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Nadin Weisze: Magersucht - mein Weg ins Leben

Kaum erwachsen geworden erkrankte Nadin Weisze an Magersucht - und starb fast daran. Auf der Grenze zwischen Leben und Tod begegnete sie sich selbst. Dann begann sie zu leben.

Ihre ersten 21 Erdenjahre verbrachte Nadin Weisze hauptsächlich im Kopf und hatte kein Gefühl für sich selbst und ihren Körper. Heute spricht die 25-Jährige mit dem Herzen und ist mit jeder Körperzelle tief verbunden. Ihre kecken grünen Augen sprühen vor Lebenslust, ihr weibliches Gesicht, auf dem meistens ein Lächeln liegt, zieht Blicke an. Mit klarer Stimme und innerer Sicherheit erzählt sie über das Leben und ihre Erfahrungen, sodass man meinen könnte, eine reife Frau über 50 sprechen zu hören. Das, was Nadin zu sagen hat, ist - für ihr Alter - außergewöhnlich.

Aber das war nicht immer so. „Früher war ich ein ganz normales Mädchen", erinnert sie sich. „Gut in der Schule, ein prima Freundeskreis und eine Topfigur". Nicht besonders auffällig, aber auch kein Mauerblümchen - irgendwie gerade so in der Mitte, normal eben. Leistung war ihr sehr wichtig und die Abizeit purer Stress. Sie definierte sich über das, was ihr Kopf konnte, darum mussten die Noten super sein. Nadin lernte viel und genoss die Rationalität von naturwissenschaftlichen Gesetzen, die ihr Halt gaben. Einmal verstanden lebten sie in ihr und waren leicht anwendbar. Zahlen und ihr Verstand waren dann auch der Weg in ihre Krankheit, die sich später als ultimative Selbsterfahrung herausstellen sollte.


„Es muss weniger werden" - ein täglicher Kampf

Die Berlinerin hatte nach dem Abitur zwei Kilo zugenommen und wollte diese mithilfe von täglich ausgerechnetem Kalorienverbrauch wieder loswerden. Detailliert schrieb sie auf, was sie aß und welchen Kalorienwert es hatte und sorgte dafür, dass sie unter einem bestimmten Wert blieb. Schnell wurde das zu einem festen System in ihrem Kopf. „Es muss weniger werden" und vielleicht auch „ich muss weniger werden" waren über Jahre ihre unbewussten Glaubenssätze. Parallel zum technisch-naturwissenschaftlich orientierten Studium, in dem sie den Perfektionsanspruch beibehielt und rund um die Uhr lernte, nahm sie Kilo um Kilo ab. Und da ihre guten Leistungen immer noch das einzige waren, was sie definierte, ließ sie auch dann nicht locker, als die Kräfte schwanden. „Ich stand vor dem Spiegel, sah, wie dünn ich geworden war und nahm mir ganz erschrocken vor, wieder mehr zu essen. Aber es ging nicht." Das System in ihrem Kopf, ihre Gedanken und die Angst vor dem Essen hatten längst die Oberhand gewonnen.

„Hilfe holen kam für mich nicht infrage, denn das hätte mich wie eine Versagerin aussehen lassen. Ich wollte kämpfen und unbedingt alles ganz alleine schaffen". Erst als Nadin weniger als 40 Kilo auf die Waage brachte, wandte sie sich an ihre Mutter.


Therapien und kontinuierlicher Selbstabbau


Schließlich landete sie in einer Klinik und konnte dort anfangs wieder essen. Die Therapeuten würden sie schon wieder gesund machen, es waren schließlich Ärzte. Doch auch das hielt nicht lange an. Nach diesem gescheiterten Klinikaufenthalt, inklusive Trinknahrung und Magensonde, lag sie irgendwann zuhause und musste kurze Zeit später über die Notaufnahme zurück in die Klinik, weil ihr Herz in den Nächten nicht mehr durchgehend schlug. Sie war ein Schatten ihrer selbst und dachte immer nur daran, die nächsten 15 Minuten irgendwie zu überleben. Im Krankenhaus kapselte sie sich weiter ab. Ihre Freunde sollten sie nicht mit der Magensonde sehen und mitbekommen, wie sehr sie versagt hatte. Als die Ärzte ihr mitteilen, dass sie Wasser in der Herz- und Magengegend hat und wohl bald an Leberversagen sterben wird, nahm Nadin das wie durch einen Schleier wahr. „Die Person, von der die gerade reden, muss ganz schön schlimm dran sein", dachte sie bei sich. So wenig bekam sie noch von sich mit, so sehr hatte sie sich selbst verlassen.

Doch auf diese Verkündung der Ärzte folgte die Nacht ihres Lebens.


