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Kommt die Soforthilfe in der Corona-Krise rechtzeitig?

Vor allem Selbständige, Freiberufler und Unternehmer sehen in der Corona-Krise nicht nur ihre Gesundheit, sondern auch ihre Existenzgrundlage bedroht. Die Bundesregierung und die Landesregierungen bieten mittlerweile finanzielle Unterstützung an. Kritiker der Hilfsmaßnahmen finden: Zu umständlich, zu langsam, zu lückenhaft. Und bezweifeln, dass sie ausreichen, um möglichst vielen Selbständigen zu helfen, die gerade Existenzängste haben.


Der Weg für die Auszahlung von Finanzhilfen an Solo-Selbstständige, Kleinunternehmer und Landwirte ist seit dem 30. März - in der Theorie - frei: Sie können, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen, in der Corona-Krise Zuschüsse erhalten. Unternehmen, die bis zu zehn Beschäftigte zählen, müssen dafür einen Antrag bei der Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz (ISB) stellen. Für Unternehmen mit zehn bis 30 Arbeitsplätzen hat das Land außerdem einen Zukunftsfonds eingerichtet, dessen Sofortdarlehen über die Hausbanken beantragt werden können. Die ISB ist auch die zentrale Anlaufstelle für Kreditbürgschaften des Landes - dazu wenden sich die Unternehmen zunächst an ihre Hausbank.


Doch rund zwei Wochen nach Start des Programms wird die Kritik an der Durchführung seitens einiger rheinland-pfälzischer Unternehmer immer lauter: Die Antragstellung sei umständlich, die Bearbeitung zu langsam, viele Betroffene hätten keine Eingangsbestätigung erhalten - von einer Zu- oder Absage für die Finanzhilfen ganz zu schweigen. In anderen Bundesländern sei die Antragsbearbeitung moderner und schneller, kritisieren sie.


Flut von Anträgen in den ersten Stunden

In den ersten zwölf Stunden, nachdem das Formular auf der Webseite der ISB zur Verfügung gestellt wurde, sind nach Angaben einer Sprecherin der Bank am 30. März bereits mehr als 2.100 Anträge per Mail eingegangen. Zusätzlich seien auch per Fax viele Anfragen eingetroffen: "Das Fax ist übergelaufen." Das Interesse sei schnell so hoch gewesen, dass das Online-Formular aus technischen Gründen zeitweise nicht erreichbar gewesen sei.


Mit dem Zuschuss könnten rund 140.000 Selbstständige und Kleinunternehmer die dringend benötigte Liquiditätshilfe erhalten, hatte Wirtschaftsminister Volker Wissing (FDP) zuvor verkündet, nachdem Bund und Länder sich auf letzte Details darüber geeinigt hatten, wie und vom wem die Hilfen beantragt werden können.


Umsetzung der Soforthilfe nicht zufriedenstellend

Peter Marschall betreibt ein Fotofachgeschäft in Mainz - seine bisherigen Erfahrungen im Rahmen der Corona-Krise als Selbständiger sind ernüchternd: Als er auf behördliche Anordnung seine Firma am 18. März schließen musste, ergriff er frühzeitig Maßnahmen, um die Zeit ohne Einnahmen zu überbrücken. Die in der Corona-Krise bei den Unternehmen und Behörden zuständigen Ansprechpartner, um etwa Leasing-Verträge für Firmenwagen ruhen oder Sozialversicherungsbeiträge stunden zu lassen, musste er mehrmals kontaktieren, bevor er erst zwei beziehungsweise drei Wochen später Rückmeldungen erhielt. Die Beiträge seien dennoch erst einmal regulär abgebucht worden. Seine Erfahrung mit der Soforthilfe sei noch negativer: "Ich begrüße, dass ein solches Programm aufgelegt wurde, aber an der unmittelbaren Umsetzung hapert es gewaltig."


