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Rumäniens Probleme mit den Streunerhunden

Ein umstrittenes Gesetz, das 2013 das Töten von rumänischen Straßenhunden für legal erklärt hatte, wurde wieder aufgehoben. Doch die Behörden widersetzen sich dem Beschluss.

Bukarest/Wien - Die emotionale Debatte um die Straßenhunde in Rumänien kommt nicht zum Erliegen. Seit 20. Juni ist das Töten von Streunern verboten. Das Appellationsgericht in Bukarest hob die Anwendungsnormen, also die Richtlinien, des Tötungsgesetzes auf. Rumänische Stadtverwaltungen hatten regelrechte Massentötungen durchgeführt. Die Tierschutzorganisation Vier Pfoten hatte die Richtlinien angefochten.

Verändert hat sich seither nicht viel. Vier Pfoten erstattete nun Strafanzeige gegen die rumänische Tierschutz-Aufsichtsbehörde (ASPA). Ihr Chef, Razvan Bancescu, erklärte, man warte erst die Begründung des Gerichts ab und nutze derweil "legale Schlupflöcher".

Hinter verschlossenen Türen

Wie viele Hunde seitdem getötet wurden, weiß niemand. Irina Fronescu von Vier Pfoten erklärte, das meiste geschehe hinter verschlossenen Türen, Bancescu schaffe sich seine eigenen Gesetze. Man beobachte seit Jahren das Vorgehen der ASPA beim Fang der Streuner. Schon dabei würden viele der Hunde sterben.

Auch wie viele herrenlose Hunde in Rumänien leben, kann keiner genau sagen. Schätzungen gehen von mehreren Hunderttausend aus, davon etwa 60.000 in Bukarest mit seinen 1,9 Millionen Einwohnern. Tausende streunen täglich in Wohngegenden oder vor Restaurants herum und benutzen öffentliche Verkehrsmittel. Nachts gehört die Stadt ihnen. Viele werden von Bürgern gefüttert, Verantwortung übernehmen möchte aber niemand. Eingefangene Hunde werden zwar hin und wieder von Privatpersonen adoptiert, später jedoch oft wieder ausgesetzt.

50 Euro pro gefangenem Hund

Bis 2013 gab der Modus Operandi vor, nur unheilbar kranke oder aggressive Tiere einzuschläfern. Das Tötungsgesetz vom Juni 2013 bezog sich jedoch auf alle Streuner. Sie sollten eingefangen und in Tierheime, an Tierschutzorganisationen oder zur Adoption freigegeben werden. Diejenigen, die nach einer Frist von zwei Wochen keinen neuen Besitzer gefunden hatten, durften getötet werden. Dazu kommt, dass das Rathaus in Bukarest für jeden gefangenen Streuner umgerechnet 50 Euro zahlt. Bei den rumänischen Durchschnittsnettogehältern von 380 Euro lohnt sich jeder Fang.

Die Zustände in öffentlichen Tierheimen, die auch von der ASPA verwaltet werden, sind katastrophal. Videoaufnahmen von Vier Pfoten zeigen, wie tote Hunde zwischen noch lebenden liegen. Die Zwinger sind überfüllt, das Futter mit Müll, Urin und Exkrementen vermischt. Kranke Tiere mit teils klaffenden Wunden hinterlassen Blutspuren in den Zwingern. In den Mülltonnen liegen Kadaver.

Tierschützerin verprügelt

Der ASPA-Chef Bancescu widersetzt sich nicht nur Tierschutzgesetzen, sondern geht auch mit Gewalt gegen Menschen vor, die die Streuner retten. In der Nacht vom 7. Juli soll Bancescu in Bukarest auf eine Tierschützerin eingeprügelt haben. Im Internet kursiert ein von Augenzeugen mitgefilmtes Beweisvideo.

