Gefangene sind risikobereit, offen für Neues und wissen, wie man Mitarbeiter führt. Eine bayerische Initiative unterstützt Sträflinge deshalb dabei, nach der Entlassung ein Unternehmen zu gründen.
Die 35-jährige Maren Jopen hat ihren Marketing-Job gekündigt, um ins Gefängnis zu gehen. Sie und ihr Vater Bernward Jopen lehren Häftlinge der Justizvollzugsanstalt München, wie man einen Geschäftsplan schreibt. Im Programm Leonhard spielen die Sträflinge aber auch mit Lego. Ein Gespräch über Menschen, die beschlossen, ihr Leben zu ändern.
SN: Warum sind Gefangene die besseren Unternehmer?
Jopen: Ich würde nicht sagen, dass sie immer die besseren Unternehmer sind. Aber sie bringen jedenfalls unternehmerische Qualitäten mit - ein Häftling, der einen Drogenring aufgebaut hat, weiß, wie er Mitarbeiter richtig entlohnt, neue Geschäftswege anbahnt und einen Vertrieb aufbaut. Sie sind risikobereit und offen für Neues. Das sind Qualitäten, die Unternehmer gut brauchen können und die wir mit dem Programm Leonhard fördern wollen.
SN: Warum heißt das Programm Leonhard?
Jopen: Leonhard ist der Schutzpatron der Häftlinge. Wir haben keinen religiösen Hintergrund - finden die Metapher aber schön.
SN: Was ist Ihr Ziel?
Jopen: Unsere Kursteilnehmer sollen ihre Qualitäten, die sie bisher für illegale Geschäfte verwendet haben, nach der Entlassung für ein legales Unternehmen nutzen. Mit Leonhard soll die Rückfallquote sinken. Jeder Häftling kostet den deutschen Staat nämlich 28.000 Euro im Jahr.
SN: Wie wollen Sie das erreichen?
Jopen: Wir unterrichten die Häftlinge in der Justizvollzugsanstalt München zwanzig Wochen lang und helfen bei der Entwicklung eines Geschäftsplans. Wir stehen aber auch oft bei der Entlassung am Tor und begleiten sie danach.
SN: . . . und was passiert beim "Lego Serious Play"?
Jopen: Die Kursteilnehmer stellen ihre Idee mit Lego dar und erklären sie den Trainern unserer Partnerfirma Orange Hills. Sie bemerken dabei Schwachpunkte des Geschäftsmodells.
SN: Wer unterrichtet außer Orange Hills sonst noch?
Jopen: Neben unserem internen Kernteam haben wir externe Dozenten, die zwei Mal pro Woche in das Gefängnis kommen. Darunter sind etwa Kommunikationstrainer, Vertriebsprofis, ein Personalchef zum Thema Bewerbung und Unternehmer, die ihre Geschichte erzählen. Mentoren begleiten die Menschen nach der Entlassung, viele von ihnen sind Coaches. Außerdem rede ich mit den Häftlingen über Werte wie Aufrichtigkeit und Verantwortungsbewusstsein.
SN: Wie war es, als Sie das erste Mal ein Gefängnis betraten?
Jopen: (lacht) Bevor ich mit meinem Vater das Programm Leonhard gegründet habe, war das Gefängnis der letzte Platz im Universum, wo ich sein wollte. Das erste Mal war in Texas: Ich ging durch Sicherheitsschleusen, ein Beamter durchsuchte mich. Die Wände waren kahl, ich fühlte mich nicht wohl. Das änderte sich im Kursraum, da war eine unglaubliche Stimmung der Zuversicht.
SN: Warum waren Sie in dem Gefängnis in den USA?
Jopen: Mein Vater und ich besuchten unser Vorbildprogramm, durch das wir auf die Idee von Leonhard in Deutschland kamen.
SN: Sie unterrichten 15 Gefangene. Wie wurden die ausgewählt?
Jopen: Die Kursteilnehmer müssen sich zuerst bewerben. Wir schließen aber Sexualstraftäter und notorische Serienbetrüger aus, weil wir zum einen viele weibliche Mentoren haben und zum anderen uns Serienbetrügern einfach nicht gewachsen fühlen. In einem persönlichen Gespräch testen wir, ob die Person wirklich das Rückgrat hat, das Programm durchzuziehen. Wir wollen Leute, die beschlossen haben, dass ihre Zukunft anders sein soll. Die ausgewählten Häftlinge werden dann aus einer der 36 bayerischen Anstalten nach München verlegt.
SN: Gibt es Erfolgsbeispiele?
Jopen: Seit 2011 haben wir 46 Personen ausgebildet, 39 sind bereits entlassen. Davon ist nur einer wegen eines Bagatelldelikts rückfällig geworden - 60 Prozent der Entlassenen haben aber durchschnittlich nach 32 Tagen einen Job gefunden. Das ist enorm schnell. Fünf Kursteilnehmer sind selbstständig: Sie führen Firmen wie einen Alten- und Krankenpflegedienst, eine Agentur zur Suchmaschinenoptimierung oder ein Unternehmen, das mit Luxusautomobilen handelt.
SN: Was sagen die Teilnehmer?
Jopen: Am Anfang sind sie relativ skeptisch. Manche denken, bei Leonhard handelt sich um eine Sekte. Nach einer Woche fällt die Barriere und wir bekommen Feedbacks wie: "Danke, dass Sie mir geholfen haben, den Karren aus dem Dreck zu ziehen."
SN: Ihre Pläne für die Zukunft?
Jopen: 90 Prozent unserer Kosten deckt aktuell der Europäische Sozialfonds. Danach wollen wir uns selbst finanzieren, etwa durch Social Impact Financing. Private Investoren geben uns für eine bestimmte Zeit Geld, gleichzeitig besteht ein Vertrag mit dem Staat. Deutschland spart ja, wenn die Häftlinge nicht rückfällig werden. Wenn wir erfolgreich sind, bekommen die Investoren ihr Geld plus Rendite vom Staat zurück. Je niedriger die Rückfallquote, desto mehr Geld erspart sich der Staat - deshalb wollen wir die Quote auf fünf Prozent senken.
SN: Sie glauben daran, dass jeder eine zweite Chance verdient hat?
Jopen: Ja - es ist ja für viele Häftlinge die erste echte Chance. Aber sie müssen die Gelegenheit beim Schopf packen: Wir können das Fahrzeug zur Verfügung stellen, fahren müssen sie selbst.
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