Das Programm verdiene den Namen Soforthilfe nicht, meint Marschall: "Am Montag, den 30. März, habe ich bereits am Morgen den Antrag auf Soforthilfe bei der ISB vollständig ausgefüllt und komplett, also mit allen notwendigen Unterlagen versehen, an die zuständige E-Mail-Adresse geschickt. Erst 14 Tage später bekam ich endlich eine Mail, die mir den Eingang des Antrags bestätigte." Eine Zahlung, oder zunächst eine Mitteilung darüber, wie diese ausfallen wird, stehe jedoch noch immer aus. Peter Marschall ist enttäuscht: "Ich ging davon aus, dass ich durch mein frühzeitiges Handeln die finanziellen Belastungen abfedern kann. Aber von kurzfristiger, solidarischer Unterstützung kann hier nicht die Rede sein - oder sie braucht Zeit." Diese Zeit hätten viele kleine Unternehmer und Mittelständler jedoch nicht.


ISB bittet um Geduld, Landesregierung begründet längeres Verfahren

Eigentlich hätte auf die gestellten Anträge eine automatische Empfangsbestätigung folgen sollen - dieser Vorgang lief zunächst jedoch nicht fehlerfrei ab: "Sofern bei den Antragstellern keine Fehlermeldung eingegangen ist, ist uns der Antrag zugegangen", heißt es dazu auf der Webseite der ISB. Vor Ostern wurde an dieser Stelle außerdem um Geduld gebeten: "Die Anträge werden derzeit mit Hochdruck bearbeitet - bevor das Geld ausgezahlt wird, erhalten Antragsteller einen Zusagebescheid."

Am Karfreitag gab die Landesregierung bekannt, dass rund zwei Wochen nach dem Start des Programms 2.450 Anträge mit einer Summe von 10,5 Millionen Euro bewilligt worden seien. Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) und Wirtschaftsminister Volker Wissing (FDP) seien sich einig: "Unternehmerinnen und Unternehmer in Rheinland-Pfalz sollen möglichst schnell und rechtssicher die Soforthilfe ausgezahlt bekommen." Auf Nachfrage teilte eine Sprecherin der ISB dem SWR am Dienstag mit, die Anzahl der bewilligten Anträge habe sich nach Ostern nun auf 7.000 erhöht. Die Gesamtsumme der genehmigten Gelder betrage 56 Millionen Euro. Bisher seien insgesamt 30.000 von 65.000 gestellten Anträgen bearbeitet worden. Rund 100 Mitarbeiter hätten über Ostern gearbeitet, um der hohen Nachfrage nachkommen zu können.


CDU-Politiker Baldauf: Bearbeitungs- und Auszahlungsstand "Katastrophe"

Die Landesregierung begründet die längere Bearbeitungsdauer in Rheinland-Pfalz mit den Rahmenbedingungen: "Rheinland-Pfalz verlangt auf den Anträgen eine rechtssichere Unterschrift." Man wolle so dem Missbrauch der Soforthilfe durch Betrüger entgegenwirken. Dies bedeute aber auch ein längeres Verfahren. Außerdem setze man im Vergleich zu anderen Bundesländern auf eine sorgfältig geprüfte statt auf eine schnellere Ausschüttung: "Andere Länder haben beispielsweise die Höchstsumme überwiesen und in einem Begleitschreiben klargestellt, dass es sich um eine vorläufige Bewilligung handelt und gegebenenfalls ein Teil des Geldes zurückgezahlt werden muss."

Die Opposition drängt derweil auf ein schnelleres Handeln. Christian Baldauf, Vorsitzender der CDU-Fraktion im rheinland-pfälzischen Landtag, forderte Wirtschaftsminister Wissing am Dienstag auf, "sofort Zahlen zum aktuellen Bearbeitungsstand vorzulegen". Es dürfe hier keine weiteren Verzögerungen geben. Den in der letzten Woche übermittelte Bearbeitungs- und Auszahlungsstand bezeichnete der CDU-Politiker als "Katastrophe".


Bund der Selbständigen: Maßnahmen weisen viele Lücken auf

Dass viele Betroffene rund zwei Wochen nach Antragstellung zunehmend ungeduldig werden, bestätigt Liliana Gatterer, Präsidentin des Bunds der Selbständigen Deutschland e.V., dem SWR. Sie ist außerdem Präsidentin des Landesverbands Rheinland-Pfalz und Saarland und besonders mit der spezifischen Situation der Unternehmer hier vertraut. Viele Mitglieder seien ratlos: "Zuerst fanden wir die Maßnahmen toll - bis sich herausgestellt hat, dass es da viele Lücken gibt. Viele fallen durchs Raster, zum Beispiel Menschen, die nebenberuflich ein Kleingewerbe angemeldet haben, etwa Studenten, die vom Arbeitsamt dann kein ALG II bekommen oder ähnliches. Sie zahlen für ihre Einkünfte ja trotzdem Steuern. Und auch Selbständige, die hauptberuflich tätig sind, haben längst nicht alle Anspruch auf die Soforthilfe."

