Viele Flüchtlinge sterben auf dem Weg nach Europa. Schaffen sie es doch, leben sie oft verarmt und unsicher. Drei Konzepte für eine humanere Aufnahmepolitik
Das Erschrecken ist wieder einmal groß, seit am Donnerstag vor Lampedusa ein Schiff mit etwa 500 Flüchtlingen aus Afrika gesunken ist. Politiker und Parteien aus ganz Europa fordern, die Flüchtlings- und Asylpolitik der EU zu ändern. Doch viel wird wohl auch diesmal nicht passieren. Die Innenminister der großen EU-Länder, darunter auch Deutschland, lehnen eine Reform des europäischen Asylrechts ab. Dafür soll die Grenzschutzagentur Frontex künftig mehr Befugnisse bei der Seenotrettung bekommen.
Verhindern wird das die Toten und die in Armut und Unsicherheit in Europa lebenden Flüchtlinge wohl kaum. Wie aber könnte eine humanere Asyl- und Flüchtlingspolitik der EU aussehen? Drei Konzepte für die Zukunft.
Wie viele Menschen jährlich an den Außengrenzen Europas sterben, weiß niemand. Die Nichtregierungsorganisation Fortress Europe schätzt, dass seit 1988 mehr als 19.000 Menschen zu Tode gekommen sind. Andere sprechen von 25.000. Sie sterben in der Hand von Schlepperbanden, ertrinken im Mittelmeer oder ersticken in Lastwagen auf tage-, manchmal wochenlangen Fahrten, weil sie keine legale Möglichkeit haben, nach Europa einzureisen und Schutz oder Asyl zu beantragen.
Eine verantwortungsvolle Flüchtlingspolitik würde deshalb nicht erst auf europäischem Boden beginnen, sondern bereits auf dem Weg dorthin. Die EU müsse gefahrenfreie, legale Wege nach Europa schaffen, fordert Karl Kopp von Pro Asyl. Die Möglichkeiten dazu seien schon da.
Das Resettlement-Programm der Vereinten Nationen siedelt jährlich 80.000 Flüchtlinge um. Die EU ist dem Programm im März 2012 beigetreten, allerdings mit sehr unterschiedlichen Verpflichtungen. So nimmt das kleine Schweden 1.900 Flüchtlinge jährlich auf, Deutschland hingegen über drei Jahre jeweils nur 300 Flüchtlinge. Die meisten Flüchtlinge, nämlich 60.000, kommen in den USA unter.Außerdem müsse der Umgang mit Flüchtlingen auf See verbessert werden, sagt Karl Kopp. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte urteilte 2012, dass Flüchtlinge nicht auf See zur Umkehr gezwungen werden dürfen. Sie müssen an Land die Möglichkeit erhalten, ihre Asylanträge zu stellen.
Geraten sie auf dem Wasser in Not, ist jedes Schiff in der Nähe zur Rettung verpflichtet. Das sei im Kampf gegen die Schlepperbanden erodiert, sagt Kopp. Fischern, die Flüchtlinge retten, drohen sogar Geld- oder Haftstrafen. Das hatte im Fall des am Donnerstag vor Lampedusa gesunkenen Bootes dazu geführt, dass Fischer den ertrinkenden Flüchtlingen nicht helfen wollten. Bisher weigern sich die Mittelmeerstaaten, die Seenotrettung verbindlich durchzusetzen. Sie haben sich lediglich dazu verpflichtet, die europäische Grenzschutzagentur Frontex zu informieren, wenn Flüchtlinge in Seenot geraten.
Kopp glaubt, dass - egal wie die Asylpolitik der EU aussieht - sich illegale Migration, auch auf gefährlichem Weg, nie verhindern lassen wird. "Es werden immer Menschen sterben auf dem Weg in die EU. Die Frage ist nur, wie viele."
Die Verteilung von Flüchtlingen in der EU entscheidet seit 2003 die Dublin-II-Verordnung. Sie besagt, dass der Staat für einen Flüchtling zuständig ist, in dem er zuerst angekommen ist. Das belastete die Staaten an den EU-Außengrenzen und führt zu katastrophalen Verhältnissen: Griechenland, Ungarn und Zypern sperren Neuankömmlinge in völlig überfüllte Lager, in Italien müssen Flüchtlinge oft auf der Straße oder in alten Baracken leben. Viele reisen deswegen illegal weiter nach Mittel- und Nordeuropa. Dort dürfen sie nach Dublin II aber keinen Asylantrag stellen, sondern müssen eigentlich zurück in die Erst-Aufnahmeländer. Allerdings stoppen immer mehr deutsche Gerichte die Abschiebung in diese Länder.
Mittlerweile dauern die Zuständigkeitsverfahren nach Dublin meist länger als die eigentlichen Asylverfahren. Das ist teuer, bürokratisch und hält die Flüchtlinge in permanenter Unsicherheit. Politiker und Hilfsorganisationen erklären das Dublin-System deshalb für gescheitert.
