1 subscription and 1 subscriber
Article

Die ärmsten Länder gehen leer aus: Corona-Impfstoffe könnten erst 2023 ankommen

Ute Grabowsky/imago-images

Während Deutschland und andere wohlhabende Länder bereits dritte Corona-Impfungen planen, müssen Menschen in den ärmsten Ländern der Welt noch lange warten.

Frankfurt - Die mangelnde internationale Solidarität zeigt sich derzeit nirgends so stark wie im Umgang mit der Corona-Pandemie. Während Afrika eine verheerende neue Corona-Welle bevorsteht, die meisten Menschen dort ungeimpft sind und sich die Delta-Variante ausbreitet, halten reichere Nationen ihre schützende Hand über bestellte Corona-Impfdosen.

Ob und wieviel Impfstoff an andere Länder verteilt werden soll, ist seit Beginn der Corona-Pandemie und der beginnenden Impfkampagne ein Streitthema. Die meisten Menschen in den ärmsten Ländern werden noch zwei ganze Jahre auf eine Impfung gegen das Coronavirus warten müssen. Dies berichtete das Magazin Nature und beruft sich dabei auf Aussagen von Forschenden.

Ungleiche Verteilung der Corona-Impfungen offenbart mangelnde Solidarität

Rund 11 Milliarden Dosen werden benötigt, um 70 % der Weltbevölkerung vollständig gegen Covid-19 zu impfen. 3,2 Milliarden Dosen wurden bis zum 4. Juli bereits verabreicht, so das Magazin Nature. Doch die weltweite Impfstatistik des Robert-Koch-Instituts (RKI) offenbart, dass die Verteilung der Impfungen mehr als ungleich ausgeht: Während in den USA bereits 157,9 Millionen Bürger:innen (47,2 Prozent) vollständig geimpft sind, in Deutschland fast 34,5 Millionen Menschen (41,5 Prozent) und in Großbritannien sogar mit 34 Millionen verimpften Dosen 50,1 Prozent vollständig gegen das Coronavirus geschützt sind, gehen die ärmsten Länder der Welt fast leer aus.

Im ostafrikanischen Sambia sind mit 23.000 Geimpften laut RKI gerade einmal 0,1 Prozent vollständig geimpft. In der Demokratischen Republik Kongo beträgt die Impfquote der vollständig Geimpften sogar nur 0,01 Prozent. Auch in anderen afrikanischen Ländern wie Malawi, Mosambik oder Uganda sieht die Situation ähnlich aus. In Teilen Zentralasiens wie Afghanistan oder Nepal sind bisher ebenfalls kaum Impfdosen angekommen.

Corona-Pandemie: Länder sagten Impfstoff-Lieferungen an ärmere Länder bei G7-Gipfel zu

Bereits seit Beginn der Corona-Pandemie herrscht ein Wettkampf um die Impfstoffe - für den jedoch nur die reicheren Länder eine Einladung erhalten haben. Mehr als 80 Prozent der Impfdosen gingen laut dem Magazin Nature bisher an Menschen in Ländern mit hohem und mittlerem Einkommen. Von Anfang an haben Länder wie die USA, Großbritannien oder Deutschland auf eine einzelstaatliche Interessenpolitik gesetzt, bei der es darum ging, zuerst die eigene Bevölkerung „durchzuimpfen". Dies zeigt sich auch an der weltweiten Impfstoffverteilung: Nur ein Prozent der Menschen in Ländern mit niedrigem Einkommen haben mindestens eine Impfung erhalten, wie Daten der Website Our World in Data deutlich machen.

Während des G7-Treffens im Juni 2021 in Cornwall diskutierten die Staats- und Regierungschefs der wohlhabenden Nationen über die Impfstoffverteilung. Es wurde vereinbart, zusätzliche Impfdosen für Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen bis Ende 2022 zu bestellen. Dabei war US-Präsident Joe Biden vorgeprescht, indem er versprochen hatte, zusätzlich zu den 87,5 Millionen Impfdosen, die bereits von den USA zugesichert wurden, 500 Millionen Dosen des Impfstoffs Biontech/Pfizer zu spenden. Sie sollen bis spätestens Juni nächsten Jahres geliefert und mithilfe der internationalen Impfstoffinitiative Covax verteilt werden.

Großtbritannien sagte 100 Millionen Dosen zu. Frankreich, Deutschland und Japan jeweils rund 30 Millionen. Laut des Duke Global Health Innovation Center in Durham, North Carolina, soll China bereits rund 30 Millionen Impfstoffdosen in mindestens 59 Länder geliefert haben.

Menschen aus ärmsten Ländern müssen noch bis 2023 auf eine Corona-Impfung warten

Doch dass die ärmsten Bevölkerungsgruppen der Welt durch die Auslieferungszusagen der Länder tatsächlich schneller an eine Impfung herankommen würden, sieht Andrea Taylor, eine Forscherin für Gesundheitspolitik und stellvertretende Direktorin des Zentrums in Durham, skeptisch. Ihr Forschungsteam hatte im März 2021 prognostiziert, dass die gesamte Welt erst im Jahr 2023 geimpft sein würde. Daran habe sich auch nichts verändert, sagte sie gegenüber Nature.

