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Die dunklen Schatten der Colonia Dignidad

In der Terror-Sekte Colonia Dignidad im Süden Chiles wurde gefoltert, missbraucht, gemordet. Die Opfer fordern Gerechtigkeit - auch vom deutschen Staat.


ATMO

Der Wind weht eisig über den Kartoffelacker, die Erde ist schwer und matschig vom vielen Regen. Was jetzt nicht geerntet wird, verfault und das kann sich Harald Lindemann nicht leisten. Er und seine Frau Astrid leben von diesem Stück Land, das sie hier in der Seenregion im Süden Chiles geliehen haben, seit sie aus der deutschen Sektengemeinde Colonia Dignidad geflohen sind

 

OT Harald Lindemann

Mit 57 Jahren bin ich aus der Villa raus, mit 3 Jahren kam ich aus Deutschland, also 45 Jahre dort verbracht. Ich habe oft 24 Stunden gearbeitet, also Tag und Nacht. Heute kann man sich das nicht mehr vorstellen, aber ich kam oft an den Punkt, dass ich im Gehen eingeschlafen bin, Eingeschlafen im Gehen. Da habe ich mir eines gesagt: Nie wieder abhängig sein von einem Menschen

 

Der pädophile Laienprediger Paul Schäfer lockte in den Sechzigerjahren seine Anhänger aus dem Rheinland in ein chilenisches Andental. Seine Colonia Dignidad, die sogenannte Kolonie der Würde, wurde zu einem Staat im Staate, in dem gefoltert, missbraucht, versklavt und psychisch terrorisiert wurde. Nicht nur Chile, auch Deutschland habe davon gewusst, da ist sich Harald Lindemann sicher.

 

OT Harald Lindemann

Sie haben alles gewusst, sie haben nicht nur weggeschaut. Sie haben den Schäfer unterstützt, die deutsche Botschaft hat nachweislich sich über 20 Jahre bestechen lassen und für diese Schuld müssen sie aufkommen.

 

Im Jahr 2016, als der Kinofilm „Colonia Dignidad“ mit Emma Watson und Daniel Brühl in die Kinos kam, gab es von Frank-Walter Steinmeier das erste Mea Culpa aus dem deutschen Außenministerium. Archive wurden geöffnet, Abgeordnete reisten zum Ort des Schreckens und der Bundestag forderte die Bundesregierung

dazu auf, den Worten nun Taten folgen zu lassen

 

ATMO Straße

Die Colonia Dignidad heißt heute Villa Baviera – die dort noch immer lebenden Kinder der ehemaligen Führungsriege haben ein bayrisches Feriendorf daraus gemacht. Dort, wo heute Touristen Bier und Schweinshaxe serviert bekommen, führte Paul Schäfer nicht nur eine totalitäre Sektenherrschaft, er  unterhielt auch beste Beziehungen zur Diktatur von Augusto Pinochet. Dessen Geheimdienst ließ auf dem Gelände einst Regimegegner foltern und ermorden. Ana Aguayo Fernandez vermutet, dass ihr verschwundener Bruder Luis eines der Opfer war:

 

OT Ana Aguayo Fernandez

Unser Schmerz wird erst enden, wenn wir die Reste unsere Angehörigen finden

 

Seit über 40 Jahren wartet sie darauf, wie viele andere, die sich im Verein „Familien der Verhafteten-Verschwundenen“ zusammengeschlossen haben. Nach neuen Zeugenaussagen begann nun ein Team unter dem Bundesrichter Mario Carroza, auf dem Gelände nach einstigen Geheimgefängnissen und Massengräbern zu suchen:

 

OT Polizist

Wir Chilenen müssen uns unserer Vergangenheit annehmen. Das hier ist wohl der dunkelste Teil davon, den wir aufklären und der Welt zeigen müssen“

 

Genau dabei wollen Chile und Deutschland zusammenarbeiten, in die juristische Aufarbeitung kommt langsam Bewegung. Zusätzlich soll auch geprüft werden, wie auf dem Gelände eine Gedenkstätte entstehen kann. Und vor allem: Wie man die Opfern der Colonia Dignidad – Chilenische Angehörige und Überlebende – finanziell unterstützen kann. So wurde das vor einem Jahr vom deutschen Bundestag gefordert – doch ein Konzept dafür liegt auch heute noch nicht vor.

 

OT Harald

Meiner Ansicht nach müssten wir einen finden, der das ganze aufkauft, aber das alle, nicht nur die, die dort wohnen, ihren Teil kriegen und entschädigt werden. Hier meine ich, muss der deutsche Saat für aufkommen, nicht nur, dass sie sagen, wir sind Schuld sondern sie müssen uns finanziell unterstützen.

 

Für die 40 Jahre Schwerstarbeit in der Colonia Dignidad bekamen Harald Lindemann und seine Frau Astrid keinen Lohn, mit dem Erlös aus der Kartoffelernte und der chilenischen Mindestrente reicht es gerade so zum Überleben. Die Colonia-Führung machte damals dagegen ein Vermögen – nicht nur mit Zwangsarbeit auch mit Waffenhandel und Rentenbetrug. Einige mutmaßliche Verbrecher sind nach Deutschland geflohen - wie der frühere Sektenarzt Hartmut Hopp, der trotz rechtskräftiger Urteile und internationaler Haftbefehle immer noch in Freiheit in Krefeld lebt.


Autorin: Anne Herrberg für ARD-Studio Südamerika