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Leipziger Bündnis Abfallvermeidung

Die Mitgliedern des neugegründeten Leipziger Bündnisses für Abfallvermeidung sprechen über die Themen Zero Waste, Nachhaltigkeit und Konsumverhalten.

Es war einmal ein DDR-Handmixer namens RG 28 - ein Ding für die Ewigkeit und deshalb ein vorbildliches Beispiel im Kampf gegen Wegwerfmentalität. Der orangefarbene Klassiker ließ nicht nur jahrzehntelanges Dauerteigrühren geduldig über sich ergehen, sondern auch im Falle eines Falles problemlos öffnen und reparieren. 2016 stieg das Haushaltsgerät mit seiner rührenden Geschichte in die Filmbranche ein und lieferte den Stoff für den Dokumentarstreifen „Kommen Rührgeräte in den Himmel?". Eine gute Frage und ein passender Aufhänger, um unsere eigenen Konsum-Objekt-Beziehungen zu hinterfragen.

Seid ihr auch im Besitz eines Rucksacks, der schon die Welt umrundete, oder einer Öllampe, die bereits euren Eltern den Weg leuchtete? Wir trinken jedenfalls mit größter Freude aus Omas Sammeltasse und denken dabei an gemeinsame, gemütliche Kaffee-Kränzchen zurück. Die Abenteuer unseres Jutebeutels könnten Stoff für einen ganzen Roman liefern. Worauf wir aber eigentlich hinaus wollen, ist, dass hinter jedem Produkt ein materieller oder ideeller Wert x steckt, der sich mehr oder weniger aus Lebensdauer, Nutzen und Herstellungsaufwand ergibt.

Wie groß ist x? Das ist eine Frage, die sich bei jedem Produkt neu stellt: Egal, ob es sich dabei um das Rührgerät, die Stehlampe oder die Plastikverpackung des Mittagessens handelt - denn ja, auch die hat eine Geschichte und einen Wert. Rein pragmatisch betrachtet, erfüllt also jedes Objekt einen x-beliebigen Zweck. Manche Dinge tun dies allerdings länger als andere. Und genau an diesem Punkt gilt es anzusetzen, wenn wir mit euch und den Mitgliedern des neugegründeten Leipziger Bündnisses für Abfallvermeidung über die Themen Zero Waste, Nachhaltigkeit und Konsumverhalten diskutieren wollen. Denn die Vita einer Plastikgabel reicht gerade mal vom Fließband über den Salat bis in die Müllverbrennungsanlage - wie soll man da eine Beziehung aufbauen? Und obwohl uns durchaus bewusst ist, dass Folienverpackungen, Zigarettenfilter oder Zeitschriften eine kürzere Lebensdauer haben als Omas Meissener Porzellanservice, hören wir nicht auf sie ununterbrochen zu konsumieren. 

In Leipzig gibt es mehrere Orte, an denen sich dieses Dilemma nachempfinden lässt. Einer davon ist die Zentraldeponie Cröbern, auf der unsere ausrangierten Sachen – von Restabfall bis Sperrmüll – landen. Beim Anblick der Müllberge wird einem schwindelig: Ein Großteil der hier abgeladenen „Abfälle" verlässt das Gelände nie wieder. Nur ein Bruchteil kann recycelt werden. Eine Tatsache, die vielen nicht bewusst ist und die unsere Beziehung zu den Dingen, die wir täglich unreflektiert konsumieren, in Frage stellt.

Das Leipziger Bündnis für Abfallvermeidung

An die Abfallentsorgung in Leipzig sind rund 340.000 Haushalte und Gewerbetreibende angeschlossen. Rest- und Bioabfall, Sperrmüll, Elektroschrott aber auch Schadstoffe werden von den Mitarbeitern der Stadtreinigung wöchentlich entsorgt und dadurch für die Allgemeinheit „unsichtbar" gemacht. „In Wirklichkeit ist die Tonne mit Verpackungsmüll schon nach dem Einkauf voll", wirft Antje Arnold ein. Sie ist eine von vielen Mitgliedern des frisch gepressten Leipziger Bündnisses für Abfallvermeidung, das sich im August 2019 erstmals zusammenfand, um innovative Ideen gegen übervolle Mülltonnen zu entwickeln. Dem voraus ging Laura Jansens Konzept eines Antiplastik-CAMPs, wofür die Gründerin 5.000€ Fördergeld aus dem Sächsischen Mitmach-Fonds „Wir machen mit" erhielt. 

