Wie kann die HAW ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gegenüber Flüchtlingen gerecht werden? Dieser Frage geht Tanja Chawla nach, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Department Soziale Arbeit. Ihre Antwort: Eine interkulturelle Öffnung der Hochschule - sowohl nach innen als auch nach außen - ist eine gute Möglichkeit, Vielfalt zu fördern und mit Vorurteilen aufzuräumen.
Eine diskriminierungsfreie Hochschule zu schaffen bedeutet auch, Zugänge zu ermöglichen. "Ein zentraler Punkt ist die der Anerkennung und Bewertung ausländischer Abschlüsse", sagt Chawla, "aber auch der Förderung aller Studierender mit Unterstützungsbedarf, die vielleicht keine Flucht, aber einen Migrationsbezug haben oder ›first student in family‹ sind." Ebenso müsse überlegt werden, wie ein Zertifikat nach einer Gasthörerschaft an der HAW aussehen sollte. Wie etwa können die erbrachten Leistungen aufgezeichnet und welche akademischen Äquivalenzen aufgezeigt werden? Diese Fragen müssten im nächsten Anlauf des Projekts geklärt werden - auch von der Politik, fordert die wissenschaftliche Mitarbeiterin. Denn: Dieses entscheidet nicht zuletzt über die Studienplätze und Studienkapazitäten.
Grundsätzlich hat die Hochschule eine sogenannte Ausländer/innen-Quote von zehn Prozent. Diese Quote wird jedoch nie gänzlich ausgereizt. Chawla fordert daher "ein Wollen und Öffnen sowie eine gewisse Flexibilität von vielen", der Hochschule, der Gesellschaft und der Politik. Das Gasthörer/innen-Projekt kann dabei nur ein Teil neben vielen anderen wichtigen Maßnahmen an jeder Hochschule sein. Eine dieser Maßnahmen bildet das Projekt "Dialoge der Vielfalt", das die wissenschaftliche Mitarbeiterin im Auftrag des Präsidiums mitkoordiniert. Die hochschulweite AG entstand im Sommer 2014, nachdem am Department Berliner Tor Gebetsteppiche gebrannt hatten. Bis heute ist unklar, vor welchem Hintergrund dies geschah, es verdeutlicht aber die Situation, "dass Studierende in der Hochschule Rückzugsräume brauchen zum Beten, zum Meditieren und zum Entspannen", so Chawla. Im Fokus des Projekts steht daher das Thema der interkulturellen Öffnung der HAW. Aus dem Kontext heraus entstand auch die Idee für einen "Raum der Stille für Alle". Studierenden soll damit Zugang zu einem Zimmer ermöglicht werden, in dem sie beten, meditieren oder sich einfach zurückziehen können - diskriminierungsfrei. Ein Rückzugsort für alle.
Im Sommer 2015 rief Dr. Adelheid Iken, Professorin für Interkulturelle Kommunikation, zusammen mit Dr. Anke Butscher das Projekt "Sharing knowledge and experiences" ins Leben. Nach einem halben Jahr zieht die Professorin nun Bilanz: "Wir müssen an Schwachstellen arbeiten. Die Hochschulinfrastruktur muss auch für Gasthörer mit zu nutzen sein." Dies bedeutet: Zugang zu Plattformen zu haben, Bücher ausleihen zu können und auf Lernmaterialien im Netz Zugriff zu haben. Für eine bessere akademische Integration fehlt es allerdings an finanziellen und personellen Ressourcen. Bisher koordiniert Prof. Iken das Projekt neben ihrem Unterricht mit der Unterstützung von Studierenden. Auch viele Kollegen oder etwa zertifizierte interkulturelle Trainer boten ihre ehrenamtliche Hilfe an. "Da ist eine sehr große Bereitschaft", erzählt sie. Damit sich das Projekt jedoch weiter entwickeln kann, bedarf es einer guten Organisation. Sie plädiert deshalb für die Einrichtung einer zentralen Stelle, die das Projekt mit seinen vielen Komponenten koordiniert. Angesichts der gegenwärtigen Situation geht sie aber davon aus, dass das Projekt auch in Zukunft von der Hochschule unterstützt wird. Das Potential des Projekts sieht die Professorin hauptsächlich neben der sozialen Integration in der akademischen Orientierung der Geflüchteten. Für viele Geflüchtete war das Projekt "ein Teil des Ankommens - und des Wachsens", sagt sie. Durch die Gasthörerschaft hatten sie die Möglichkeit bekommen, Anschluss an die Hochschule zu finden. Gleichzeitig weite es "unseren Blick globaler zu denken".
Bei vielen Studierenden merkt sie inzwischen eine ganz andere Reflexion über sich selbst und eine neue Wertschätzung für das eigene Glück, zum Beispiel relativ sorglos studieren zu können. Für andere Studierende war der Kontakt zu Geflüchteten Anlass, in der Familie erstmals über eigene Fluchterfahrungen zu sprechen. Letztendlich erkennt sie vor allem bei den Geflüchteten selbst eine positive Veränderung. "Es war schön zu sehen und zu erleben, wie sie im Laufe der Zeit angekommen sind und sich im Unterricht mit eigenen Beiträgen beteiligt haben", erinnert sie sich. Dennoch bleibt die Frage nach dem Nutzen einer Gasthörerschaft. Am Ende bekommen die Geflüchteten eine Teilnahmebescheinigung - aber was dann? "Für eine akademische Integration reicht ein solches Zertifikat natürlich nicht aus, aber wir haben Ideen und Pläne, das Projekt weiterzuentwickeln", sagt Iken.
Original