... und plötzlich ändert sich alles. Ich kann meine Gefühle kaum in Worte fassen. Das, was sich gestern Abend in Paris ereignet hat, ist unfassbar und unsäglich grausam, traurig, erschreckend, beängstigend und furchtbar. Junge Menschen trafen sich an einem herbstlichen Freitagabend, um miteinander zu reden, zu essen, zu tanzen, zu lachen, zu leben. Ein Moment voller Leben und Liebe wurde von einer Sekunde zur nächsten zu einem Moment voller Tod und Hass. Junge Menschen wurden sinnlos ermordet, hingerichtet, ausgelöscht. Was bleibt ist die Angst, die Wut, die Trauer und die nie enden wollende Frage nach dem Warum. Wie konnte so etwas passieren? Warum musste so etwas passieren?
Es sind die Momente im Leben, in denen wir inne halten, in denen es auf einmal ganz still ist, in denen wir anfangen die Welt zu sehen, wie sie ist. Jeden Tag sterben Menschen. Es ist uns nicht egal, es geht nicht gänzlich an uns vorbei - dennoch bewahren wir eine gewisse emotionale Distanz dazu. Uns ist bewusst, dass jeden Tag Menschen in Bürgerkriegen, durch Armut oder Gewalt sterben. Wo soll man anfangen? Wir hören etwa von den Umständen im Nahen Osten, aber reden nicht von den vielen Toten, die der Krieg und die Schreckensherrschaften nach sich tragen. Wir reden über „Lawinen von Flüchtlingen", über den Koalitionsstreit oder echauffieren uns über die korrupten Missständen innerhalb der FIFA oder den VW-Abgasskandal. Warum? Weil es uns direkt betrifft. Alles andere scheint weit entfernt zu sein. Nicht in unserem Interessensbereich. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel vor wenigen Wochen in der Talkshow bei Anne Will saß, sagte sie, dass auch sie bisher immer das Gefühl gehabt hätte, dass die Probleme im Nahen Osten „so weit weg" seien. Es war nicht greifbar. Vielen von uns mag es ähnlich ergangen sein. Es liegt in unserer Natur solche Missstände zu verdrängen. Es ist ein ganz natürlicher Verdrängungsmechanismus, der durch egoistische Überlebensinstinkte geleitet wird. Doch dann passiert plötzlich so etwas wie gestern in Paris unmittelbar in unserer Nähe, bei unseren Freunden und Nachbarn. Es passiert auf so unerwartete Art und Weise. Und genau das trifft uns so sehr, da uns nun schmerzlich bewusst wird: Das hätten auch wir sein können. Plötzlich solidarisieren wir uns, denn uns überkommt eine Flut von Angst. Ein noch nie in der Form dagewesener Ausnahmezustand lässt uns den Atem anhalten.
Ein Zeitalter des Terrors. Er ist bereits seit Jahren omnipräsent. Seit den Anschlägen des 11. Septembers ist der Westen in Terror-Alarmbereitschaft. Geheimdienste agieren paranoid, beginnen flächendeckend und verdachtsunabhängig zu überwachen. Manch einer mag sagen, dass etwa die NSA den Terror zur Legitimation einer Massenüberwachung ausnutze. Vielleicht. Aber die Wahrheit ist doch, die Paranoia ist mittlerweile kein irrationales Hirngespinst mehr - es ist Realität. Denn es passiert immer öfter. Die Anschläge nahmen mit den Jahren zu, auch wenn sich die Beweggründe und die Terrororganisationen zeitweise änderten. Seit wenigen Jahren fürchtet die Welt den Islamischen Staat. Er ist brutal, radikal und vor allem unberechenbar. Im Zeitalter der Digitalisierung sind die Möglichkeiten der Mobilisierung und Manipulation unendlich. Soziale Netzwerke ermöglichen das Rekrutieren junger, perspektivloser und wütender Menschen, die sich erhoffen etwa durch den IS ein Stück Macht zu erlangen, einen Sinn in ihrem Leben zu finden und vielleicht am Ende ihres Lebens sagen zu können, etwas erreicht zu haben. Angelockt durch Geld, Handlungsoptionen und einer „vielversprechenden" Zukunft, schließen sich immer mehr dem Terror an. Kontrollieren lässt sich dieser Mechanismus nur schwer. Netzkontrolle? Wie ließe sich so ein Vorhaben überhaupt in der Praxis umsetzen? Was würde dies für unsere Freiheit bedeuten, unsere informationelle Selbstbestimmung? Wir müssten auf unsere Grundrechte verzichten. Doch würden sich dadurch überhaupt Anschläge verhindern lassen? Wir kennen die Statistiken, die belegen, dass etwa Maßnahmen, wie die Vorratsdatenspeicherung, keine signifikante Anzahl an terroristischen Anschlägen hatte verhindern können.
Millionen von Bits kontrollieren zu wollen, ist eine megalomane Vorstellung. Praktisch einfach nicht realisierbar. Wenn überhaupt wäre dies nur im geringen Ausmaße möglicherweise erfolgreich - dann allerdings auf Kosten der humanitären Freiheit. Dann würden wir in kürzester Zeit dystopische Zustände erleben, wie sie etwa George Orwell, Dave Eggers oder Aldous Huxley skizzierten. Und was das für uns bedeuten würde, will ich mir gar nicht ausmalen...