Seither finden sich regelmäßig 15 regionale Akteure aus Leipzig und dem Umland an einem runden Tisch zusammen. Bis dato gab es einzelne Kooperationen, die sich den Themen Nachhaltigkeit und Abfallvermeidung gewidmet haben. Dieses Engagement soll durch das Bündnis gebündelt und intensiviert werden. „Um unterschiedliche Menschen zu erreichen, braucht es ein breites Netzwerk", erklärt uns Antje. Bevor es dazu kommt, sollen zunächst die vielen Ideen- und Denkansätze der Akteure gesammelt werden: „Das erste Bündnis-Treffen offenbarte bereits viele schöne Herangehensweisen, dem Thema Abfallvermeidung zu begegnen“. Nun sollen die Strategien gebündelt werden. „Langfristig soll unsere Kooperation bessere Rahmenbedingungen schaffen und natürlich eine höhere politische Schlagkraft entwickeln.“ Eine erste Arbeitsgruppe widmet sich Lauras Ansatz – also dem Thema „Biobasierter Kunststoff“. In einer öffentlichen Veranstaltung mit verschiedenen Experten soll Aufklärungsarbeit geleistet werden. 

Über Müll ist eine Menge Müll im Umlauf

Aufklärungsarbeit bedeutet für Laura und Antje übrigens nicht, Müll in die Kategorien „Blau, Gelb, Braun" oder „schädlich, schädlicher, am schädlichsten" zu gliedern. Die Meisten wissen, dass Plastik nicht in den Biomüll, geschweige denn in den Himmel kommt. Und darum geht es auch gar nicht. Natürlich haben Kunststoffverpackungen ihre Berechtigung: In der Medizin hat sich das Material beispielsweise als steriler, vielfältig einsetzbarer Stoff etabliert, der in Notfallsituationen Leben retten kann. Doch gilt das auch für unsere Plastikgabel? 

Das Bündnis für Abfallvermeidung möchte darauf aufmerksam machen, dass es am Ende keinen großen Unterschied macht, ob das Besteck aus Bambus, Holz oder anderen innovativen Stoffen besteht. Entscheidend ist, dass es Ressourcen kostet und sich erst dann „rentiert", wenn wir es häufig wiederverwenden. Ein Jutebeutel, den wir stets neu kaufen, ist eine genauso große Umweltsauerei wie sein Plastikkumpel. Wir müssen umdenken: Solange wir unseren Lebensstil aufrechterhalten und meinen, es wäre damit getan, einfach andere Materialien zu nutzen, wird sich nichts ändern. Es geht darum, Konsum zu überdenken und nur dann auf Einwegmaterial zurückzugreifen, wenn es aus hygienischen Gründen nicht anders geht. Produzieren, konsumieren, vernichten - manchmal weckt unser Einbahnstraßen-Handeln den Eindruck, das funktioniere. Um nicht irgendwann im Müll zu ersticken, müssen wir kreisförmig denken - das Cradle-to-Cradle-Prinzip ist ein System, das dies bereits tut. Großen Handlungsbedarf sieht Antje im Bereich Convenience-Produkte oder bei den beliebten „to go"-Bechern. „Hier existieren bereits schöne charmante Kampagnen und Start-ups wie RECUP, die einen Mehrwert haben, und dazu anregen, sich mit dem Thema Nachhaltigkeit intensiver auseinanderzusetzen. Denn nicht nur der Kaffee hat einen Wert, sondern auch das Behältnis, aus dem er getrunken wird."

