Osnabrück. In seinem autobiografischen „Panikherz" schreibt Benjamin von Stuckrad-Barre über sein Leben als Popliterat, Drogensüchtiger und Essgestörter. Am Montag, 18. April, liest er im Osnabrücker Rosenhof.
Herr Von Stuckrad-Barre, Sie waren vor Kurzem Gast bei Markus Lanz. Dort haben Sie über Udo Lindenberg geredet, der recht luxuriös im Hotel Atlantic in Hamburg wohnt, und darüber, dass so ein Leben im Ibis Osnabrück nicht möglich wäre. Warum ausgerechnet Osnabrück?Ibis Osnabrück, gibt es das überhaupt?
Das gibt es.Waren einfach zwei mir spontan eingefallene Wörter, die als Panikzentralen-Koordinaten für Udo Lindenberg eher entlegen wirken, Ibis als Gegenpol zum Atlantic und Osnabrück als ausgesprochenes Nicht-Hamburg. Aber bevor wir da jetzt in eine langweilige Metropolendebatte einsteigen, sei gesagt: Ich empfand Hamburg immer als schönste Stadt Deutschlands, nur nicht in den drei Jahren, in denen ich selbst dort wohnte. Und so ist es ja meistens. Wo man wohnt, ist eigentlich egal. Ich bin aufgewachsen in Rotenburg/ Wümme und Göttingen, trage also die Provinz ganz stark in mir, und das zu wissen ist sehr befreiend. Auch während eines in Los Angeles verbrachten Jahres immer zu wissen: Ich bin Hannover. Kaum etwas ist ja trister als dieser Hornbrillen-WLAN-Irrtum: Mein Leben ist kreativ, weil ich in Berlin lebe. Von diesem Irrtum leben allerdings viele Menschen.
Sie sind gerade auf Lesereise...Ja, ich bin in meinem Hotelzimmer und suche Menthol-Zigaretten, sind aber wohl alle weggeraucht. Am Anfang der Lesereise hatte ich sehr viele Zigaretten und kein Feuerzeug. Aber inzwischen habe ich das jedem Abend dem Publikum erzählt und sehr viele Feuerzeuge geschenkt bekommen. Zigaretten leider nicht.
Das heißt, wir sollten Ihnen Menthol-Zigaretten mit zu Ihrer Lesung in den Rosenhof mitbringen...Ja, bitte, das wäre reizend, Marlboro Menthol Light, die mit dem weißen Filter. Das wäre toll und würde auch meine Bindung an Osnabrück noch mal verstärken. Osnabrück ist ja eher schwierig für mich. Das ist die Stadt, in der ich am häufigsten nicht war, obwohl ich eigentlich dort hätte sein sollen.
Sie haben dreimal Auftritte abgesagt, zuletzt 2003 Ihre Rede bei der Eröffnung einer Dürer-Ausstellung.Da hielt ich mich gerade komplett drogenabhängig in den Schweizer Bergen auf. Man hatte mir gesagt, dass das Thema Dürer sei und ich viel Geld dafür bekäme. Das klang erst mal gut. Wie manches gut klingt, wenn man gerade den Kopf voller Drogen hat.
Es ging Ihnen also schlecht?Och, das weiß ich gar nicht so genau. Aus medizinischer Sicht gewiss. Aber man hat als Drogenabhängiger mitunter das Gefühl: Jetzt geht es mir gerade bestens, nur alles andere nervt gerade wahnsinnig, Freunde, Gleichgewichtssinn, Kontostand, Realität und so. Zwar überwiegen Depression und der unvermeidliche Riesenkater, aber man durchlebt währenddessen so allerlei Stimmungen - die einen jedoch allesamt nicht in die Lage versetzen, einen Vortrag über Dürer zu halten. Und ich glaube, es ist für die Dürer-Forschung und die Stadt Osnabrück sehr gut, dass ich diesen Vortrag nicht gehalten habe.
Interessiert Sie Dürer? Oder hat Sie das Geld gereizt?Die Frage könnte ich ja auch Ihnen stellen, da Sie nun dieses Interview führen: Interessieren Sie sich für mich oder machen Sie das nur, um ihre Miete zahlen zu können? Beides übrigens Motive, gegen die nichts spricht. Das Schöne am Autorenberuf ist, dass er einen zwingt, sich mit verschiedensten Themen zu beschäftigen - und man dafür Geld bekommt. Ich habe ständig die Möglichkeit und auch Notwendigkeit, mich fortzubilden. Und wenn man klar im Kopf ist, führt das sogar zu Ergebnissen - manchmal.
Über Ihr Buch „Panikherz" heißt es, es wäre eine Therapie für Sie gewesen. Oder war es doch das Geld, das sie gereizt hat?Ach, man muss das weder überhöhen, sich einen Schal um den Hals legen und Künstler spielen, noch reduzieren auf das, was es auch ist: Broterwerb. Schreiben ist mein Beruf, fertig. Therapie jedenfalls ist es gewiss nicht, das wäre eine Zumutung. Therapie selbst kann zwar durchaus Gegenstand von Kunst und Komik sein, viele Filme von Woody Allen beispielsweise handeln davon. Doch man sollte die Leser nicht mit Aufarbeitungskitsch und Seelenmüll belästigen, in irgendwelche intimen Prozesse einbeziehen, das ist sonst allenfalls Ratgeber-Schrott. Ich habe diese existenziellen Erfahrungen mit Suchterkrankungen gemacht - darüber schreiben konnte ich aber nicht, als es akut war, sondern erst, als ich die Distanz dazu hatte, dann schließlich konnte ich daraus etwas formen, das über mein persönliches kleines Leben hinausweist und teilenswert ist.
Sie gehen bis Ende April auf Lesereise. Brauchen Sie das, so lange unterwegs zu sein?Ich habe es sehr vermisst, so lange Lesereisen zu machen. Mit diesem Buch geht das endlich wieder, und es macht mir großen Spaß. Ich reise gern, und ich lese gern vor, unterwegs fühle ich mich zu Hause, Koffer sind mein Schrank, Bahnhöfe mein Wohnzimmer. Diese allabendlichen Begegnungen mit echten Lesern sind wahnsinnig schön, da gibt es eine ganz tiefe Verbindung, ganz unabhängig davon, ob man in den Zeitungen gerade gelobt wird oder verrissen oder ignoriert. Und wenn diese echten Menschen mir nach der Lesung sagen, schön, dass du wieder da bist, kann ich das ehrlich erwidern: Auch schön, dass du wieder da bist. Also: Diesmal werde ich jedenfalls da sein, in Osnabrück. Und freue mich, wenn Osnabrück selbst auch Zeit und Lust hat, den Abend mit mir zu verbringen.
Vielen Dank für das Interview.Sagen Sie Ihren Lesern bitte, dass ich Dürer-Bücher im Tausch gegen die Menthol-Zigaretten mitbringe. Oder nein, sagen Sie, dass ich aus einem Dürer-Bildband vorlese.
Weiterlesen: So gut ist der autobiografische Roman „Panikherz".