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Bird Berlin: Vertrieben aus dem Paradies

Wenn Bernd Pflaum eine Mail unterschreibt, dann steht da nicht "Herzlich" oder "Beste Grüße", sondern stets und mit großer Konsequenz "liebevoll". Selbst dann, wenn er dem Empfänger dieser Mail nie persönlich begegnet ist. Liebevoll, vielleicht beschreibt das Bernd Pflaum selbst am besten.

An wortreichen Elogen auf ihn mangelt es nicht: Seine Anhänger beschreiben ihn als die einzig wahre, Glück bringende, lebende Discokugel, eine nektarreiche Honigbiene, eine One-Man-Glitzer-Show. Pflaum ist ein 36-jähriger Mann aus Franken, der nahezu unbekleidet überzuckerten Popschlager darbietet. Seine Show konfrontiert das Publikum auf ganz unmilitante Art mit dessen Vorstellungen von Männlichkeit. Manchen gefällt das nicht, sie wollen ihn dafür verprügeln. Pflaum will dann gern drüber reden, warum die das wollen.

Bernd Pflaum ist Bird Berlin. Die meisten sagen einfach Birdi, zumindest hier, in Nürnberg. Seit 15 Jahren macht er das jetzt: Er zwängt seine kräftigen Schenkel in enge Radlerhosen, die Waden und Unterarme in Neonstulpen und wuchtet den schweren, glitzergepuderten Körper auf die Bühne, um seine heftig mit dem Kitsch flirtenden Songs aufzuführen. Ins Brusthaar hat er ein Herz rasiert. " Come on, lass die Sonne Sonne sein! Lass sie scheinen! Jaaa, Super Calypso!"

Damit soll jetzt Schluss sein. Und wie er nun dasitzt im Edel Extra, dem Kunstverein in Nürnberg-Gostenhof, den er mit begründet hat, mag man ahnen, warum es auch mal gut ist mit Bird. Pflaum ist gar nicht bunt heute, ganz in schwarzer Trainingsklamotte. Er spricht leise und sanft, fast schüchtern. Er habe in den vergangenen Jahren versucht, auch andere Seiten von sich auf der Bühne zu zeigen, andere Songs zu schreiben, nicht immer nur das "happy Fröhlichkeitsding". Nach 15 Jahren mit Bird, Tourleben, Aufnahmen, Lesungen, Tätigkeiten als Radiomoderator und Dozent an der Akademie der Bildenden Künste sehnt Bernd sich nun nach Feierabend. Es sind auch 15 Jahre gewesen, in denen er dem Gespräch mit provozierten Mackern ungern aus dem Weg gegangen ist. Weil er die, die ihn anspucken, weniger als Bedrohung sieht denn als verunsicherte Menschen.

Bekannt wurde Bernd Pflaum nicht als Bird Berlin, sondern als Sänger der Indierockband The Audience. Auf den Bandfotos aus der Zeit trägt er schwarzes Hemd und schaut ganz ernst und rockermäßig in die Kamera. Die Musik erinnert an die Indiediscohelden der Nullerjahre und entsprechend hoch wurden The Audience damals gehandelt. 2012 löste die Band sich auf. "Ich habe früh gemerkt", erzählt Pflaum, "dass ich meine Ideen da nur zum Teil einbringen kann. Dass das ganze bunte, kitschige Ding da keinen Platz findet." Also fing er an, daheim am Computer Beats zu basteln und Melodien einzusingen, die gar nicht rau klingen, sondern eher süß. Er schichtete Chöre übereinander und schrieb Texte übers Tanzen und Sichverlieben. Die Attitüde ist bis heute gleich geblieben, die Ästhetik musste noch angepasst werden: Beim ersten Auftritt 2002 hatte Bird noch kein Herz, sondern ein Quadrat in die Brusthaare rasiert, er trug keine Leggings, sondern Jeans. Es gab noch keinen Glitzer.