Wir müssen uns bewegen, um etwas zu bewegen!

Es geht um Wertschätzung, die sich nicht immer so leicht umsetzen wie dahersagen lässt. Wir leben in einer teilweise verpackten, hygienisch einwandfreien Gesellschaft. Häufig muss aktiv Veto gegen überflüssiges Verpackungsmaterial eingelegt werden. Das kostet Überwindung, ist aufwändig und unbequem. Unverpackt-Läden gehen da natürlich in die richtige Richtung, sind aber noch nicht weit genug im Stadtgebiet verbreitet. Zudem legen sie in der Regel großen Wert auf ökologisch nachhaltige Produkte - was top ist, aber natürlich auch preisintensiver. Häufig ist noch der Preis das erste Kauf-Argument und nicht die Art der Verpackung. Laura weiß, dass nicht jeder finanziell dazu in der Lage ist, unverpackt einzukaufen: „Wir wollen die Augen nicht vor Menschen verschließen, die einfach größere Probleme haben, als Müll zu vermeiden. Damit es für alle einfacher wird, braucht es bessere Rahmenbedingungen. Zumal sich durch Wiederverwenden auch sparen lässt."

Weder dem Bündnis noch Antje und Laura geht es darum, mit erhobenem Zeigefinger durch Leipzig zu ziehen. Aber sie selbst freuen sich, wenn sie müllfrei(er) einkaufen und glauben daran, dass es jedem so gehen kann. Abfallvermeidung heißt nämlich nicht nur Verzicht. An die Stelle des hastigen Konsums rückt das Nachdenken, Hinterfragen, Diskutieren und kreative Suchen nach Lösungsansätzen - also mehr als das Vorurteil von einem hippen Zero-Waste-Lifestyle. „Ich habe einfach angefangen, mich mit den Gegenständen, die mich umgeben, zu identifizieren", erzählt Antje. Für Laura gibt es mittlerweile kaum etwas Schöneres, als ausrangierten Produkten ein zweites Leben einzuhauchen - sei es durch Upcycling oder Weitervermittlung von Materialien. Diesen Aspekt greifen auch die Leipziger Projekte Café kaputt, Trash Galore oder das Restlos auf. Hier wurde bereits erkannt, das Wertschätzen mehr Freude bereitet, als Dinge in eine stinkende Abfalltonne zu schmeißen. Auch die Ökolöwen sind in diesem Bereich aktiv. Im Sommer 2018 startete die AG Abfall zusammen mit dem Sächsischen Apothekerverband eine Aufkleber-Aktion, die darüber aufklärte, dass nicht mehr benötigte Medikamente kostenfrei in Apotheken abgeben und so zu einer umweltverträglichen Entsorgung beitragen können. 2018 gaben 11,7 Prozent mehr Leipziger Altmedikamente in Apotheken ab als noch im Jahr zuvor. Hier kann das Bündnis ansetzen.

Mit Vermeiden lässt sich kaum Geld verdienen

Der reparierte Mixer, der hunderte Kuchen backt, oder der geflickte Rucksack, der die Welt umreist: Mit Vermeidung lässt sich kaum Geld verdienen - aber ist es nicht schön, wenn „Abfälle" plötzlich Geschichten erzählen? Das Leipziger Bündnis steht mit dieser Idee noch in den Startlöchern. Der nächste runde Tisch ist bereits für Anfang Februar angesetzt. Akteure, Vereine oder Initiativen, die das Forum mit ihren Projekten bereichern möchten, sind herzlich dazu eingeladen, Antje per Mail (arnold@civixx.de) anzuschreiben und beim nächsten Treffen Kontakte zu knüpfen: „ Langfristig wäre es schön, wenn durch die stärkere Vernetzung und Zusammenarbeit aus kleinen Schritten große werden."



Weitere Tipps und Infos erhaltet ihr auf Facebook unter dem Stichwort Leipziger Bündnis Abfallvermeidung.

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