Nadja Hirsch, FDP-Politikerin im Europäischen Parlament, schlägt
stattdessen einen Verteilungsschlüssel vor: Dieser legt, je nach Bevölkerungszahl
und Wirtschaftskraft, fest, wie viele Flüchtlinge jeder Mitgliedsstaat aufnehmen
müsste. Ein ähnliches Modell gibt es bei der Verteilung von Flüchtlingen
innerhalb Deutschlands bereits. Deutschland müsste demnach etwas mehr
Flüchtlinge aufnehmen als bisher – insgesamt etwa jeden Fünften der nach Europa
kommt. Länder wie Malta und Zypern würden massiv entlastet. Auch im Europäischen
Parlament gibt es eine Mehrheit für den Verteilungsschlüssel: Im vergangenen
Jahr hat das Parlament den Europäischen Rat aufgefordert, das Modell zu prüfen.
Bis heute ist das nicht passiert.
3. Gemeinsame europäische Standards
Seit Mitte der 1980er Jahre versuchen die EU-Staaten, die Asyl- und Flüchtlingspolitik zu vereinheitlichen. Bisher ist das vor allem auf der Ebene der Abwehr und Verteilung von Flüchtlingen passiert, weniger bei den eigentlichen Asylverfahren.
Das zeigt sich schon an den stark variierenden Schutzquoten, also
dem Anteil der Flüchtlinge, die in einem Land anerkannt werden.
So hat Pro Asyl berechnet, dass Deutschland 39 Prozent der afghanischen
Flüchtlinge anerkennt, Frankreich 50 Prozent, Schweden 60 und Italien sogar 76
Prozent. Bei so unterschiedlichen "Erfolgsquoten" ist es naheliegend, dass
Asylsuchende ihren Antrag möglichst in dem Land
stellen, in dem ihre Chance am höchsten ist, anerkannt zu werden. Gäbe es einheitliche
europäische Standards, würde dieser unterschiedliche Migrationsdruck zwischen den Mitgliedsstaaten wegfallen.
Das neue Asylrecht, das das Europäische Parlament im Juni dieses
Jahres beschlossen hat, sollte ein weiterer Schritt auf dem Weg zu einem
gemeinsamen Asylsystem sein. Angefasst wurden dabei allerdings eher kleinere
Punkte: Künftig dürfen sich Asylentscheidungen nicht länger als sechs Monate
hinziehen und Asylbewerber sollen nach neun, nicht wie bisher nach zwölf
Monaten arbeiten dürfen. Die großen Punkte, wie Unterbringung und Zugang zu
medizinischer Versorgung, obliegen weiterhin den Mitgliedsstaaten. Für sie
gibt es lediglich "Mindestnormen".
Wie realistisch sind die Forderungen nun? Würde es Europa nicht überfordern, die Einreise von Flüchtlingen zu erleichtern, die Meere umfassend zu kontrollieren und mehr Schutzsuchende aufzunehmen?
Laut UNHCR
befinden sich derzeit weltweit etwa 45,2 Millionen Menschen auf
der Flucht – die meisten innerhalb ihres eigenen Landes. 15,4 Millionen
sind völkerrechtlich anerkannte Flüchtlinge. 80
Prozent von ihnen fliehen in Nachbarstaaten und nicht über das
Mittelmeer nach
Europa. Eine Flucht ist sowohl emotional, als auch organisatorisch und
finanziell eine große Belastung. Niemand nimmt sie leichtfertig auf
sich. Daran würden wohl auch legale Migrationsrouten kaum etwas ändern.
Die Angst, dass Europa von Flüchtlingen "überschwemmt" würde, ist nach
Ansicht von Fachleuten unbegründet.
Ein neues EU-Asylrecht ist in weiter Ferne
Auch wenn die Innenminister der EU an Dublin II festhalten, bedeutet
das nicht, dass für Flüchtlinge nicht schon jetzt mehr getan werden
könnte. Es gibt bereits Regelungen und Institutionen, die sofort
umgesetzt werden könnten: Der UNHCR sucht dringend nach Aufnahmeplätzen
für sein
Resettlement-Programm, der EU-Visakodex ermöglicht es seit 2009,
humanitäre Visa
auszustellen, nur werden diese kaum genutzt. Die europäische
Grenzschutzagentur
Frontex und das Grenzüberwachungsprogramm Eurosur verfügen über die
Technik und
Ausrüstung, in Seenot geratene Flüchtlinge auf dem Mittelmeer zu
entdecken und
zu retten. Nur werden sie bisher vor allem zur Abwehr genutzt.
Dublin II wurde im Sommer überarbeitet und heißt mittlerweile Dublin III. An der Grundidee des Systems hat sich aber so gut wie nichts geändert. Es sind vor allem die großen, mitteleuropäischen Länder wie Deutschland, die das bestehende System beibehalten wollen. Schließlich profitieren sie davon, wenn die Außenstaaten für den Großteil der Flüchtlinge verantwortlich sind. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sagte beim gestrigen Treffen der EU-Innenminister: "Dublin II bleibt unverändert, selbstverständlich."
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