativ in die Schlagzeilen geraten.


Vor kurzem ist es bei einem Testspiel von Union Berlin gegen Austria Salzburg zu Konflikten mit der Polizei auf dem Stadiongelände gekommen, erzählt Jens. "Das Ganze ist total unnötig eskaliert", sagt er. Nach dem Spiel hat er einen Anruf von seinem Opa bekommen, der wissen wollte, was vorgefallen ist.


Pyrotechnik gehört dazu

Fußball und Emotion, das ist für Jens untrennbar verbunden. Dass mal ein frustrierter Fan einen Becher aufs Spielfeld schmeißt, damit kann Jens leben. "Schön ist das nicht, aber das sind die Emotionen der Fans, die hinter ihrem Verein stehen, eine Kurzschlussreaktion". Auch Pyrotechnik gehört für ihn dazu, so lange alles sicher und ordentlich abgebrannt wird. "Darauf würde ich nicht verzichten wollen. Gibt es wegen solcher Sachen eine Geldstrafe, wird im Stadion gesammelt, damit die Summe für den Verein ein bisschen gemindert wird."

Dass manche Fans einfach nur in Ruhe im Stadion sitzen und das Spiel sehen wollen, findet Jens legitim. Dafür gebe es für Fans wie ihn andere Bereiche im Stadion, in denen sie singen und ihre Fansein ausleben können. "Fußball ist für alle da", meint Jens, "ich zumindest bin mir sicher, dass mich Union für den Rest meines Lebens begleiten wird."

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