"Ich stand mit meinem CD-Player auf der Bühne", erinnert er sich, "und bei jeder Bewegung, die ich gemacht habe, ist die CD gesprungen." Er kichert. "Eigentlich ein katastrophaler Auftritt." Zwei drei Jahre später war die Figur zu Ende entwickelt und Pflaum hatte für einen Teil seiner Persönlichkeit eine maximal akkurate Entsprechung gefunden. Es ist ein Ausdruck maximaler Harmlosigkeit und Harmoniesucht. Bernd Pflaum ist ein großer Mann, Birdi ein großer Mann mit weicher Schale. Liebevoll eben.

Fast paradox erscheint es, dass ausgerechnet diese Kunstfigur aneckt. Am 22. September spielte Bird Berlin in Nürnberg auf einer Gegenkundgebung anlässlich des AfD-Parteitags. Der Kreisverband der Partei teilte Bilder des Auftritts auf Facebook, versehen mit dem Hinweis: "Wer solche Gegner hat, macht nicht viel falsch." Darunter gruppierte sich der übliche beleidigende Schmutz der rechten Szene. Hunderte, teils menschenverachtende Kommentare. Währenddessen war Pflaum wandern und offline. Erst am Tag darauf schmierte er sich ein Butterbrot, schrieb eine Antwort unter das Posting und setzte sich dem Hass aus. "Es hat mich nicht berührt. Ich weiß bis heute nicht, warum es mich nicht berührt hat." Angenehm war die Situation freilich trotzdem nicht. Auch Briefe erreichten ihn, gespickt mit Drohungen. Befreundete Türsteher aus der Nürnberger Clubszene boten ihm an, ein paar Tage vor seiner Haustür zu campen.

Die meisten Anfeindungen beziehen sich auf Bird Berlins Körper. Er ist dick. Deshalb trete er ja auch halb nackt auf, sagt er. Nicht nur, weil er gern nackt sei, sondern vor allem, weil er gern tanze und dann so viel schwitze. Warum manche damit ein so offenkundiges Problem haben? "Ich habe versucht, mit denen ins Gespräch zu kommen. Ich habe gefragt: Was bewegt dich denn, so etwas zu schreiben?" Auf seine Nachfragen seien nur weitere Beleidigungen gekommen. "Die hatten 200 Bausteine, die haben sie einfach nur reinkopiert." Pflaum geht heute davon aus, zum Teil mit Bots diskutiert zu haben. Und mit Menschen, die wie Bots diskutieren.

Das ist die eigentliche Enttäuschung. Bird Berlin will "immer klare Kante gegen rechts" zeigen. Er will die Menschen aber auch nicht aufgeben und versumpfen lassen, sondern sie zurückholen in einen respektvollen Austausch. An diesem Anspruch ist er gescheitert. Auch, wie er sagt, in der Kommunikation mit AfD-Funktionären.

All der Ärger hat an dem, was Bird Berlin zum Ausdruck bringt, nichts geändert. Etwa ein Jahr gibt er dem Projekt noch. Ende April erscheint ein Best-of-Album, dann will er so viele Konzert wie möglich geben. Seine Fans sind aufgerufen, ihm zu schreiben, wohin er kommen soll. Sie rufen ihn schon nach Halle und Münster und Schwerin. Auch in Chemnitz, wo es nach einem Auftritt größeren Diskussionsbedarf gegeben hatte, wollen sie ihn noch einmal sehen. Der letzte Auftritt wird im kleinen Kreis stattfinden.

Und dann? Vielleicht will Bernd Pflaum in seinen alten Job zurückkehren und wieder als Heilerziehungspfleger mit Menschen mit Behinderung arbeiten. Vielleicht will er in ein paar Jahren wieder Bird Berlin sein. Vielleicht kommt etwas ganz Neues. Den Nürnbergern wird er erhalten bleiben, als Autor von Haikus und Kurzgeschichten, als Bingomoderator und Kolumnist. "Ich muss", sagt Pflaum, "erst mal leer sein, um mich wieder neu füllen zu können." Es möge ihm gelingen.

Bird Berlin spielt am 27. April in Nürnberg, am 1. Juni in München und am 14. Juni in Anklam. Weitere Konzerttermine hier

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