Bei einer Berufungsverhandlung geht es ums Geld - und um Tierleid, für dessen Beschreibung selbst Profis nach Worten ringen.
Regensburg.Von Bobby, dem Pony mit der blonden Mähne, bleibt nicht viel. Übrig ist nur noch ein Obduktionsbericht. Und die eine große Frage: Wie konnte es zu all dem überhaupt kommen? Bis heute kann niemand sagen, wie Bobbys letzte Stunden aussahen. Nur das: Es muss ein qualvoller Tod gewesen sein. Den Namen des Ponys werden die Angeklagten nie mehr in den Mund nehmen.
Nun wird im Saal 107 des Regensburger Landgerichts eine Antwort gesucht. Der Prozess zieht sich über Wochen hin. Es ist einer, der im Gedächtnis bleibt. Denn bei Tiervergehen wird selten Anklage erhoben. Für den verhandelnden Richter ist es sogar der erste dieser Art. Die Staatsanwältin sagt, sie wird immer daran zurückdenken. Die Amtstierärzte sind noch drastischer: So etwas hätten sie noch nie ansehen müssen.
Im Berufungsprozess wird dem Ehepaar „das Zufügen erheblicher Schmerzen und Leiden durch Unterlassen" vorgeworfen. Sie wurden bereits verurteilt, möchten aber eine geringere Geldstrafe erreichen. Für die Staatsanwaltschaft geht es um mehr: Sie will eine Straftat beweisen.
Ein Geschenk zur HochzeitDie Geschichte beginnt auf einer Weide in einem kleinen Ort bei Cham im Januar 2013. „Der ist nicht viel wert", sagt damals der Züchter, ein kleiner bulliger Mann. 300 Euro will er noch für Bobby. „Zum Flachen" heißt das im Züchterjargon, Schlachtpreis. 1,35 Meter groß, zwei weiße Fesseln, hellbraunes Fell, auf einem Auge blind.
„Mei, fett war er nicht, aber auch nicht dürr", beschreibt ihn der Züchter. Bobby sei jedenfalls gesund gewesen. Drei Monate später wird er tot auf dem Misthaufen liegen. Das Pony ist ein Hochzeitsgeschenk vom Mann an die Frau, gedacht als Beistellpferd für den anderen Kompagnon auf der Weide. Denn Pferde soll man nicht alleine halten. Geht es nach der Staatsanwältin, so beginnt bereits an diesem Punkt die Tragödie: „Warum muss man ein Tier als Geschenk verwenden?"
Zum Jahresbeginn 2013 zieht Bobby also zusammen mit dem dunklen Wallach namens Rondo auf eine Koppel am Ortsrand. Es ist außergewöhnlich kalt. Immer wieder friert das Wasser im Trinkeimer zu. Und es wächst wenig frisches Gras. Mit der Zeit stellen sich die Rösser als ungeeignet heraus. Die Angeklagten fühlen sich ungerecht behandelt, „Schrott" habe man ihnen verkauft. Denn Bobby sei in Wahrheit eine alte Mähre und Rondo gar nicht reitbar. „Der wurde immer wilder", schildert die Tochter. Der Vater spricht sogar von „Gemeingefährlichkeit" und fordert den Züchter auf, die Tiere zurückzunehmen.
Abgemagert bis auf die KnochenBobbys Tod kündigt sich lange an. Laut des tiermedizinischen Gutachtens leidet das Pony am Ende unter krankhaftem Untergewicht. Ein Amtstierarzt aus Deggendorf sagt dazu: „Auf gut Niederbayerisch: Der hatte keinen Arsch mehr." Die Muskeln sind weg, jede Fettreserve verbraucht. Der Blick in die Akten zeigt: Er ist so abgemagert, dass sogar Wirbelsäule, Rippen und Sehnen zu sehen sind.
Als Bobby stirbt, verharrt er, betäubt vom Schmerz, in einer für Pferde völlig unnatürlichen Position: Er kann sich nur noch auf die Vorderbeine stützen, die Hinterbeine hängen zur Seite weg. Die Obduktion ergibt: Die Hüfte ist gebrochen. Die zersplitterten Knochen stechen direkt ins Fleisch.
