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Interview

PINNWAND / Hamburger Abendblatt: Wo seid ihr denn, ihr kleinen Wale?

Hoffnungsvoll und mit Ferngläsern bewaffnet laufen momentan viele Spaziergänger an der Elbe entlang. Wo sind sie bloß, die Schweinswale? Doch keiner der grauen Meeressäuger hat sich bislang gezeigt. Wie schade: Letztes Jahr war ab März in der Elbe rund um Wedel und den Hamburger Hafen eine Menge los. Schätzungsweise 70 kleine Tümmler waren aus der Nordsee zur Fischjagd gekommen und konnten sogar von Land aus beobachtet werden.

Ein Phänomen, das die Meeresbiologin Denise Wenger (50) seit sieben Jahren im Rahmen ihres wissenschaftlichen Projektes erforscht. Denn die Schweinswale sind aufgrund vieler Umwelteinflüsse und durch die Überfischung der Nord- und Ostsee extrem bedroht. Im Interview berichtet die Münchnerin Erstaunliches und macht Hoffnung: Vielleicht kommen sie ja doch noch, die wunderbaren kleinen Wale.
Frau Wenger, Sie sind seit 20 Jahren für die Gesellschaft zur Rettung der Delphine (GRD) tätig. Wie kam es zu Ihrem Schweinswalprojekt?
Wir erhielten immer wieder Sichtungsmeldungen aus der Weser. Daraus entnahmen wir, dass die Tiere offenbar Fisch-Schwärmen folgten, die aus der Nordsee zum Ablaichen in die Flüsse schwammen und dort aufgrund der besseren Wasserqualität wieder zahlreicher vorkamen. Seit 2012 kam es dann schlagartig zu vielen Meldungen von Wassersportlern, die von Ende Februar bis in den Mai hinein Schweinswale in der Elbe entdeckt hatten.
Welche Kenntnisse haben Sie im Laufe der Zeit gewonnen?
Die Schweinswale haben es offenbar in erster Linie auf den Stint abgesehen, der ab Februar in die Flüsse zieht, um in Ufernähe zu laichen. Es scheint sich zu lohnen, diesen Fischen zu folgen und die weite Reise von der Küste bis nach Hamburg trotz der Gefahren und des Lärms in den stark befahrenen Wasserstraßen auf sich zu nehmen. Um mehr Erkenntnisse zu gewinnen, haben wir seit letztem Jahr mit der Uni Hamburg und den Wasser- und Schifffahrtsämtern damit begonnen, Klickdetektoren an verschiedenen Stellen in der Elbe einzubringen. Denn Schweinswale kommunizieren im Ultraschallbereich. Deren Klicklaute werden aufgenommen und sagen etwas über ihre Anwesenheit, das Jagdverhalten und ihre Kommunikation aus.
Im letzten Jahr hatten Sie einen echten Rekord von Sichtungsmeldungen.
Ja, es war einmalig. Die Wale waren täglich in der Elbe auf der Jagd. Man konnte sie unter anderem sogar vor Teufelsbrück, direkt im Hamburger Hafen und vor Wedel in größeren Gruppen beobachten. Und sie sind neugierig wie ihre Vettern, die großen Tümmler. Sie begleiteten Kanufahrer und schauten sogar interessiert aus dem Wasser, wenn Boote vorbeifuhren.
Was war bislang Ihr schönstes Schweinswal-Erlebnis?
Ich war mit meiner Tochter am Elbstrand unterwegs. Auf einmal sahen wir ein Duo, das uns rund sieben Minuten begleitete. Wir konnten die Tiere atmen hören und hätten sie beinahe streicheln können, so nah am Ufer schwammen sie. Ach, es war zu schön (strahlt).
Leider wurden dann im Mai 26 tote Tiere gemeldet. Was könnte die Ursache für diese traurige Bilanz sein?
Einige Tiere wiesen heftige Verletzungen auf, die von Schiffsschrauben oder Kollisionen herrührten. Deshalb wünsche ich mir dringend eine Geschwindigkeitsbegrenzung für Sportboote bis Mitte Mai. Aufgrund des starken Motorenlärms tauchen einige Wale offenbar extra auf, um nachzusehen, was da passiert. Und auch im Schlaf werden sie anscheinend überfahren. Wahrscheinlich sind auch Infektionen für einige Todesfälle verantwortlich. Deshalb ist es sehr wichtig, Kadaver sezieren zu lassen, was letztes Jahr nicht möglich war, weil sie sofort verbrannt wurden. Sehr schade.
Die Schweinswale blieben dieses Jahr bislang aus. Wissen Sie warum?
Der Stint war wohl diesmal sehr früh dran. Wo die Wale zu der Zeit sind, ist unbekannt. Vielleicht war auch das Nahrungsangebot in der Nordsee aufgrund des milden Winters besonders gut. Es gibt so viele offene Fragen, denen wir auf den Grund gehen müssen.
Gibt es Hoffnung, dass die Tiere doch noch kommen?
Die Stinte sind jetzt weg, deshalb ist ein solcher Ansturm wie im letzten Jahr wohl ausgeschlossen. Es könnte aber sein, dass noch Schweinswale auftauchen, wenn Schwärme der Finte ab Mitte April in die Elbe einziehen und in der Nähe des Mühlenberger Lochs laichen. Auch diese Fische gehören offenbar zur bevorzugten Nahrung im Fluss.
Wenn Anwohner oder Segler Wale entdecken – wo sollen sie ihre Sichtung melden?
Auf unserer Homepage haben wir ein entsprechendes Sichtungsformular zum Ausfüllen. Ich freue mich aber auch über Anrufe oder Mails. Je detaillierter die Angaben, desto wertvoller sind sie für meine Arbeit. Denn nur wenn wir viel über die kleinen Wale wissen, können wir auch effektiv etwas für deren Schutz tun. Überfischung, der Bau von unzähligen Offshore-Windkraftanlagen, Unterwasserpipelines und andere Einflüsse greifen enorm in den Lebensraum der Tiere ein und vertreiben sie zeitweise oder sogar ganz.
Die GRD wurde 1991 von dem dreifachen Weltumsegler Rollo Gebhard in München gegründet. Wie sieht Ihre Arbeit dort aus?
Wir kümmern uns unter anderem um den Schutz der letzten 220 Delfine, die in der Adria vor Kroatien leben. Dazu kommen Projekte in Peru, im Roten Meer, Mosambik oder vor La Gomera. Wir kämpfen für Schutzgebiete und klären die Bevölkerung über die Gefahren auf, denen alle Meeresbewohner zum Beispiel durch Plastikmüll oder Fischfang ausgesetzt sind. Ganz wichtig ist auch unser Kontrollprogramm für delfinsicheren Thunfisch. Es bewahrt tausende Wale und Delfine vor dem grausamen Beifangtod.
Wie können Tierfreunde Ihre Arbeit unterstützen?
Wir bieten Patenschaften für Delfine an und freuen uns ansonsten natürlich über jede Spende. Auch für mein Schweinswalprojekt benötige ich Unterstützung. Denn ich möchte ja unbedingt die Aufenthaltsgebiete der Schweinswale bestimmen und jeden Todfund untersuchen lassen. Das ist leider mit Kosten verbunden, aber unglaublich wichtig für die Forschungsarbeit und den Schutz der Wale. Und: Bitte unbedingt jede Sichtung melden, denn auch der kleinste Hinweis ist wertvoll!
Anja Mylius