Grund dafür sind unter anderem die Exportbeschränkungen der wohlhabenden Länder, die dafür sorgen, dass die Impfdosen nicht wie zugesagt verteilt werden. Sowohl die Europäische Union als auch die Vereinigten Staaten würden den Export einiger Impfstoffe und Impfstoffbestandteile verbieten. Die EU fordert, dass Unternehmen zuerst ihre Zusagen zur Lieferung von Impfstoffen in die EU erfüllen, bevor sie in andere Länder exportieren.

Verteilung von Corona-Impfstoff: Streitthemen Patentfreigabe und Export

Auch die Freigabe von Patenten auf Corona-Impfstoffe sind seit Monaten ein umstrittenes Thema in Deutschland. Würde das Patent ausgesetzt werden, könnten alle Länder die Impfstoffe ohne Lizenzgebühren produzieren. Die EU hat sich bisher jedoch dagegen ausgesprochen. „Eine Aussetzung von Patenten mag gut klingen, aber sie ist keine Wunderwaffe", sagte EU-Ratspräsident Charles Michel bei einer Pressekonferenz in Cornwall vor dem Start der G7-Beratungen im Juni 2021. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte sich kritisch bezüglich einer Patentfreigabe. Die weitere Entwicklung von Impfstoffen werde nur gelingen, wenn der Schutz geistigen Eigentums gegeben sei, so Merkel in einer Regierungserklärung im Juni. Sie wolle hingegen die Produktion von Impfstoffen für ärmere Länder über eine verstärkte Lizenzvergabe erhöhen.

Die von der WHO gegründete Initiative Covax hat sich dazu verpflichtet, ein Fünftel der Bevölkerung der Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen zu impfen. Nach Angaben des Duke Global Health Innovation Center hat Covax bereits 2,4 Milliarden Dosen erworben. Im März waren es noch weniger als die Hälfte. Ausgeliefert wurden bis zum 2. Juli durch Covax 95 Millionen Dosen, 30 Millionen mehr als im Mai.

Dritte Corona-Welle in Afrika - Impfquote besorgniserregend gering

Doch dass diese Mengen und der zugesagte Zeitraum nicht ausreichen, zeigt die bedrohliche Corona-Lage in Afrika. Seit Anfang Mai steigen die Infektionszahlen dort stark an. Allein in der Woche bis zum 4. Juli wurden 251.000 neue Infektionen registriert, was einen Anstieg von 20 Prozent gegenüber der Vorwoche bedeutet, wie die Tagesschau am Donnerstag (08.07.2021) berichtete. Die Gesundheitseinrichtungen seien zunehmend überlastet.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt davor, dass sich die Lage in Afrika noch verschlimmern werde. „Afrika hat gerade die bisher schlimmste Pandemie-Woche hinter sich", sagte Matshidiso Moeti, die Regionaldirektorin der WHO für Afrika, gegenüber der Tagesschau. „Aber das Schlimmste steht uns noch bevor, da die dritte Welle der Pandemie auf dem Kontinent immer mehr an Fahrt gewinnt", so Moeti. In zehn Ländern Afrikas wurde zudem die ansteckendere Delta-Variante nachgewiesen, gegen die nur eine vollständige Impfung wirksamen Schutz bietet. Im Durchschnitt haben bisher jedoch nur 2 Prozent der Gesamtbevölkerung in Afrika überhaupt eine Impfung erhalten. Nur etwas mehr als ein Prozent sind laut dem Afrika-Büro der WHO vollständig geimpft.

Ausbreitung der Delta-Variante: WHO ruft zu Impfstoff-Spenden bis September auf

Covax hatte den afrikanischen Ländern 66 Millionen Impfdosen zugesichert, zwischen Februar und Mai erhielt Afrika davon jedoch nur 18,2 Millionen, wie Spektrum berichtete. Hintergrund war die zweite Corona-Welle in Indien, wodurch die von dort kommenden Impfstofflieferungen ins Inland umgeleitet wurden und nicht mehr exportiert werden durften.

Bis Ende 2021 will Covax zwei Milliarden Impfdosen an die afrikanischen Länder ausliefern. Ein Sprecher sagte gegenüber dem Magazin Nature, dass die Organisation trotz der Verzögerungen optimistisch sei, dass ihr Ziel umgesetzt werden könne. Da die indischen Impfstoffhersteller vorerst mit der eigenen verheerenden Corona-Lage im Land zu kämpfen haben, sollen die USA zum weltweit führenden Lieferanten von Impfdosen für ärmere Länder werden, erklärte Taylor vom Forschungszentrum in Durham gegenüber Nature.

Hinsichtlich der Ausbreitung der Delta-Variante könnte dies aber bereits zu spät sein, sagte die WHO-Wissenschaftlerin Soumya Swaminathan dem Nature Magazin. „Die ungleiche Verteilung von Impfstoffen hat dazu geführt, dass sich das Virus weiter ausbreiten konnte", so Swaminathan. Es würde die Hilfe von Ländern mit einem großen Vorrat gebraucht, um 250 Millionen Dosen für September zu spenden. Nur wenn die wohlhabenden Länder sofort handeln würden, könne die Corona-Pandemie und die Ausbreitung der Delta-Variante gestoppt werden. (Anna Charlotte Groos)

Original