Kenianische und deutsche Kulturschaffende diskutieren über kollektive Erinnerung und gleichberechtigte Kooperation.
Wie erinnern wir uns als Gesellschaft? Warum messen wir dem Gedenken so wenig Bedeutung bei? Und wie vermeiden wir, dass beim Erinnern an die afrikanische Geschichte die europäische Perspektive dominiert? Dies sind einige der Fragen, die kenianische Intellektuelle und Künstlerinnen am 22. Februar bei einer Podiumsdiskussion mit Vertretern deutscher Kulturinstitutionen im Nationalmuseum aufgeworfen haben. Anlass war der Besuch von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und seiner Delegation in Nairobi.
Im Vordergrund der etwa zweistündigen Veranstaltung stand das geplante Humboldt-Forum in Berlin, mutmaßlich das aktuell größte Projekt der deutschen Kulturpolitik: Im bis 2018/2019 wieder aufgebauten Berliner Stadtschloss soll „eine Begegnungsstätte für die Kulturen der Welt" entstehen, die „nicht nur ein Museum, sondern ein lebendiges Zentrum für kulturellen Austausch, Debatten, Aufführungen, für Musik und Film sein soll", so Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Der Archäologe und Prähistoriker unterstrich, dass das Humboldt-Forum nicht nur den europäischen Blickwinkel auf die Geschichte Afrikas, Asiens, Amerikas und Ozeaniens präsentieren wolle: „Wir wollen den Kulturen, die wir ausstellen, eine Stimme geben", sagte er in Nairobi. „Dazu gehört auch, dass wir uns unserer kolonialen Geschichte stellen. Das ist unsere Verantwortung, unsere geteilte Geschichte, unser gemeinsames Erbe."
Auch der Präsident des Goethe-Instituts, Klaus-Dieter Lehmann, und Bundesaußenminister Steinmeier betonten den Dialogcharakter des Projekts. Doch blieben alle recht vage, wie ein Dialog zwischen Kulturen im Humboldt-Forum konkret aussehen könnte. Auf Lehmanns Aussage, dass Arroganz und die Hierarchisierung von Kulturen in der Gegenwart keinen Platz mehr hätten, antwortete der Leiter der Forschungsabteilung des kenianischen Nationalmuseums, Geoffrey Mwachala, mit der Idee, ein Dialog der Kulturen könnte in der „Konfrontation unserer Geschichtsschreibungen" bestehen: „Das Humboldt-Forum ist eine seltene Gelegenheit, den jeweiligen Kontext zu rekonstruieren - nicht nur, wie er einmal war, sondern auch, wie die Fundstücke und Kunstgegenstände in unsere heutige Zeit passen."
Die Kulturwissenschaftlerin und Kolumnistin Joyce Nyairo äußerte sich beunruhigt: Auch wenn sich im Humboldt-Forum Berlin und die Welt begegneten, „besteht von Anfang an das Problem einer asymmetrischen, nicht gleichberechtigten Konversation." Dies müsse ausgehandelt werden. Darüber hinaus beschrieb sie die kenianische Gesellschaft als eine, die schnell vergisst und eine Erinnerungskultur nicht wertschätzt. Als Beispiel nannte sie den Nachtklub „Florida 2000" im Herzen der Stadt, dessen architektonisch ungewöhnliches Gebäude ohne Widerstand aus der Bevölkerung abgerissen wurde. Jahrzehnte kenianischer Musik- und Tanzkultur seien zerstört worden, ohne den Nachtklub als Stätte kollektiver Erinnerung in Betracht zu ziehen. „Ich fordere das Humboldt-Forum heraus: Wie geht es mit der Kultur des Auslöschens um, die in manchen Gesellschaften besteht? Wer entscheidet, welche Exponate ausgestellt werden und welche nicht?"
Auf ihre Fragen reagierte Parzinger mit der Versicherung, einen symmetrischen Dialog führen zu wollen. „Das Humboldt-Forum ist nur als Prozess ein Erfolg. Die Ausstellungsstücke wählen wir gemeinsam mit unseren Partnern in aller Welt aus." Er bot an, Teile der Ausstellung für einen längeren Zeitraum an Museen in aller Welt, darunter auch das Nationalmuseum in Nairobi, auszuleihen.
Im zweiten Teil der Podiumsdiskussion ging es um Koproduktionen in Kunst, Medien und Wissenschaft zwischen Deutschland und Kenia. Regisseur Tom Tykwer, der seit Jahren mit seinem Projekt „ One Fine Day Films " afrikanische Filmtalente ausbildet und mit „Nairobi Half Life" den kommerziell erfolgreichsten kenianischen Film aller Zeiten produziert hat, nannte seine Filmworkshops eine „lebensverändernde Erfahrung. Diese jungen Filmemacher kennenzulernen und ihre Herangehensweise an lokale Themen zu beobachten, hat meinen Blick aufs Filmemachen komplett verändert." Es sei notwendig, filmische Talente zu fördern, bevor der Markt bereit sei.
Eine ähnlich intensive Erfahrung beschrieb der Musiker und Produzent Bill Selang'a: Im Rahmen der Veranstaltungsreihen BLNRB und Ten Cities des Goethe-Instituts arbeitete er mit Musikern aus Deutschland zusammen. „Ich erlebe und mache Musik auf völlig andere Weise als Musiker aus Berlin", erzählte er. „Unsere verschiedenen Ansätze verdienen gegenseitigen Respekt."
Der Südafrikaner Arnold van Zyl, zurzeit Rektor der Technischen Universität Chemnitz, griff die Frage des symmetrischen Dialogs in der Wissenschaft auf: „Die Daseinsberechtigung der Wissenschaft besteht darin, das erworbene Wissen an die Gesellschaft zurückzugeben. Dazu müssen wir mit den Menschen in Kontakt treten. Und dafür brauchen wir die Medien." Als besorgniserregend beschrieb er eine subtile Tendenz in der Wissenschaft, Afrikaner wissenschaftliche Daten vor Ort sammeln zu lassen, die dann aber von Europäern und Amerikanern ausgewertet werden. „Auch hier muss es eine symmetrische Koproduktion des Wissens geben."
DAAD-Präsidentin Margret Wintermantel würdigte die 40-jährige wissenschaftliche Kooperation zwischen dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) und Ostafrika. Allein 2.000 Kenianerinnen und Kenianer hätten in dieser Zeit von Stipendien für Master- und Promotionsprogramme profitiert. In diesem Jahr würde die akademische Zusammenarbeit mit Ostafrika noch weiter ausgebaut: Mit 250 zusätzlichen Stipendien und einer hochdotierten Universitätskooperation zum angewandten Ressourcenmanagement.