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Gesellschaft: Gemeinsam einsam

München, Hackerbrücke. Mitten in der Großstadt kann man einsam sein - selbst zu zweit. (Foto: mauritius images)

Am Anfang sind sich Verliebte selbst genug. Doch zu viel Zweisamkeit kann einsam machen und die Beziehung gefährden. Warum es wichtig ist, sich als Paar nicht abzuschotten. 

Sie leben auf einer Insel, auf der es nur sie beide gibt. Jeden Morgen schwimmen sie los, in zwei verschiedene Richtungen. Durch den Ozean der Anonymität. Sie verbringen ihren Tag auf anderen Inseln, treffen dort Menschen, teilen den Alltag mit ihnen. Abends schwimmen sie wieder zurück und erzählen davon. Zwischen den Inseln aber gibt es keine Brücken.

  Ich kenne so eine Insel. Ich habe selbst auf ihr gelebt. Sie war unsere ganze Welt. Es gab nur ihn und mich, und das war perfekt. Bis ich irgendwann zum anderen Ufer hinüberschaute und merkte: Wir sind hier ganz allein. Wir sind mitten in der Großstadt gesellschaftlich isoliert.

  Ich glaube, es geht heute vielen Paaren so wie uns: Zu zweit neu in der Großstadt, so fängt es oft an. Voller Vorfreude auf das gemeinsame Leben, die gemeinsame Wohnung. Nachdem man jahrelang aus dem Koffer gelebt hat, ist der Gedanke aufregend, das erste Mal ein bisschen Bodenständigkeit zu erleben. Man richtet das Wohnzimmer ein, einigt sich auf den gemeinsamen Lieblingsbäcker und die Joggingstrecke an der Isar. Hängt sich am Tag im Job rein, verschmilzt abends auf dem Sofa, formt an den Wochenenden eine Seilschaft am Watzmann. Immer zu zweit in unserer Paar-Bubble. Alles harmonisch, nichts fehlt. Gefährlich.

  Um sich herum einen Kokon aufzubauen, sei zu Beginn einer Beziehung normal, sagt die Soziologin Insa Schöningh. Es finde jedes Mal statt, wenn sich zwei Menschen verlieben. „Man will pausenlos beieinander sein, sich kennenlernen und sich seine eigene Welt erschaffen. Man schottet sich automatisch ab.“ Im Normalfall löse sich diese Bubble aber nach einem halben oder spätestens einem Jahr wieder auf. Das Paar will sein Glück nach außen demonstrieren und seinen Freunden und der Familie den neuen Partner vorstellen. Dauert der isolierte Zustand des Pärchens aber länger als ein Jahr, könne die Beziehung auf lange Sicht schwierig werden, da niemand das Paar als Paar wahrnimmt. Paare brauchen Bestätigung von außen, igeln sie sich ein, gibt es diese Rückkopplung nicht.

  Wir sind alle soziale Wesen. Wir brauchen zwischenmenschlichen Austausch und die Wahrnehmung durch andere, ob als Individuum oder als Paar. Gemeinsame Freunde tragen die Beziehung. Ist man zu zweit auf lange Zeit nicht unter Menschen, fängt es irgendwann zu kriseln an. Genau diese eine Sollbruchstelle kann die Beziehung gefährden, sobald andere Streitfaktoren hinzukommen.

  Ein verrücktes Auslandsjahr nach dem Abi, Studium hier, Praktikum dort, dann wieder ein Jobangebot in der nächsten Stadt. Wir sind in unseren Zwanzigern pausenlos unterwegs, lernen überall in der Welt Leute kennen. Die grenzenlose Mobilität gehört zu unserer Generation dazu, es ist normal für uns, immer wieder umzuziehen. Europa kennt keine Grenzen. Freundschaften kennen keine Grenzen. Aber am Ende packen wir unsere Koffer und stehen wieder alleine da, fangen von vorne an. Die Kehrseite der Mobilität. Eine Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach ergab 2014, dass häufige Umzüge negative Auswirkungen auf Freundschaften haben.

  Wer aus seiner Heimatregion wegzieht und danach mehr als zweimal umzieht, hat Umfragen zufolge seltener gute und viele Freunde als die Klassenkameraden, die in der Heimat bleiben. Gleichzeitig steigt die Zahl der Fernfreunde, die man im Studium und im Ausland kennenlernt. Natürlich, aus solchen Kontakten entstehen Freundschaften fürs Leben. „Du musst mich unbedingt besuchen.“ – „Klar, wir sehen uns ganz bald wieder!“ Am Ende schaffen wir es aber viel zu selten, weil unsere Freunde quer über Europa verteilt sind und die Zeit und das Geld fehlen, um sie zu besuchen. Wir sind bereits am nächsten Ort, bauen uns dort ein Leben auf. Über Instagram ist man sich nah, kommentiert Storys, schickt sich Herzen. Im Alltag aber sind die fernen Freunde dann doch zu fern.

  Im Alltag gibt es nur sie und ihn. Und eine immer intimere Zweisamkeit, bis hin zur Kauzigkeit. Er weiß, dass es ihr gut geht, wenn sie herumtollt wie ein Hund. Sie findet ihn schön, selbst in der zerknautschten Jogginghose. Wenn ein Paar nur noch in Zweisamkeit lebt, verändert es sich, kreiert eine Art Mikrokosmos. Partnerschaften bekommen dann einen sektenartigen Charakter, sagt Ulrich Clement, Professor für Medizinische Psychologie und Sexualforscher an der Universität Heidelberg.

