Chief Jim Hopper (David Harbour) raucht. Man macht sich nicht des Straftatbestands des Spoilerns verdächtig, wenn man zumindest so viel über die dritte Staffel der Serie Stranger Things verrät. Chief Hopper raucht im Bett liegend, ein Kissen auf die Brust gedrückt, Kippenstummel und Aschereste in der Kaffeetasse auf dem Nachttisch. Hopper raucht gelangweilt auf dem Rathausflur, wartend, weil es nichts Besseres zu tun gibt. Und Hopper raucht - das schaut heute am befremdlichsten aus - im Restaurant.
Drei Zigaretten in zwei Folgen. Kenner der Serie wissen: wenig. Aber noch sind zu diesem Zeitpunkt in dieser dritten Staffel auch keine schleimigen Monster aus finsteren Parallelwelten aufgetaucht, noch hält sich zumindest der berufliche Stress in Grenzen. Auffällig dagegen sind die ganz und gar zigarettenlosen Hände von Joyce Byers ( Winona Ryder) und Billy Hargrove (Dacre Montgomery). Ahnten die Macher etwa schon, dass es kurz vor Start der Staffel Ärger mit einer Antitabak-Organisation geben würde?
In Netflix-Serien, ganz besonders in Stranger Things, werde zu viel und zunehmend geraucht, lautet das Ergebnis einer Untersuchung der Truth Initiative. In allen Folgen der ersten und zweiten Staffel habe es " Tobacco Depiction" gegeben, damit liegt die Serie in dieser Statistik ebenso vor allen anderen (ebenfalls in jeweils zwei Staffeln untersuchten) Serien wie bei der Gesamtzahl der gezeigten Zigaretten (442). Allein bei der Gesamtzahl der in einer Staffel gezeigten Kippen liegt die dritte Staffel vonUnbreakable Kimmy Schmidt mit 292 noch vor der zweiten Staffel Stranger Things mit 262. Insgesamt, auch das zeigt die Studie, wird in Netflix-Produktionen deutlich mehr geraucht als in den untersuchten Serien aus " broadcast and cable programs".
Bemerkenswert hier wie dort: Teils drastischen Steigerungen der Zigarettenrate von Staffel zu Staffel im Gros der Serien (etwa von 9 auf besagte 292 bei Unbreakable Kimmy Schmidt) steht nur wenig Rückgang (etwa bei The Walking Dead (von 94 auf 38) gegenüber. Dies alles trage zur "Renormalisierung" der Zigarette im Fernsehprogramm bei.
Für die Zukunft gelobte Netflix nun umfassend Besserung: Produktionen mit einer Zielgruppe unter 14 Jahren sollen komplett frei von Rauchwaren sein, solange das nicht der historischen oder faktischen Wahrheit widerspricht. Bei Filmen und Serien für ein älteres Publikum muss die Kippe halt künstlerisch gut begründet werden. Keine echte Gefahr also für Jim Hopper, ein traumatisierter Eighties-Cop, der in Konfrontation mit dem Übernatürlichen natürlich raucht - alles andere wäre ja historisch, faktisch oder künstlerisch so gut oder schlecht zu begründen wie ... übernatürliche Wesen.
Dass allerdings überhaupt mit Versprechungen auf die Studie reagiert, ist interessant. Zum einen, weil es für die Freiheit der Kunst natürlich immer problematisch ist, wenn Dritte versuchen, direkten Einfluss zu nehmen auf künstlerische Produktion - mit Anliegen, die außerhalb der Kunst liegen. Zum anderen, weil das natürlich schon längst geschieht. Nicht zufällig taucht schließlich das Wort " renormalization" im Text der Initiative auf. Vorher muss das Rauchen also erst einmal "entnormalisiert" worden sein, was in Bezug auf den Alltag das eine, in Bezug auf Fiktionen aber eben etwas Anderes ist.
Der Weg zur als Nichtraucherzone erkennbaren Filmlandschaft war weit, und es wäre tatsächlich ein Irrtum, nähme man an, damals, in den für Stranger Things fiktionalisierten Achtzigerjahren, wäre in Film und Fernsehen noch hemmungslos gequarzt worden. Lucky Luke etwa galt seit den Fünfzigern als stoisch permanenter Raucher, der die Zigarette auch dann nicht aus dem Mund nimmt, wenn er sich im Faustkampf oder in der Kirche befindet oder an einen Marterpfahl gefesselt ist. Doch 1982 ersetzte sein Schöpfer Morris die Zigarette durch einen Grashalm. Zu dieser Zeit sollten die Comics vertrickfilmt werden, gerne ohne Tabakgenuss, fand die US-Produktionsfirma, die damit wiederum auf die auch in Europa erstarkende Antiraucherbewegung reagierte. Der Cowboy kompensierte den Entzug mit Aggression: Auf Buchrücken schoss er seinem eigenen Schatten plötzlich nicht mehr nur mit einem Revolver in den Bauch, sondern auch mal mit zweien ins Herz. Trotz der tödlichen Wirkung von Pistolenkugeln zeichnete die Weltgesundheitsorganisation () Morris 1998 mit einer eigens gefertigten Medaille aus.