Journalismus kann sich beim Thema „Fake News" nicht hinter bösen Verschwörungstheoretikern, Rechtspopulisten und Ewig-Gestrigen verstecken, im Sinne von: Die böse - wir gut. Das ist eine zu einfache Sicht auf die Dinge. Sie ist auch ein bisschen feige.
Eine neue Studie der Stiftung Neue Verantwortung hat den Verlauf zehn ausgesuchter, prominenter Falschmeldungen im Vorfeld der Bundestagswahl 2017 untersucht. Darin zeigen die Forscher: Stimmt, die meisten Fake News werden durch übliche Verdächtige wie die „Epoch Times", „Junge Freiheit" oder die AfD verbreitet. Medien wie der ARD-„Faktenfinder", der BR-„Faktenfuchs", die „Süddeutsche Zeitung" oder „Spiegel Online" übernehmen dann oft die Rolle als „Debunker", also Richtigsteller falscher Information. Nur tun sie das leider oft zu spät, und sie bekommen nur einen Bruchteil der Aufmerksamkeit des Publikums, das auf die falsche Meldung hereingefallen ist.
Wären die Fronten ja doch wieder geklärt. Der Journalismus ist fein raus.
Das könnte man meinen, wenn die Studie nicht offenlegen würde, wie sehr auch „unsauberes Arbeiten" von Journalistinnen und Journalisten zu „Fake News" und ihrer Verbreitung führt. Die Forscher haben dafür eine eigene Kategorie von Beiträgen eingeführt. Die nennen sie: „Poor Journalism". Darunter fassen sie Falschmeldungen zusammen, die „auf einer qualitativ mangelhaften oder höchst missverständlichen Veröffentlichung von professionellen Journalist:innen" beruhen. Man geht davon aus, dass „keine intentionale Verbreitung von Falschinformation vorliegt".
Ein Paradebeispiel für den Werdegang einer „Fake News", die auf „Poor Journalism" zurückzuführen ist, ist die Geschichte von den 1000 randalierenden Migranten auf einem Volksfest in Schorndorf, aus dem die AfD eine „islamische Grabschparty" machte. Der Ursprung dieses Märchens ist die Nachrichtenagentur dpa, die eine Polizei-Pressemitteilung falsch zusammenfasste.
In zwei Meldungen schrieb die Agentur von 1000 Jugendlichen, die meisten davon möglicherweise mit Migrationshintergrund, angeblich randalierend und sexuell übergriffig. Dabei ging es in der Polizeimeldung um zwei verschiedene Sachverhalte. Erstens: Dreimal wurden der Polizei sexuelle Belästigungen auf dem Marktplatz gemeldet. Zweitens: Am gleichen Abend versammelten sich etwa 1.000 Jugendliche im Schlosspark, einem komplett anderen Ort, von denen sich etwa 100 „feindselig gezeigt hätten" und beispielsweise mit Flaschen warfen.
Diese Meldung erreichte mit Abstand die größte, virale Reichweite in ihrer Untersuchung, so die Forscher. Sie betonen, dass vor allem dpa als Nachrichtenagentur eine hohe Verantwortung trage. Sie sei Dienstleister für viele Redaktionen, die ihre Meldungen übernehmen. Eine Nachricht verbreite sich so nicht nur auf den bekannten rechtspopulistischen Kanälen, sondern auch in etablierten Medien. Dadurch gewinnt sie an Aufmerksamkeit und Glaubwürdigkeit, und sie erzielt besonders hohe Interaktionsraten, durch Teilen, Liken oder Kommentieren in den jeweiligen Kanälen. Durch gegenseitiges Abschreiben finden Falschnachrichten so größte Verbreitung.
Auch „privilegierte Quellen" kritisch hinterfragenEin besonderer Fall sind die so genannten „privilegierten Quellen" wie Polizei oder staatliche Institutionen. Die sind oft erste, manchmal auch einzige Quelle für eine Nachricht. Trotzdem müssen Journalisten und Journalistinnen im Umgang mit ihnen kritisch sein: Im Wahlkampf oder bei Großereignissen wie G20 vertreten sie auch eigene Interessen, die nicht ungeprüft oder aus dem Kontext gerissen in die Berichterstattung aufgenommen werden sollten.
Die Studie zeigt aber, dass genau das passiert ist. Beispielsweise im Fall zu angeblichen „Schockzahlen" des bayerischen Innenministeriums zum Anstieg von Sexualstraftaten, insbesondere von Zuwanderern. Der beruhte vor allem auf einer Gesetzesänderung, wodurch auch sexuelle Nötigungen als Vergewaltigungen erfasst wurden. Hier teilten welt.de, merkur.de, faz.net und auch wieder die dpa die missverständlichen Zahlen. Die wurden von den Forschern als „gescheitertes politisches Manöver der CSU" bewertet. Die CSU erhoffte sich womöglich Vorteile im Bundestagswahlkampf, wirklich profitieren konnte sie davon aber nicht. Die irreführende Information wurden vor allem von der AfD genutzt und verbreitet.
