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Feature

Essen in Beijing

„Mit fettem Schwein das Hirn stärken und den Kampf gewinnen!“ war eine von Maos Empfehlungen an sich selbst, schließlich aß er gerne und deftig. „Bitter schmecken-den Fisch“, sollten die anderen essen, damit sie garantiert keinen Gedanken mehr ans Essen verschwendeten und sich auf das Wesentliche konzentrierten, nämlich auf den großen Sprung nach vorne. Die revolutionären Mahlzeiten sind jetzt wieder po-pulär. 59 Jahre nachdem er die Volksrepublik gegründet hat, wird Mao als Vorsit-zender einer nostalgischen Fressgemeinde verehrt.
Schlichtere Menschen beten sogar vor Mao-Devotionalien - vor allem um soziale Ge-rechtigkeit. Ein Bild vom Großen Steuermann, in goldenes Plastik gefasst, baumelt auch am Rückspiegel des Taxis und beschützt den Fahrer im dichten Geschiebe des Beijinger Verkehrs: es geht zum Red Capital Club in der Dongse Hutong, einem ganz besonderen Mao-Restaurant.
Vor dem äußerlich unscheinbaren grauen Stadtpalast aus der Quing-Dynastie parkt eine Stretch Limousine „Rote Fahne“, eine handgefertigte Karosse, mit der sich einst die Viererbande herumkutschieren ließ. Heute gehört sie zum Dekor. Bambus ra-schelt leise im Innenhof des Anwesens und in ausgehöhlten, kunstvoll geschnitzten Melonen flackern Kerzen. Sie werfen ihr mildes Licht auf bunt bemalte Holzschnitze-reien, die das Gebälk des historisch aufwändig restaurierten Palais zieren. Auf den rissigen Ledersofas mögen einst Träger grauer Maojacken ihre Zigarren ge-schmaucht haben – heute nimmt hier eine fröhliche Gruppe amerikanischer Touristen den Aperitif. Möbel, Bilder, Lampen, Bücher und Maobüsten stammen aus den frü-hen Jahren der Volksrepublik. Lawrence Brahm, der Eigentümer des Red Capital Club hat die Einrichtung seines Clubs liebevoll zusammengetragen. Sogar Maos Stimme knarzt aus dem Jenseits, wenn man den Hörer eines Bakelittelefones ab-hebt. Bedienungen in roten, hoch geschlitzten Quipaos servieren “Zhongnanhai (Bonzenviertel) Küche” im Bankett-Stil: aus Rübchen geschnitzte Drachen oder aus Gurken gedrechselte Blüten lagern auf den Leibspeisen des ehemaligen Führungs-personals. Deng zum Beispiel mochte es scharf, sein Lieblingshühnchen heißt „Dengs Würze des Lebens" und Deng war bekanntlich kein Spaßvogel. Das Huhn ist scharf.
„Den Chinesen ist das Essen der Himmel“, heißt es und von diesem Himmel wollen sie möglichst oft ein Zipfelchen erhaschen: Er ist ja so nah. Ein Ladenbesitzer, der im Unterhemd auf der Gasse sitzt und fernsieht, bräuchte nur den Arm ausstrecken, um sich mit Lammspießchen zu versorgen, die auf einem der vielen mobilen Holzkohle-grills brutzeln. Gedämpfte Baozi mit Fleischfüllung verkauft die Herrin über sieben gelbe Telefone an ihrem Kiosk in einer Hutong, daneben gibt es Nudelsuppe. Die schwer tätowierte Köchin tratscht mit einem alten Herrn, der geschnitzte Grillenkäfige nebst zirpenden Insassen feilbietet, als Haustiere wohlgemerkt, nicht zum Essen. Auf dem Nachtmarkt Donghua Men bei der Wangfujing Dajie gehen spezielle Snacks über den Ladentisch: Maden, Seesterne, Schlangen und zappelnde Skorpione auf Spießchen. Außer unzähligen solcher Straßenküchen soll es in Beijing mindestens 60 000 Restaurants geben**.