  Es sei normal, dass Partner mit der Zeit ihre eigene Nische bilden, eine Geheimsprache und Rituale entwickeln, mit denen sie sich von der Außenwelt abgrenzen. Ungesund sei aber, die Aufmerksamkeit nur noch auf sich selbst zu lenken. Die Aussage „Du bist alles für mich“ sei am Anfang einer Beziehung romantisch, könne sich jedoch in eine toxische Richtung entwickeln: „Die Partner idealisieren sich, ihnen kann der Atem aber schnell ausgehen.“

  Noch problematischer ist es, wenn uns nicht nur gemeinsame Freunde fehlen, sondern wir als Einzelpersonen wenige Bekanntschaften pflegen. Die starke Bindung zwischen uns und unserem Partner ist von einem gewissen Zeitpunkt an nicht mehr positiv, sondern belastend. Wir erwarten zu viel von unserem Partner, projizieren zu viele Hoffnungen und Wünsche auf eine Person. Die Gefahr, sich ständig gegenseitig zu enttäuschen, weil man die Erwartungen nicht erfüllen kann, ist umso größer. „Partner, die keine eigenen Freunde haben, sind gefährliche Partner“, sagt Clement. „Kein Partner der Welt kann alles liefern.“

  Und so kommt der Tag, an dem die eine Couchkartoffel sich bewegt, an dem sie die Bequemlichkeit aufgibt und den Kollegen in die Bar folgt. Alleine. Sie geht nicht, sie hüpft. Sie fühlt sich lebendig. Die Stadt flirrt in einer warmen Sommernacht. Weißwein auf dem Bürgersteig vor der ersten Bar. Gin Tonic in einer zweiten. In der letzten S-Bahn auf dem Nachhauseweg glüht dann die Erkenntnis warm in ihr: Es gibt auch ein Leben außerhalb der Paar-Bubble.

  Doch wo war er? Im nächtlichen Treppenhaus nach oben nimmt dieser Gedanke ihr den Schwung. Warum kennt er die Menschen nicht, von denen sie abends erzählt? Wann haben sie zuletzt mal Leute eingeladen? „Die Entwicklung verläuft nicht synchron“, sagt der Psychologe Ulrich Clement. „Es gibt immer eine Person, die als Erstes die Situation hinterfragt und sich darüber klar wird, dass beide versäumt haben, sich um ihre gemeinsamen sozialen Beziehungen zu kümmern.“ Aber wie spricht man es an, wenn man sich isoliert fühlt? „Schatz, wir haben keine Freunde“, so ein Satz kann merkwürdig klingen. Und ist doch ein guter erster Schritt. Vielleicht ist man aus Versehen in diese Situation geraten. Sich bewusst zu machen, dass man sich auf seiner Paar-Insel abgeschottet hat, ist ein Anfang. Sie will da jetzt raus. Und er? Vielleicht war er immer ein Eigenbrötler? Vielleicht ist er gar eifersüchtig auf die neuen Menschen in ihrem Leben – und sei es nur die Kollegin. „Uns ging es doch gut zu zweit!“

  Die Bereitschaft, Freunde zu suchen und Freundschaften zu pflegen, sei eine Typfrage, sagt Paartherapeutin Renate Trucksaess. „In der Grundstruktur ist der Mensch auf Gemeinschaft sozialisiert. Es gibt aber auch Menschen, die introvertiert sind und ein geringeres Verlangen nach einem großen Freundeskreis haben.“

  Wie viele Menschen wir kennen, hängt auch von der Lebensphase ab. Singles haben häufig mehr Freunde als vergebene Menschen. Erst mit eigenen Kindern wächst auch bei Paaren der Freundeskreis wieder. Gespräche über schlaflose Nächte und Schnuller-Entwöhnung verbinden. Am Rand des Fußballplatzes ihrer Sprösslinge formen sich Eltern zu einer natürlichen Schicksalsgemeinschaft.

  Als Mittzwanziger-Paar muss man sich solche Gemeinsamkeiten mit anderen erst schaffen. Man versucht, den Partner jeweils bei den eigenen Freunden zu integrieren. Normalerweise vermischen sich dann bereits existierende Kreise. Deine Freunde, meine Freunde, unsere Freunde. Manchmal aber hat der eine Kumpels, die dem anderen nicht passen. Manchmal fühlen sich beide beim anderen wie ein Anhängsel. Oder man ist eben zu zweit neu in der Stadt. Dann heißt es, gemeinsam neue Freunde finden. „Nicht die Stadt ist anonym, sondern die Menschen machen sich selbst anonym“, sagt Renate Trucksaess. „Wer Kontakt möchte, muss sich auf Kontakt einrichten und aktiv auf Menschen zugehen.“

  Die Paar-Bubble kann man nur zu zweit platzen lassen. Schafft man es nicht, ist die Beziehung vielleicht sogar am Ende, weil einer der beiden mit der Situation nicht mehr klarkommt.

  Wie wäre es, endlich mal wieder zusammen auszugehen? Da gibt es zum Beispiel „Meetup“. Die App wurde schon mehr als fünf Millionen Mal heruntergeladen. Über das Netzwerk kann man je nach Interesse Leute kennenlernen und sich für Fototouren, Lauftreffs, Yoga im Park oder Pubcrawls verabreden. An einem Wochenende finden allein in München mehr als 70 verschiedene Treffen statt. Vielleicht wird es ein Flop, vielleicht ergibt sich auch mehr daraus.

  Freundschaften kann man nicht erzwingen, und sie entstehen auch nicht von heute auf morgen. Das für den einzelnen Menschen schon schwierig, und wenn man dann als Zweiergespann auf Freundessuche geht, wird es nicht einfacher. Aber jetzt gehen wir da raus und lernen diese Menschen kennen.

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