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Neues Leben für Bahnhof Annahütte: Tonstudio mit Musikerpension

Wie verwandelt man einen stillgelegten Bahnhof in eine Musikerpension mit Tonstudio? Ein Architektenpaar aus Berlin hat sich an die Arbeit gemacht. Ein Besuch im 1000-Seelen-Ort Annahütte in Südbrandenburg.

von Anna Bückmann 30. März 2019, 05:00 Uhr

„Fahrkartenausgabe", ein Pfeil zeigt auf den Eingang. Wer am Bahnhof Annahütte in der Gemeinde Schipkau (Landkreis Oderspreewald-Lausitz) ein Ticket lösen möchte, der muss lange suchen. Denn Ticketschalter und Wartehalle haben sich hier in Wohn- und Essraum mit Küche im Industriedesign verwandelt. Aus dem Keller dröhnt Musik. Dort, wo früher vermutlich einmal eine Speisewirtschaft war, legen heute vier Musiker einer Berliner Punkrockband Hand an Gitarre und Schlagzeug. Und hinter dem Bahnhofsgebäude verbreitet eine wildwuchernde Gartenlandschaft auf verwaisten Schienenstrecken morbiden Charme.

Über zwei Jahre lang haben Simon Breth und Rut de la Calle, Berliner Architektenpaar, zwei Kinder, an dem Klinkergebäude gearbeitet. Sie haben Dach und Fenster erneuert, Sanitäranlagen angeschlossen und neue Türen eingebaut. Gästezimmer und eine kleine Wohnung für die vierköpfige Familie im oberen Stockwerk eingerichtet. Im Tonstudio sorgt eine Wolldämmung an Decke und Wänden für sauberen Sound, wie Hausherr Breth erklärt.

Heute sollen die Türen des alten Bahnhofs für Besucher öffnen - es ist der offizielle Start der Musikerpension.

Ganz fertig sei das Gebäude noch nicht. Aber irgendwann müsse es ja mal losgehen, sagt Breth. Die beiden Architekten haben sich bewusst dafür entschieden, alles so ursprünglich wie möglich zu belassen. In dem Gebäude, 1887er-Jahrgang, bleiben die Wände unverputzt. Die Dielen werden abgeschliffen. Das Paar mag den alten Charme des Bahnhofs.

Wie kommt man auf die Idee, mitten im Brandenburger Nirgendwo eine Pension für Musiker mit Proberaum herzurichten? Vorläufer sei ein Kulturzentrum in Laerdal im norwegischen Sognefjord. Hier plante das Büro der Architekten vor einigen Jahren eine, an das Lachsmuseum angeschlossene Kunstgalerie. Eines Tages sei eine Gruppe Musiker mit einem wertvollen Mischpult gekommen und die Erweiterung eines Tonstudios wurde spontan eingeplant. Das Studio dort sei ein „riesen Erfolg", sagt Breth. Für seine Band wollte der Hobbymusiker ein ähnliches Projekt schaffen. Ein Tonstudio mit angeschlossener Pension irgendwo im Grünen. Durch Zufall entdeckte der 44-Jährige den Bahnhof Annahütte im Internet zum Verkauf.

Gemeinsam mit Frau und Kindern fuhr er hin, sah sich das Gebäude an und war begeistert. Für 27 000 Euro kaufte die Familie 2016 das alte Gemäuer. Der Ort sei klasse, findet Breth. Mit dem Weihnachtsmarkt und Veranstaltungen des ansässigen Karnevalsvereins werde Besuchern einiges geboten. Das Clubhaus Annahütte präsentiere schon länger gute Bands. Hier will das Paar Kooperationen aufbauen.

Dass aus einem alten Bahnhofsgebäude Musik schallt, ist in Deutschland nicht einmalig: Der ehemalige Bahnhof im unterfränkischen Gädheim ist heute eine Musikschule. Im bayerischen Weißenburg erweckte 2017 ebenfalls eine Musikschule einen stillgelegten Bahnhof wieder zum Leben. Und auch Musikerpensionen sind nicht neu. „Viele bekannte Künstler ziehen sich aufs Land zurück", sagt Breth.

Der Berliner Punkrock-Band Ransom, die sich an diesem Wochenende bei dem Architektenpaar eingemietet hat, gefällt der naturbelassene Ort. „Wir haben an diesem Wochenende mehr geschafft als im letzten halben Jahr in so manchen Berliner Löchern", sagt Schlagzeuger Christoph, der sich selbst „Toffi" nennt, und meint damit Tonstudios. Viele Berliner Studios seien überlaufen. Und dass man pro Stunde bezahlen müsse, sei nicht unbedingt förderlich für die Kreativität. Hier im „Freizeit Bootcamp", wie es Sänger und Gitarrist „Kühne" mit einem Lächeln nennt, sei man entspannter, raus aus dem Alltag.

Auch von anderen Besuchern komme gutes Feedback, sagt Breth. Für Ostern hätte sich eine Band aus der Schweiz angemeldet. Und im Mai will eine Berliner Band im Musikbahnhof neue Songs aufnehmen. Viele Gäste will das Architektenpaar über Musik-Sessions gewinnen. „Es ist schon etwas Besonderes hier. Das muss passen", sagt Breth. „Hier ist kein Club, wo man am Abend noch hingehen kann. Es ist eben nicht Berlin." Der Ort werde auch immer ein bisschen rau sein, ergänzt er. Aber genau das ziehe an. „Viele sagen, man kann hier nichts kaputt machen." Es sei eben Wohnen und Arbeiten im Industriekonzept.

Reich werden wollen Breth und seine Frau und Partnerin mit der Unterkunft nicht. Es wäre schön, wenn sich die laufenden Kosten durch die Buchungen tragen. Für die Restaurierung haben die beiden knapp 400 000 Euro investiert. Sie hätten viel Unterstützung von den Bewohnern, dem Bürgermeister und von Freunden erhalten. „Die neue Nutzung belebt den Ort", sagt Petra Quittel, stellvertretende Ortsvorsteherin von Annahütte. Jahrelang habe der Bahnhof leer gestanden. Das neue Konzept könne sich gut mit bereits bestehenden Einrichtungen wie dem Clubhaus vernetzen.

Ob die beiden Architekten mit ihren fünf und neun Jahre alten Söhnen auch ganz aus Berlin-Kreuzberg ins idyllische Annahütte ziehen werden, sei noch offen. „Die Kinder haben ihre Freunde in Berlin. Die wollen sie natürlich nicht verlieren", sagt die 40-jährige de la Calle. Kontakt mit anderen Familien hätten sie in Annahütte bereits.

Aber so richtig angekommen sei man noch nicht. Und man sei unsicher, ob es alles klappt.

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