Die stromernden Hunde werden auch zur Gefahr für den Menschen. 2012 wurden allein in Bukarest 16.000 Bisse angezeigt, 3000 mehr als noch im Jahr davor. Wenn sie sich zu Rudeln zusammentun, um ihr Revier zu verteidigen, kann ihr Verhalten wölfische Züge annehmen.

Bub zu Tode gebissen

Der tragische Tod eines vierjährigen Buben in Bukarest im September 2013 gab den letzten Anstoß für das Tötungsgesetz. Er war an den Folgen mehrerer hundert Bisse verblutet. Aufgebrachte Eltern befürworteten die Regelung. "Unsere Kinder sind kein Hundefutter!" war ein Leitspruch bei Demonstrationen.

Tierschützer gingen ihrerseits auf die Barrikaden und verwiesen auf ein Urteil des Verfassungsgerichts aus dem Jahr 2012, das sich für den Schutz von Straßenhunden aussprach. Im September 2013 gab dieses schließlich auch sein Ja für das Gesetz. Das alte Urteil stehe nicht im Widerspruch mit dem neuen Regelwerk, so die Begründung.

"Killerhündin" vor Gericht

Der Umgang mit den Streunern schwankt zwischen Beseitigung und vermenschlichender Gleichbehandlung. Im Dezember 2008 stand eine Hündin in Bukarest vor Gericht, weil sie einen japanischen Geschäftsmann totgebissen haben soll. "Killerhündin" Bosquito wurde von einer der prominentesten Anwältinnen des Landes vertreten.

Diese verlangte in einem komplizierten Beweisverfahren Vergleiche der Bissabdrücke ihrer Mandantin und der Haut des Opfers. Gleichzeitig veranstaltete die Stadtregierung eine Castingveranstaltung für potentielle Hundefänger: 20 neue Stellen sollte es geben. Es bewarben sich nur acht Kandidaten.

Erbe Nicolae Ceaușescus

Die Bukarester Straßenhunde sind das Erbe des Diktators Nicolae Ceaușescu, der in den Achtzigerjahren ein altes Villenviertel abreißen ließ, um dort seinen gigantischen Palast des Volkes zu erbauen. Die ehemaligen Bewohner wurden in Plattenbauten umgesiedelt, die Haustiere begannen durch die Straßen zu streunen. Während das Volk in prekären Zuständen lebte, an Hunger litt und fror, explodierte die Zahl der Straßenhunde. Ceaușescu wurde 1989 hingerichtet, die Streuner blieben.

In den Neunzigern griffen rumänische Behörden heimlich zu Giftspritzen, um die Hunde loszuwerden. Zur Jahrtausendwende dann bat Brigitte Bardot den damaligen Oberbürgermeister von Bukarest, Traian Basescu, mit einem medienwirksamen Wangenkuss, nicht gegen die Streuner vorzugehen. Er ließ sich nicht beirren und engagierte Hundefänger, ließ die Tiere in Zwinger sperren und sterilisieren. Kranke oder aggressive Tiere wurden eingeschläfert. Seine Mission war wirkungsvoll: die Zahl der Streuner verringerte sich deutlich.

Gechipt auf Spendenkosten

Heute ist nur mehr jeder vierte Hund sterilisiert. "Im Gegensatz zum Töten sind Sterilisationen nachhaltig", sagt Irina Fronescu von Vier Pfoten. Die Hunde werden mit einem Chip im Ohr versehen, gegen Tollwut geimpft und kastriert - finanziert durch Spenden.

Ab 1. Jänner 2015 soll dies obligatorisch für alle Hunde werden - auch für die mit Herrchen oder Frauchen. Tierschutzorganisationen befürchten, dass die Zahl der Streuner dann wieder steigt. Viele Hundebesitzer werden die teure Kastration nicht bezahlen können; bei Nichteinhaltung drohen hohe Strafen. Ein Teufelskreis. (Anja Melzer, DER STANDARD, 2.8.2014)

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