Kurz vor knapp: Ein Dialog mit dem eigenen Herzen

Nadin lag wach, dachte nach, beschimpfte sich gedanklich und verstand einfach nicht, was los war. „Warum bin ich krank, warum bin ich nicht so schön und lebendig wie die anderen, was macht mich denn schon besonders? Das waren meine typischen, selbstzerstörerischen Gedanken", erinnert sie sich. Nadin konnte nicht mehr. „Ich begann dann so heftig zu weinen, wie lange nicht. Als ich aufhörte, war da eine tiefe Ruhe. Und aus dieser Ruhe heraus hörte ich mein Herz zu mir sprechen. Es wurde warm und weit und ich nahm Worte wahr. ‚Du bist wundervoll so wie du bist und du brauchst nicht irgendetwas zu sein, denn du bist bereits alles!'".

Darauf folgte ein weiterer Tränenausbruch - in Freude. „Auf einmal spürte ich mich! Ich sah klar, was ich mir angetan hatte und erkannte, dass ich das gar nicht verdient hatte.", beschreibt Nadin die ersten Momente, die sie wieder mit Leben füllten. „Ich habe all das nur gemacht, weil ich es nicht besser konnte! Ich wusste einfach nicht, dass ich jemand bin!" Als ihr das klar wurde, versprach sie sich selbst, sich nie wieder Leid zuzufügen. Ihre vorherige inneren Leere war erfüllt von Selbstliebe.

Und plötzlich war ihre Esstörung keine Esstörung mehr. „Warum sollte ich nicht essen dürfen?". Nadin wollte zunehmen, wollte leben, wollte endlich richtig da sein. Ihren Ärzten erklärte sie genau das und befand: „Ich bin nicht mehr krank!". Dafür erntete sie Kopfschütteln, ließ sich aber nicht beirren. „Ich fühlte es so sehr, aber mein Körper musste noch nachziehen, weil ich ihn lange echt scheiße behandelt habe. Doch ich selbst war gesund!" Noch über zwei Monate musste Nadin in der Klinik bleiben, während welcher es aber stetig bergauf ging. „Denn jetzt konnte ich mich spüren und für mich sorgen. Das klappte vorher nie. Immer wollte ich jemand sein, habe mich mit anderen verglichen und im Außen nach Erfüllung gesucht, weil ich nicht wusste, dass ich schon längst bin!"


Neue Nadin, neues Leben, neues Weltbild

Es begann ein langer Verstehensprozess für Nadin, in dem das, was sie seit dieser Nacht so unmittelbar fühlte, auch ihren Verstand erreichte. Schrittweise kam sie ihren Gedankenstrukturen und ihrem Potenzial auf die Schliche und erkannte, dass all die Zahlen, die Strukturen und ihr Fokus auf das Außen eigentlich gar nichts bedeuteten. Sie hatten ihr nur scheinbaren Halt gegeben, weil sie sich selbst nicht spürte. Nadin erkannte sich als Schöpferin ihres Lebens - und ihrer Krankheit. Intuitiv beobachtete sie ihre alten, negativen Gedanken und ersetzte sie schrittweise durch liebevolle, neue. Auch bei ihren Mitmenschen auf der psychosomatischen Station war sie plötzlich offen - so offen, dass sie spüren konnte, was das jeweilige Thema hinter einer Depression oder Angststörung war. „All diese Symptome zeigen, dass ein Mensch sich nicht spürt und seinen Weg nicht gehen kann. Bei mir war es die Magersucht, weil ich mit den Zahlen und meiner Systematik hineingerutscht bin, aber es hätte auch jede andere Krankheit sein können." So wandelte sich auch ihr Blick auf die Therapeuten. „Woher soll ein Arzt, der seine erlernten Schemata hat, wissen, was in mir vorgeht und was ich ganz individuell brauche? Dafür muss ich die ersten Schritte machen, er kann mir dann mit seinem Wissen helfen. DEN einen Weg für DIE eine Krankheit gibt es nicht."

Heute erspürt Nadin ihren Lebensweg neu. „Eigentlich wollen da ganz andere Dinge aus mir heraus, als im Studium oder der klassischen Arbeitswelt gefragt, wo ich ursprünglich hinwollte." Sie hat einen Blog gegründet und vernetzt sich mit neuen Menschen, die sich mit ihr über ähnliche Erfahrungen und den neuen Zugang zum Leben austauschen. Parallel schreibt Nadin an ihrem ersten eigenen Buch. „Wachgehungert" soll das Werk heißen, das mithilfe von SchreibGlück entstanden ist und 2017 erscheint. Auch Nadins Wahrnehmung für Menschen und ihre Themen findet einen Kanal: Sie ist „Free Woman Coachin der neuen Zeit" und lässt sich zusätzlich zum Intuitions- und Berufungscoach ausbilden.

Denn jetzt lebt Nadin nicht mehr im Kopf. Mit der Sprache ihres Herzens kann sie andere in ihre Erfahrung eintauchen lassen und sie dadurch besser mitlernen lassen, als in jeder Theorie möglich wäre. Sie weiß jetzt, dass auch die dunkelsten Stunden ihres jungen Lebens einen Sinn hatten. „Das alles ist passiert, damit ich realisiere, dass ich bin!"

Zum Blog: www.nadinweisze.de

Zur Autorin: www.anja-katharina.de


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