Er hat eine Angst ausgelöst, die bereits seit Längerem in uns rumorte. Nun kommt er zum Ausbruch. Meine Mutter stand heute Morgen mit Tränen in den Augen vor mir und sagte, sie wisse nicht mehr, ob wir gemeinsam zu „La Traviata" im Januar gehen sollten. Sie habe jetzt Angst am öffentlichen Leben teilzunehmen. Das sind die kleinen Ängste, die uns überkommen. Wir fühlen uns ohnmächtig, hilflos, eingeschränkt. Doch ist es nun wirklich der richtige Weg zu resignieren? Da muss ich ganz klar sagen: Nein. Das Bewusstsein ist (spätestens jetzt) geschaffen. Das ist auch gut so. Aber wir dürfen den - pardon - Monstern nicht unser Leben übergeben. Wir müssen standhaft bleiben, weiterleben und vehement dagegen ankämpfen. Der Terror wird unsere freie Demokratie nicht zerstören können. Er wird unsere jahrhundertlang erkämpfte Kultur nicht zum Einstürzen bringen. Und noch viel wichtiger: Er darf unsere tiefverankerten Werte nicht zunichtemachen. Denn dies macht mir persönlich noch viel mehr Angst: Was hat dieser Anschlag für Konsequenzen innerhalb unserer Gesellschaft?
Es ist nicht schwer zu erkennen, dass sich nun die rechtspopulistische Seite, die sich in den letzten Jahren und vor allem Monaten stark mobilisiert hat (Stichwort: Pegida, Afd etc.), in ihren verqueren Einstellungen bestätigt fühlt. Und ich befürchte, dass der Anschlag in Paris auch auf Kosten der fliehenden Menschen aus Syrien, Afghanistan und allen anderen islamistisch geprägten Ländern geht. Ich spreche nun vor allem aus der Sicht hierzulande. Wird die Politik der „offenen Grenzen" noch für die deutsche Bevölkerung tragbar sein? Wie werden sich rechtspopulistische und rechtsradikale Gruppierungen in Zukunft verhalten? Und was passiert mit der unentschlossenen Mitte, die sich zunehmend für eine ideologische und politische Richtung entscheiden wird und muss?
Daher müssen wir jetzt gerade hierzulande standhaft bleiben. Nicht nur dem Terror gegenüber, sondern uns selbst gegenüber. Wir müssen den Mund aufmachen und für unsere Werte einstehen. Der Islam ist nicht der Terror. Die, die sich wirklich mit der Thematik beschäftigen, wissen das. Aber die breite Masse ist dumm. Das ist eine traurige Wahrheit. Und das ist gefährlich. Denn gerade die „dumme Masse" ist leicht zu manipulieren. So funktioniert die Psychologie der Massen leider. Nur so schaffen es überhaupt Diktatoren auf der einen und Freiheitskämpfer auf der anderen Seite, Massen zu mobilisieren, zu manipulieren und somit zu kontrollieren (siehe „Psychologie der Massen" von Gustav Le Bon). Dies ist eine Dynamik, die schwer kontrollierbar ist. Und da wären wir schon wieder beim Thema Digitalisierung.
Ohne soziale Medien, wie Facebook, wäre so eine rassistisch geleitete Dynamik gar nicht in dem Ausmaße möglich. Wie wir wissen, generiert Facebook unsere auf der Startseite angezeigten Inhalte durch Algorithmen. So werden die Inhalte, die wir liken oder kommentieren, in diesem Algorithmus verarbeitet, sodass uns in Zukunft vermehrt Informationen angezeigt werden, die mit den bisherigen Informationen übereinstimmen. So bekomme ich beispielsweise sehr selten „rechte Ansichten" angezeigt. Stellen wir uns nun aber einen Pegida-Sympathisanten vor. Dieser fängt an der Pegida-Facebook-Seite zu folgen, „liked" vermehrt rassistische Kommentare anderer User, teilt Artikel von etwa Akif Pirinçci und nimmt gleichzeitig an der nächsten Montagsdemonstration in Dresden teil. Was passiert als nächstes? Nach und nach merkt sich der Algorithmus sein Nutzerverhalten und somit sein derzeitiges Informationsinteresse. Nun werden ihm vermehrt Informationen angezeigt, die mit seinen bisherigen Ansichten übereinstimmen. Das Resultat? Nach kürzester Zeit hat dieser Nutzer das Gefühl, dass alle um ihn herum die gleichen Ansichten teilen. Er wird somit in seiner Meinung bestärkt und bestätigt - gleichzeitig fängt er an die Gegenargumentationen auszublenden, da ihm diese ja tatsächlich nicht mehr angezeigt werden. Alle Informationen, die seinen bisherigen Ansichten widersprechen, werden einfach ausgeschlossen, sprich, nicht mehr auf seiner Startseite angezeigt.
Ohne es zu merken, geraten wir also im Prinzip alle in eine Art digitale Informationsisolation.
Der Internetaktivist (und meiner Meinung nach realistischer Netzvisionär) Eli Pariser nennt dieses Phänomen „informational bubble". Eine Filterblase, die wir im Prinzip durch unser eigenes Nutzverhalten unbewusst generieren und uns unserer Informations- und Meinungsvielfalt beraubt. So funktioniert die „Verdummung der Massen" im digitalen Zeitalter.