Ghetto - in Dänemark ist das kein Jugendslang, sondern Amtssprache. Vor zwei Jahren veröffentlichte die Regierung ihren „Ghetto-Plan": Sozialbauten abreißen, Mieter umsiedeln, die Demografie in den Vierteln verändern. Wer sein Kind nicht in die Kita steckt, wo es Dänisch lernt, dem droht die Kürzung von Sozialleistungen. Vergehen wie Vandalismus und Diebstahl können im Ghetto doppelt so hoch bestraft werden wie im Rest des Landes.
Ghetto - das ist in Dänemark aber auch Lyrik. „TROTTELKANAKEN VON / WOHNBLOCK ZU / WOHNBLOCK / STRASSENDSCHIHADIST VON ECKE ZU ECKE / LAK SHU ALTER", so beschrieb der Dichter Yahya Hassan Gellerup, das Viertel seiner Kindheit im Westen von Aarhus, Dänemarks zweitgrößter Stadt. Die Großbuchstaben sollten zu Hassans Markenzeichen werden, als hätte er mit den Fäusten jede einzelne Silbe ins Papier geschlagen.
Hassan, Sohn palästinensischer Einwanderer, veröffentlicht 2013 seinen ersten Gedichtband. Da ist er 18 Jahre alt. Wütende Worte prasseln auf die dänische Gesellschaft ein, die gerade eine hitzige Debatte über Integration führt. Gewalt, religiöser Fanatismus, Sozialbetrug - was der Dichter beschreibt, bestätigt das Image der Plattenbausiedlungen von Aarhus-West. Sein Gedichtband wird in Dänemark zum Bestseller, macht Hassan auch in Deutschland bekannt und löst einen Medienhype um ihn aus. Islamisten schicken ihm Morddrohungen. Rechte Politiker zitierten seine Gedichte, um zu beweisen, dass Leute wie er nicht nach Dänemark passen. Und Linke warnen vor seinen Texten, weil sie islamfeindlichen Positionen dienen. Hassan muss bald unter Polizeischutz leben.
In Interviews beteuert der Jungstar immer wieder: „Ich bin nicht verantwortlich für die Auslegung meiner Gedichte." Was er aufschreibt, handle weder explizit von Muslimen noch von Einwanderern. Es gehe um die Realität der dänischen Unterschicht in den Ghettos. Mit Maßnahmen wie dem „Ghetto-Plan" sind die Wohnblöcke immer mehr zum Symbol verkommen, an dem sich Politiker jeglicher Couleur abarbeiten. Besonders deutlich wird das in Gellerup - wo man sich uneins über die Verse des Dichters ist, der Ende April tot in seiner Wohnung aufgefunden wurde.
Dabei war Gellerup mal so etwas wie ein Vorzeigeprojekt, als man das Viertel Ende der 1960er-Jahre und in den frühen Siebzigern aus dem Boden stampfte: modernes Wohnen, eigenes Einkaufszentrum, viel Platz für Kinder. Vor allem Familien aus der unteren Mittelklasse zog es hierhin, sechs Kilometer vom Zentrum entfernt. Wer Glück hat, blickt bis heute von den oberen Balkons auf einen nahen See. Ähnlich wie in Deutschland waren in dieser Anfangszeit Gastarbeiter nach Dänemark gekommen, insbesondere Menschen aus dem Libanon und Somalia fanden später in den Sozialbauten Zuflucht. Darunter auch die Familie von Dichter Yahya Hassan.
Heute hängt schon am Plattenbau neben der Autobahnzufahrt ein Großplakat, das für den Masterplan des Viertels wirbt. Denn was die Ghettopläne der Regierung in der Umsetzung bedeuten können, spüren die Bewohner in Gellerup schon lange: Eine neue Straße zieht sich wie eine Einflugschneise durch das Viertel, das nach der dänischen Schriftstellerin Karen Blixen benannt ist - eine umstrittene Entscheidung, da Rassismusvorwürfe gegen sie im Raum stehen.