In jedem Bücherregal fehlt etwas, sagen Laura Hage und Magdalena Mau. Sie sehnen sich nach Literatur mit "weiblichem Blick". Gemeinsam mit Kolleginnen haben die Pressesprecherin Hage und die Buchherstellerin Mau deshalb den Ecco Verlag gegründet. Er soll die Branche umkrempeln, das Leben endlich aus Sicht der Frau erzählen.
ZEIT ONLINE: Frau Mau, Frau Hage, weshalb braucht es einen "weiblichen Verlag"?
Magdalena Mau: Weil in der Literaturlandschaft der Blick von Frauen unterrepräsentiert ist. Wir geben Autorinnen den Raum, den sie bis heute in vielen Verlagsprogrammen nicht haben. Bei uns erzählen sie Geschichten aus der weiblichen Perspektive. Das ist wichtig, weil wir alle mit einem männlich geprägten Literaturkanon aufwachsen. Für Frauen ist es selbstverständlich, Bücher von Männern zu lesen. Andersrum kann man das leider nicht behaupten. Es ist allerhöchste Zeit, das zu ändern.
ZEIT ONLINE: Wie wirkt sich dieser Fokus auf die Themen der Bücher aus?
Mau: Inhaltlich setzen wir keine Grenzen. Wir verlegen nur Bücher, die wir selbst im Regal vermissen. Daraus entspringt unser Verlagsmotto: "Was wir lesen wollen." Wir publizieren Werke, die noch nicht - oder nicht auf diese Weise - erzählt wurden. Blond etwa, ein Roman über Marilyn Monroe, setzt dem männlich geprägten Urteil über die Ikone eine neue, weibliche Sicht entgegen. Da schreibt endlich mal eine Frau über diese Frau!
Laura Hage: Oder nehmen wir den Roman Was wir wollen von Meg Mason. Er erzählt von einer Enddreißigerin, die keine Kinder will, vielleicht auch keine bekommen kann. Darüber schreibt Mason auf eine so besondere Art, dass es mich wahnsinnig bewegt zurücklässt. Das ist es, was wir lesen wollen.
Mau: Noch ein Beispiel aus unserem ersten Programm: Die Unbezwingbare von Katja Kettu. Sie gibt Frauen eine Stimme, die in der Gesellschaft systematisch unterdrückt werden. Kettus Werk ist manchmal schwer zu ertragen. Zugleich beweist sie eine literarisch-poetische Stärke, die uns ganz nahe heranführt an die Protagonistinnen. Solche Blicke suchen wir.
ZEIT ONLINE: Was unterscheidet den weiblichen vom männlichen Blick?
Mau: Wir glauben nicht, dass es den einen Unterschied zwischen dem weiblichen und dem männlichen Blick gibt. Aber oft schreiben Männer auch über Frauen, also aus der Außenperspektive. Oder aber in Form der Annahme. Wir betonen stattdessen die Innenperspektive, die ich persönlich als viel ehrlicheren Ton wahrnehme.
ZEIT ONLINE: Es gibt bereits einige , die nur Bücher von Frauen für Frauen veröffentlichen. Was unterscheidet Ecco von ihnen?
Hage: Jede von uns fünf Kolleginnen ist in sämtliche Entscheidungen eingebunden: von der Akquise über die Produktion bis hin zu Marketingstrategien. Interviews geben wir gemeinsam. Als wir all das unserer Autorin Katharina Höftmann Ciobotaru erzählten, sagte sie: "Frauen eben!" Das macht uns als Verlag aus.
ZEIT ONLINE: Flache Hierarchien gibt es auch in anderen Häusern.
Hage: Ja, aber uns zeichnet außerdem aus, dass wir unseren Fokus konsequent durchziehen. Alle Menschen, die an den Büchern arbeiten, sind Frauen. Die Urheberinnen der Fotografien für unsere Layouts etwa. Das Cover von Blond ist ein gutes Beispiel. Eine unfassbare Auswahl an Fotos lag vor uns, wir haben uns schnell in ein Bild verliebt. Das hatte natürlich ein Mann geschossen. Im ganzen Kulturbereich, auch in der Fotografie, zeigt sich das immer wieder: Es gibt viel weniger Frauen, die derart im Rampenlicht stehen wie ihre männlichen Kollegen. Spätestens an diesem Punkt war klar: Wir haben uns vor eine große Herausforderung gestellt. Auf der anderen Seite ist Konsequenz gerade deshalb wichtig. Wir haben bei Blond das Foto an eine Illustratorin weitergegeben, die ein eigenes Werk daraus gemacht hat.
ZEIT ONLINE: Wenn das beste Foto von einem Mann stammt, muss um der Konsequenz willen trotzdem eine Frau ran? Geht das nicht auf Kosten der Qualität?