Ähnlich verhält es sich mit der falschen Nachricht, dass zahlreiche Flüchtlinge Urlaub in ihren Heimatländern machten. Ursprung war die Antwort des baden-württembergischen Innenministeriums auf die Anfrage der AfD-Landtagsfraktion, dass rund 150 Asylbewerber seit 2014 in ihr Heimatland gereist seien, ohne ihren Asylstatus zu verlieren. Von Urlaub und Erholung war keine Rede. Trotzdem übernahm die dpa die Erzählung vom „Heimaturlaub" für Asylbewerber, woraus welt.de die Nachricht produzierte: „Flüchtlinge machten offenbar mehrfach Urlaub in Heimatländern". Auch nach einem richtigstellenden Artikel von „Spiegel Online" korrigierten weder dpa noch die „Welt" ihrer Berichterstattung. Deswegen ordnen die Forscher diese Beiträge auch nicht der Kategorie „Poor Journalism", sondern „Fake News" zu.
Besonders heikel wird es, wenn ein Medium selbst falsche Informationen produziert. Dazu braucht es bei „Bild" gar nicht viel. Man nehme Zahlen einer über ein Jahr zurückliegenden Statistik, fasse die Antworten „kein Schulabschluss" und „keine Angabe" zusammen und werfe alle Flüchtlinge, statt nur die in der Statistik befragten Arbeitssuchenden, in einen Topf - und fertig ist die Schlagzeile: „Bundesinstitut rechnet offizielle Zahlen nach. 59 Prozent der Flüchtlinge haben keinen Schulabschluss".
Auch das wurde von der Studie als „Fake News" einsortiert. Miriam Meier von der Stiftung Neue Verantwortung erklärt, man habe den zuständigen Redakteur sogar angerufen und auf seinen Fehler aufmerksam gemacht. Der habe nur gemeint, dass schon alles richtig sei an der Überschrift.
Der „Spiegel", der vorab eine Meldung über die Ergebnisse der Studie brachte, gab ihr die Überschrift: „Schlechte PR füttert Fake News". Viel ehrlicher wäre: „Schlechter Journalismus füttert Fake News".
Journalistinnen und Journalisten haben sich selbst geschadetZum einen tun Journalisten das, indem sie den Begriff „Fake News" inflationär benutzen, gern mit vagen Formulierungen wie: „In Zeiten von Fake News", „Fake-News-Medien" oder der Rede vom „Fake-News-Zeitalter". Daniel Moßbrucker, der die Karriere des Begriffs „Fake News" in der Medienöffentlichkeit inhaltsanalytisch untersucht hat, schreibt: In Artikeln, die den Begriff „Fake News" beinhalten, drehe es sich „mehrheitlich gar nicht um das Fake-News-Phänomen". Stattdessen wurden vor allem vor der Bundestagswahl, also nach der Wahl Trumps, mögliche Schreckensszenarien dramatisch skizziert.
Durch diese Art über „Fake News" zu schreiben, haben sich Journalistinnen und Journalisten selbst geschadet. Wie es auch Moßbrucker schreibt: Weil der Begriff so lapidar verwendet wird, kann er gezielt von politischen Akteuren genutzt werden, „um etablierte Medien und kritischen Journalismus zu diskreditieren. Das Ziel ihrer Agenda ist damit aufgegangen."
Zum anderen füttern Journalisten „Fake News" durch schlechten Journalismus. Neben den anfangs genannten Positivbeispielen, die aktiv richtig stellen und aufklären, gibt es noch zu viele professionelle Medien, die „mal als versehentliche Katalysatoren, mal als bewusste Auslöser" von „Fake News" agieren, wie es in der Studie heißt. Besonders Publikationen des Springer-Verlags wie welt.de und bild.de stechen als Verbreiter falscher Informationen hervor.
Aber auch swr.de, faz.net und die dpa liefern in der Studie Beispiele dafür, dass manchmal einfachste Regeln des Journalismus nicht eingehalten werden. Über die Gründe dafür können auch die Forscher nur spekulieren: „Sei es aus ökonomischen Gründen, weil sich bestimmte Nachrichten ‚besser verkaufen' oder aufgrund extrem ungenauer journalistischer Arbeit."
Kurz gesagt: Der Begriff „Qualitätsjournalismus" ist Unsinn. Journalistinnen und Journalisten sollten immer Qualität produzieren. Das muss das Ziel und die Regel sein, nicht irgendeine Sonderform des Journalismus. Jede Schwäche und Ungenauigkeit wird sonst ausgenutzt, vor allem von rechts, und als „ideologische Kampagne" und „Kommunikationsstrategie" benutzt, wie die Macher der Studie schreiben. Deswegen sollten wir aufhören, ununterbrochen über „Fake News" zu reden, und stärker die eigenen Schludrigkeiten zu bekämpfen.