„Man kann sich nicht ausdenken, welche Qualen dieses Pony erlitt", sagt der Amtstierarzt. „Schon der Hunger verursacht immense Angstgefühle beim Pferd. Aber ein Ross, das nicht mehr aufstehen kann, kommt schier um vor Panik." Eine Amtstierärztin aus Cham findet ihn schließlich, alarmiert von einer anonymen Tierschutzanzeige. Als sie hinkommt, ist es bereits zu spät. Die Besitzer weilen zu dieser Zeit in der Türkei.
„Es war buchstäblich nix mehr dran", sagt der Amtstierarzt, der die Sektion der Pferdeleiche vornahm. Der Magen war so leer, dass er sich selbst verstoffwechselte. Ein schlimmes Bild zeigt der Blick ins Maul. Die Zähne waren nur noch rudimentär vorhanden und so locker, dass man sie einfach hätte rausziehen können. „Das sieht ein Blinder mit Krückstock, ich kann es nicht anders bezeichnen!"
„Das müssen die doch sehen!"Für die Staatsanwaltschaft ist die Sache klar: „Man will ein Pferd, aber weil eines allein nicht geht, kauft man ein Pony zum Schlachtpreis dazu. Dann lässt sich das eine blöderweise nicht reiten, aber der Züchter nimmt es nicht zurück. Also vernachlässigt man die Tiere."
Marianne W. (64) wohnt neben der Koppel. Aus dem Fenster sieht sie den Stall und beobachtet, wie die Pferde hungern und sogar vom Misthaufen fressen. „Die Rippen haben herausgeschaut, das hat mir wehgetan. Ich dachte, das müssen die doch sehen!" Auch Adelheid S. (57), eine andere Nachbarin, ist noch immer ergriffen: „Mir kamen die Pferde so traurig vor", sagt sie, „wir haben oft Gras gerupft, bis uns die Hände wehtaten. Ich mache mir den Vorwurf, dass wir nicht früher gehandelt haben."
Nicht nur der Veterinär aus Deggendorf, auch seine Kollegin aus Cham vergleicht Bobbys Zustand mit Bildern aus dem Holocaust: „Würde man das auf einen Menschen übertragen, er hätte ausgesehen wie ein KZ-Häftling." Es sind beklemmende Momente im Prozess. Geht es nach der Tochter des Angeklagten, habe sich die Gesundheit aber erst kurz vorm Tod verschlechtert. Für die Tierärzte ist das unerklärlich: „So etwas passiert nicht über Nacht! Man kann hier von einem mehrere Wochen dahinsiechenden Krankheitsbild ausgehen. Auf gut Deutsch: Der ist verreckt."
Verbale Grätsche gegen MitleidDie Angeklagte sieht müde aus. Als sich einmal ihr Blick mit dem ihres Gatten trifft, wirft er ihr ein Küsschen zu. Dann schauen sie wieder geradeaus, fast starr. Aber seine Augen zucken nervös, er kaut auf den Lippen. Sonst kommen von der Anklagebank keine Emotionen. Alles wird sachlich abgehandelt, „gefühlsduselige" Aussagen der Nachbarn von den Anwälten aufs Schärfste zerlegt. Darauf angesprochen, meint einer der Verteidiger, es dürfe eben „keine Mitleidsstimmung" aufkommen: „Man muss da einfach manchmal reingrätschen, auch wenn es weh tut." Man sei sich ja einig, dass das Tier „elendig verreckt" sei, aber hier gehe es um andere Dinge.
Nämlich ums Geld. Das Amtsgericht Cham hatte die beiden 2014 zu jeweils 4000 Euro Geldstrafe verurteilt. Am Ende dieses Prozesses nehmen beide Seiten die Berufung zurück. Für die Angeklagten wird das als Geständnis gewertet. Die Geldbuße senkt sich auf gemeinsam 3000 Euro.
Trotzdem ist die Staatsanwältin zufrieden. Denn mittlerweile ist eine Verbotsverfügung ergangen. Den Angeklagten ist das Halten von Pferden für zehn Jahre untersagt. Doch die sind ohnehin froh, dass es vorbei ist: „Uns reicht es mit Pferden, wir wollen keine mehr", sagen sie. Und Rondo? Nach Bobbys Tod nahm der Züchter den Wallach zurück. Das angeblich wilde Tier steht heute in einem Stall in Furth im Wald. Und wird geritten.
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