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Zu viel arbeiten, zu wenig arbeiten - gibt es eine goldene Mitte im Job?

In den letzten Jahren durfte ich nicht nur in der Liebe, sondern vor allem im Job ganz verschiedene Erfahrungen machen. Ich habe teilweise viel zu viel gearbeitet, mich dafür verurteilt, wenn ich zu wenig gearbeitet habe. Ich hatte Herzrasen, wenn ich zu schnell gemacht habe und habe mich gelangweilt, wenn es zu langsam voranging. Habe inhaltlich Dinge umgesetzt, die mich unterfordert haben oder konnte abends nicht einschlafen, weil mich der nächste Tag komplett überfordert hat.

Was ich dabei schmerzlich lernen musste: Es kommt natürlich immer auf meine aktuelle Tagesform an. An manchen Tagen habe ich richtig Lust, viel zu geben, an anderen bin ich froh, wenn ich in Ruhe gelassen werde. Denn jeder Mensch ist jeden Tag anders und das ist nicht nur vollkommen normal, sondern auch gesund. Manchmal geht man zum Yoga und versucht der Streber im Kurs zu sein und manchmal schmerzen einem die Arme schon beim herabschauenden Hund. Das Wichtige ist nur, dass dann keiner neben einem steht und mit dem Finger zeigt – vor allem nicht man selbst.

Vielleicht habt ihr das Glück, in einer Branche zu arbeiten, in der diese Unterschiede ganz natürlich da sein dürfen, obwohl wir wahrscheinlich alle dank des Internets ein ziemliches Tempo gewöhnt sind. In den Medien und damit in meinem Freundeskreis, der vor allem in diesem Bereich arbeitet, werden die Gräben der Extreme immer tiefer. Zwischen dem Verlag, der seine Mitarbeiter nur noch pro forma in ihren Büros sitzen und abwarten lässt, bis der Laden verkauft wird – und dem jungen Onlinemagazin, das pro Tag drei Artikel von seinen Jung-Redakteuren verlangt. Dabei spielt es keine Rolle, wie ein Tag ist. Hauptsache, man funktioniert, und wenn man das nicht mehr tut, kommt eben jemand anderes, der für den Job „brennt“.

Ich finde es erschreckend, dass ich eigentlich nur noch Menschen um mich habe, die entweder kurz vorm Burnout stehen oder die eingehen wie ein nicht gegossenes Pflänzchen, weil sie gar nicht gefordert werden. Manchmal auch beides zusammen. Keiner meiner Freunde sagt: Ich arbeite genau richtig viel. Was ich allerdings noch erschreckender finde, ist, dass in meiner Generation, wenn auch ganz unterschwellig, immer noch gilt: busy sein ist super, obwohl wir doch für etwas ganz anderes bekannt sind. Vier-Tage-Woche, Sechs-Stunden-Tag, Work-Life-Blabla. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen: Fühlt sich gut an, aber du verbringst viel Zeit alleine, weil zwar jeder davon redet, aber fast keiner mitmacht. Und: Du musst dir immer einen blöden Spruch anhören, wenn auch nur im Scherz – und das nicht von der Generation deiner Eltern, sondern von Gleichaltrigen.

Wenn ich deshalb einen Wunsch äußern könnte für meine Dreißiger, dann wäre es dieser: Ich möchte für mich noch mehr meine goldene Mitte im Job finden. Wenn man so will, ist die nämlich vielleicht noch schwieriger als die in der Liebe. Ich möchte kein schlechtes Gewissen mehr haben, wenn an einem Tag so gar nichts rumkommt und noch stolzer auf mich sein, wenn ein Tag erfolgreich war. Obwohl Erfolg für jeden persönlich natürlich noch einmal ein ganzes eigenes Thema ist. Ich wünsche mir, dass Sprüche zu meiner Nicht-40-Stunden-Woche komplett an mir abprallen und dass ich in keine selbstgestellte Stress-Falle mehr tappe. Dass ich mich nicht mehr mit Anderen vergleiche, die mehr tun, weil ich gar nicht weiß, zu welchem Preis und dass ich wirklich immer „Nein“ sage, wenn ich „Nein“ sagen möchte.

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