Unter tausend roten Lampions flanieren die Esslustigen in der Goulu Jie, der Geis-terstrasse. Viele Restaurants hier haben bis in die frühen Morgenstunden geöffnet, deshalb ist dieser Teil der Dongtsimennej Dajie nach den Untoten benannt, die als notorische Nachtschwärmer berüchtigt sind: lichtscheu, aber immer hungrig. Es duf-tet nach Shaoxin Reiswein und Sojasauce, nach Chilli, Grillfleisch und Bier. Herein-winker preisen den schärfsten Hotpot (ein Fondue), das billigste Bier, das leckerste Entchen an. Kluge Geister gehen ins ständig überfüllte Miao Ling, um sich dort den besten Hotpot mit würzigem Fisch zu sichern. Runtergespült wird mit Baijiu, sechzig-prozentigem Reisschnaps.

Mit Geisteressen, roten Laternen und Sojaschwaden hat die Pekinger Schickeria nichts am Hut. Sie pilgert zu ganz anderen Plätzen. Man trifft sich schon mal in den Luxusrestaurants der großen Hotels, doch die findet jeder, der bezahlen kann. Mit der Exklusivität wirklich ernst ist es manchen Restaurants in Hutongs, wie zum Bei-spiel dem Cafe Sambal. Es liegt versteckt in einer finsteren Gasse, nur eine Laterne aus verschossenem, rotem Seidenstoff wirft schummriges Licht auf den Eingang. Ein sehr unscheinbares Schild weist Eingeweihten den Weg in das Hofhaus. Serviert werden gepflegte Weine und malaysische Speisen. Das erlesene Publikum chillt in einer Mischung aus Antiquitäten und unterkühltem panasiatischen Chic.
Wer wirklich dazugehört, ist zu Events wie der Ausstellung „Food and Desire“ im Re-staurant Chamagudao eingeladen - im Central Business District, dem neuen, golde-nen Dreieck der erfolgreichen Geschäftswelt. In schwarze, japanische Designerkla-motten gehüllt, bewundert das Publikum die Top Ten der „Chinese Contemporary“ beim Nippen an grünem Tee oder beim Knabbern von frittierten Heuschrecken und Maden. Fang Lijun, einer der bekanntesten Künstler des Zynischen Realismus hat ein paar seiner Freunde eingeladen, ihre neuen Bilder in seinem Restaurant auszu-stellen: wenn man die Auktionen von Christie´s Hongkong als Maßstab nimmt, ein Meeting der teuersten chinesischen Maler. Fang Lijun, der Schöpfer der schweben-den Glatzköpfe, hat einen neuen heißen Trend losgetreten: Stars eröffnen eigene Restaurants. Bei Fang Lijun gibt es Yunnan-Küche, in Ai Weiweis minimalistisch ge-stylten Qu Nar probiert die Boheme Leckereien aus Zeijang. „Gewinn machen wir nicht, wir werben nicht für das Restaurant“, sagt Herr Weiwei, „aber wir haben hier einen Platz, an dem wir uns treffen können.“

„Ich wollte auch mal etwas ganz Normales machen“, grinst Fang Lijun, „nicht immer nur einsam im Atelier stehen. Deshalb habe ich ein paar Restaurants eröffnet.“ Eter-nit, Beton, Glas und viel Weiß bilden den eleganten Hintergrund, vor dem die kunst-vollen Speisen aus Fang Lijuns Küchen fantastisch zur Geltung kommen. Gedämpf-ter Steinfrosch auf Ingwer im geflochtenen Bambuskörbchen etwa ist fast zu schön zum Essen, Schlange lagert ausgesprochen hübsch zwischen roten Chilis und hoch-dotierten Bildern. Fang Lijuns neuestes Werk hätte allerdings keinen Platz hier, es misst 36x4 Meter und verdankt sein monströses Format angeblich einer Wette bei einem Bankett mit Künstlerfreunden.

