Gerade lese ich das „Winterjournal“ von Paul Auster und als dieser schreibt, dass er in einem Sommer sechs Wochen mit Frau und Kind in Südfrankreich verbringt mit nichts als „langen Spaziergängen und weiten Streifzügen durch die Hügel der Alpilles“ denke ich darüber nach, dass man das heute gar nicht mehr machen könnte – zumindest nicht auf jene unnütze Art und Weise. Wenn man sich heute sechs Wochen lang aufs Land zurückzieht, sollte zumindest ein kurzer Roman, ein kleiner Fotoband, den man per Crowdfunding finanziert hat, ein wunderschöner Vimeo-Film oder eine abgeschlossene Yogalehrer-Ausbildung dabei herauskommen. Sowieso muss immer überall etwas herauskommen. Denn genau darum geht es heute: Effizienz. Alles muss einen Sinn haben oder zumindest zu irgendetwas Größerem beitragen.
Nun könnte man sagen: Aber es wird heute tendentizell mehr Urlaub gemacht als früher noch – das zeigt doch, dass wir viel öfter nichts tun. Hmm naja, was machen die Menschen heute in ihren Urlauben, die nicht ohne Grund Reisen heißen? Sie hetzen von dem einen „unentdeckten“ Aussichtspunkt, zum nächsten top-bewerteten Restaurant und von da aus zu dem von Freunden empfohlenen Hotel – und machen von all dem noch brav ein Foto. Wer dann nach zwei Wochen zurückkommt und keine Fotosammlung inklusive einer Liste mit Tipps vorlegen kann, der hat urlaubsmäßig ganz einfach versagt. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal jemanden getroffen habe, der einfach zwei Wochen lang auf der selben Liege, in der gleichen Hängematte lag und nichts getan hat. Wäre doch auch zu verrückt, „wenn man schon mal da ist“.
Ich habe mittlerweile schon ein schlechtes Gewissen, wenn ich ein Wochenende meines Lebens total verplempere, soll heißen: ich keine durchtanzte Nacht erlebt habe, kein neues Restaurant oder Café entdeckt habe, ich nicht an einem neuen Ort war, den ich noch nicht kannte, keinen Sport gemacht habe, nicht die ZEIT von vorne bis hinten gelesen habe, keinen Satz geschrieben habe, nichts gearbeitet habe, auf keinem Konzert war, in keinem Theaterstück, nicht angefangen habe, eine neue Sprache zu lernen, mich sonst irgendwie weiterzubilden oder eben irgendetwas anderes, bei dem nun mal was herauskommt – und wenn es nur ein schönes Instagram-Foto ist.
Was passiert mit diesen Wochenenden? Sie verschwinden im dunklen Gedächtnis-Nirwana aller sinnlosen Nichts-Tu-Wochenende, denken wir. Ich glaube dagegen: Das sind die Wochenende, die uns am Leben halten. Die wirklich wichtigen – die, bei denen wir ganz bei uns sind. Auch, wenn das manchmal verdammt langweilig sein kann. Ich sehne mich nach der endlosen Langweile der Sommerferien früher. Sechs Wochen, die sich anfühlten wie ein halbes Leben. Unzählige Tage, in denen man vielleicht nichts anderes tat als der Uhr und der Sonne zuzusehen, wie es immer später wurde. Und wenn ich an jene Sommerferien denke, kann ich mich vor allem an dieses Langweile-Gefühl erinnern. Nicht an die Freibad-Tage oder Ausflüge zum Abenteuerspielplatz.
Auster behauptet übrigens, dieser Sommer in Südfrankreich wäre der schönste seines Lebens gewesen.
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