Liquiditätsengpass: Nicht auf Lebenshaltungskosten bezogen

Maßgeblich dafür, ob ein Selbständiger die Soforthilfe erhält, sei, ob er Ausgaben in Form von Miete, Kosten für einen Firmenwagen, Steuerberaterkosten oder auch Versicherungen für die eigene Firma zu begleichen habe. "Ein Mitglied schrieb uns, dass seine Steuerberaterin ihm schon vor Einreichen des Antrags gesagt habe, dass er die Hilfe nicht bekommen werde, weil er sein Büro im eigenen Haus hat. Sein Auto, dass er fürs Geschäft nutzt, hat er schon längst abbezahlt. Nun kann er zwar nicht arbeiten, hat aber neben seinen Lebenshaltungskosten auch keine nennenswerten laufenden Kosten - und somit keinen Anspruch auf die Soforthilfe", erzählt Gatterer. Dies betreffe in Rheinland-Pfalz als Flächengebiet viele Selbständige, die von zu Hause aus arbeiten oder ihre Werkstatt ans eigene Wohnhaus angebaut haben.

Weitere laufende Kosten, die bei Arbeitnehmern zumindest anteilig vom Arbeitgeber übernommen werden, zum Beispiel die Krankenversicherung, würden bei der Berechnung zuerst einmal nicht berücksichtigt. Hinzu kommt für Gatterer: Viele Selbständige sind privatversichert. "Und bei unseren Mitgliedern ist es so, dass viel auch nicht mehr die Jüngsten sind", berichtet sie. "Das heißt, alle, die über 55 Jahre alt sind, können auch gar nicht mehr in die gesetzliche Krankenkasse wechseln und sich dort freiwillig versichern. Sie müssen also ihre teuren Privatversicherungen weiterzahlen. Nach unseren Angaben sind das zwischen 800 und 1.200 Euro im Monat. Diese Beiträge kann man in dieser besonderen Situation vielleicht stunden, aber sie müssen ja dennoch später bezahlt werden."


Selbständige wollen selbständig bleiben

Entgegen der Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums, dass Liquiditätsrücklagen in der Corona-Krise nicht eingesetzt werden müssten, entsteht bei den Betroffenen zusehends ein anderer Eindruck: "Unsere Mitglieder geben fast alle an, dass sie quasi zahlungsunfähig sein müssten, um Anspruch auf die Soforthilfen zu haben." Diese Ausgangssituation sei für viele Selbständige problematisch: "Kein Selbständiger geht freiwillig in die Insolvenz oder pleite - im Gegenteil, man kämpft darum, weil man bewusst und gerne selbständig ist, weil man gerne seinen Beruf ausübt und natürlich auch weiterhin das eigene Angebot der Allgemeinheit zur Verfügung stellen möchte." Gatterer verweist dabei auch auf die Zeit nach der Corona-Krise: Man brauche das Gewerbe vor Ort - gerade kleine Läden prägten auch das Stadtbild und seien darüber hinaus notwendig für die Versorgung der Bevölkerung insbesondere in ländlichen Gebieten.

Der Bund der Selbständigen hat seine Mitglieder online zu einer Umfrage aufgerufen, um sich ein aussagekräftiges Bild der aktuellen Lage zu verschaffen. Ihn interessiert dabei auch, welche der beantragten Hilfen bereits ausgezahlt wurden. Am Dienstag lagen ihm 69 Rückmeldungen vor - nur einer der Teilnehmer habe bisher eine Auszahlung erhalten. In der Umfrage bestätigt sich für Gatterer: Rheinland-Pfalz bildet in Bezug auf die Gewährung der Soforthilfen das Schlusslicht. "Viele Betroffene fragen sich, wie lange sie das finanziell überhaupt noch aushalten."

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