Professor Li Cia Cai sind Trends und Design egal. Der alte Herr speist immer nur zuhause. Seit seiner Kindheit isst er immer dieselben Gerichte – allerdings sind das ziemlich viele: die Leibspeisen der verbotenen Stadt.
Bei Kaisers kamen bei einem ganz normalen Essen mindestens hundert verschiede-ne Gerichte auf den Tisch. An einem einzigen Rezept arbeitete ein Koch oft jahre-lang. Nur einer kannte alle geheimen Techniken, Rezepte und Geschmackskombina-tionen, das war Herr Lis Großvater, zuständig für die Kontrolle der kaiserlichen Kü-chen. Er probierte zuhause alles aus und schrieb es nieder, zum Entzücken seiner Familie. Die labte sich immer noch an Köstlichkeiten wie gedämpftem Schneefrosch mit Laich – das verspricht Schönheit! -, als die Palastküche in der verbotenen Stadt längst kalt blieb.
Die Zettelsammlung fanden die Roten Garden unter Herrn Lis Matratze, als sie gera-de dabei waren, seine schönen alten Möbel zu zerschlagen. Sechs Stunden lang ein vertrocknetes Stück Fisch sieden? Fünfhundert Mal eine Jakobsmuschelpaste rüh-ren? Dekadenz ist gar kein Ausdruck für so eine irrwitzige Tätigkeit. Sie verbrannten den konterrevolutionären Unfug.
„In der Verbannung auf dem Land habe ich heimlich solange experimentiert, bis ich die meisten Gerichte rekonstruieren konnte“, erzählt der ehemalige Mathematikpro-fessor, der mit seiner großen, altmodischen Brille einer weisen Grille ähnelt.

Die Welt dankt. Gesammelt in zwei Gästebüchern und mit sauber auf Schreibma-schine getippten Namen versehen strahlt alles, was berühmt, reich oder klug auf dem internationalen Parkett herumschwirrt in Herrn Lis Knipsmaschine. „M. Jagger, fa-mous popsinger“, grinst breit hinter leer gegessenen Tellern und Tsingtao Bierfla-schen, Bill Gates und Rockefeller bedanken sich artig, Muhammed Ali hinterließ ein signiertes Riesenportrait. Vorstände, Peking- und Seifenopernstars, Diplomaten und Regierungschefs kamen zum Horror ihrer jeweiligen Sicherheitschefs in das improvi-sierte Restaurant der Familie Li. Sie drückten sich an rostigen Fahrrädern im Flur und an gestapeltem Kohl vorbei, um dann in den ehemaligen Wohn- und Schlafzimmern der Familie Li Platz zu nehmen. Fotokopierte Zettel mit den Menus, billiges „Reis-korn“-Geschirr und Plastiktischdecken sind über den göttlichen Speisen schnell ver-gessen. Ein harmlos daherkommendes grünes Häufchen etwa stellt sich als Überra-schung für die Sinne heraus: mit seiner Mischung aus frittiertem sauren Kohl, Fasa-nenfleisch und Pilzen liegt es irgendwo zwischen herb, scharf und erfrischend.

Professor Li sitzt im einzigen, noch nicht ausgeräumten Privatzimmer des Hofhauses vor einem gigantischen Breitwandfernseher und hat eine Suppe vor sich, in der schrumpelige braune Seeginsengs schwimmen „Nur Haifischflossen und Vogelnester sind mir lieber!“ strahlt der alte Mathematiker. Die ultrateuren Delikatessen genießt Professor Li nicht aus snobistischem Übermut, er ist vielmehr davon überzeugt, dass sie als Medizin gegen das Altern wirken. 86 Jahre hat Herr Li Cia Cai schon auf dem Buckel, womöglich weil er immer tüchtig die richtigen Sachen gegessen hat.
Die Idee, sich mit dem Essen alle möglichen Eigenschaften und Kräfte einzuverlei-ben, ist uralt und nachzulesen beim „Gelben Kaiser“, dem mythischen Gründervater der traditionellen chinesischen Medizin.
Die reichen Geschäftsleute und Politbüromitglieder, die sich im Penisrestaurant Guo-lizhuang Manneskraft von Bullen, Eseln und Schlangen spendieren, nehmen dieses Prinzip sehr hübsch wörtlich. Vielleicht wäre es besser, sie würden - wie Mao - auf „Hong Shao Rou“, das fette Schwein setzen, das stärkt das Gehirn.