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Rätselhafter Todesfall: Viele Versäumnisse bei Ermittlungen

Ein Mann, der partout nicht aus einem Baustellenhaus in Wien ausziehen wollte, starb unter mysteriösen Umständen. Die Anwältin der Hinterbliebenen beklagt schwere Versäumnisse bei den Ermittlungen

Wien - Acht Monate sind seit dem mysteriösen Tod eines 65-jährigen Mannes vergangen, der nicht aus einem Wiener Baustellenhaus ausziehen wollte. Immer noch warten Hinterbliebene auf die Klärung der Todesumstände. Offiziell - so lässt die Staatsanwaltschaft mitteilen - werde weiterhin wegen fahrlässiger Tötung ermittelt. Doch aus den Ermittlungsakten geht hervor, dass seit November nichts geschehen ist.

Die Wiener Rechtsanwältin Nadja Lorenz, die die Familie des Verstorbenen als Privatbeteiligte vertritt, sieht zudem gravierende Verfahrensmängel und Nachlässigkeit. Wichtige Untersuchungen seien entweder nicht zeitnah oder gar nicht durchgeführt worden: "Die Nachforschungen der Polizei sind von Anfang an bemerkenswert schlecht gelaufen", so Lorenz zum STANDARD. "Im August und September ist fast überhaupt nichts passiert", die Staatsanwaltschaft agiere "planlos".

Cafer I. war am 2. August 2014 tot im Baustellenbereich seines Wohnhauses in der Esterházygasse im sechsten Wiener Gemeindebezirk aufgefunden worden. Er lag bäuchlings zwischen mehreren Lagen Baugitter. Laut Obduktionsbericht ist er erstickt, die Gitter hatten ihn erdrückt - der STANDARD berichtete.

Unter Baugittern erstickt

Doch die Umstände schienen fragwürdig. Auf Cafer I. war in den Monaten zuvor vom Hauseigentümer massiv Druck ausgeübt worden: Er sollte ausziehen, das Haus luxussaniert und weitervermietet werden - doch er weigerte sich und blieb trotz der Schikanen. Wie I. in einen eigentlich abgesperrten Teil des Hauses gelangte, für den er keinen Schlüssel besaß, und wie er dort zwischen die Gitter geriet, ist unklar.

Der Zeuge, der Cafer I. als Erster vorfand, wurde bis heute nicht einvernommen. Noch am Abend des 2. August hatte er in einer E-Mail an die Polizei eine wesentliche Information genannt: Die Schuhe und die Brille seien neben den Füßen gelegen, wirkten drapiert. Eine Anrainerin, die an besagtem Morgen von lautem Klirren und Schreien aus dem Schlaf gerissen worden sein will, scheint in den Akten nur in einem kurzen Absatz auf.

Baustelle hastig verlassen

Bemerkenswert ist auch, dass die an diesem Vormittag präsenten Bauarbeiter überhaupt erst zehn Wochen nach dem Tod erstmals einvernommen wurden. Dabei verließ sich die Staatsanwaltschaft scheinbar ganz auf den nach eigenen Angaben nur selten anwesenden Bauleiter: Er teilte mit, welche Personen am 2. August im Haus gearbeitet haben sollen. Arbeitsaufzeichnungen oder Dienstprotokolle wurden nicht vorgelegt.

Berücksichtigt man das gerichtsmedizinische Gutachten sowie die Öffnungszeiten der Bäckerei, bei der sich Cafer I. am Morgen noch eine frische Topfengolatsche gekauft hatte, ergibt sich rechnerisch ein Todeszeitfenster zwischen sieben und elf Uhr vormittags. Gegen zehn Uhr wurden die Arbeiter beim "hastigen Verlassen der Baustelle" beobachtet. Sie gaben später unisono an, die Arbeit ausnahmsweise früher als sonst beendet und nichts Auffälliges bemerkt zu haben. Dies scheint sogar die Polizei zu verwundern.

"Nicht glaubwürdig"

In einem internen Schreiben an die Staatsanwaltschaft bezeichnet der zuständige Ermittler die Aussagen als auffällig ident und daher "nicht glaubwürdig". Konsequenzen wurden daraus keine gezogen.

Auch die Spurensicherung wurde erst acht Wochen nach dem Tod - und erst auf Drängen der Rechtsanwältin - veranlasst. Am Todestag selbst waren die Gegebenheiten in der Wohnung von der Polizei nicht dokumentiert worden. Bei der späteren Durchsuchung wurde den Ermittlern von den Angehörigen ein Schlüssel mit Blutspuren übergeben.

Blutverschmierter Baseballschläger

Auch ein blutverschmierter Baseballschläger wurde sichergestellt. Diesen hatte sich I. aus Angst vor Drangsalierungen einige Monate zuvor zugelegt. Es ist nicht klar, um wessen Blut es sich handelt und ob auf den Gegenständen andere Spuren zu finden sind, die in Zusammenhang mit den Geschehnissen stehen könnten. Bis heute hat die Staatsanwaltschaft keine Untersuchung der Gegenstände angeordnet.

Bei der Staatsanwaltschaft heißt es, die Vorwürfe seien nicht nachvollziehbar. Ihr sei kürzlich kommuniziert worden, man habe im Moment "wichtigere Akten auf dem Tisch", sagt hingegen Anwältin Lorenz. Sie hat Ende Februar einen neuen Beweisantrag gestellt, geschehen ist seither nichts. (Anja Melzer, DER STANDARD, 31.3.2015)

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