"Für die Amigos", sagt Rainer Uwe, "ist mir kein Weg zu weit." Deswegen steht er heute hier, vor der Konzerthalle in Bamberg. Auf seiner Hand verwaschene Tattoos, die Asche der Zigarette darin wird immer länger. Rainer kommt aus Wilhelmshaven, Nordsee, fast 700 Kilometer. Auf seinem T-Shirt steht "Amigos-Fan Rainer on Tour." Mindestens zehn Konzerte des Schlagerduos wird er 2017 besuchen, seit vier Jahren reist er den Amigos nach. Eine andere Band hat der Rentner noch nicht live gesehen.
Tausende Amigos-Bilder auf dem HandyAuf seinem Handy scrollt Rainer durch die Bilder, tausende seien das. Er sucht nach dem einen, das ihn und Bernd Ulrich zeigt, einen der beiden Amigos-Brüder. Aber auch der Rest der Bilder ist monothematisch: Verwackelte Konzertbilder, hier die Tochter von Bernd Ulrich, ebenfalls Schlagersängerin, eine Amigos-Tasse. "Aus der schmeckt mein Morgenkaffee gleich doppelt so gut." Er hat seinem Sohn dieselbe geschenkt, aber der hört lieber andere Sachen.
"Viele Bekannte sagen, ich wäre verrückt. Aber ein bisschen verrückt muss ja jeder sein." Rainer lässt die Kippe fallen. Gleicht geht's los. Die Vorfreude ist ungebrochen, auch beim hundertsten Mal.
Im Vorraum der Konzerthalle liegt der drückende Geruch von zu viel schwerem Damenparfüm. Die Fans stehen in Grüppchen zusammen, noch ein schneller Prosecco vorm Konzert. Man kennt sich: "Margit, schau no, die Gitte is a doo." Ein Großteil der Damen kommt mit dem Gatten.
"Wir haben irgendwann aufgehört zu zählen."Am Merchandising-Stand werden Kissen verkauft, auf die das Bild gedruckt ist, das man von den Litfassäulen und Stromkästen kennt: Zwei ältere Herren in roten Anzügen, dünnes, zu langes Haar, gerade nach vorn gekämmt, ein Lächeln im Gesicht, so schmerzhaft, als wäre den beiden der Fototermin eher peinlich.
Mary und Wolfgang Wagner brauchen keine Fanartikel mehr. Stolz entrollt Wolfgang das Plakat, das die beiden Schweinfurter gebastelt haben, inklusive Lichterkette und Teddybär. Sie tragen Amigos-Shirts und Amigos-Jacken, alles selbst gestaltet. Zu jeder neuen CD entwerfen sie neue Outfits. "Für uns gibt es nur eine Gruppe", sagt Wolfgang. Schließlich sei das ja auch alles mit Kosten verbunden. Pro Jahr besuchen sie zwölf, 13 Konzerte. "Wir haben irgendwann aufgehört zu zählen."
Dem Reporter ist das alles ein wenig fremd. Bei allen Möglichkeiten, die man so hat, seinen Freitagabend zu gestalten - warum? Warum, Amigos? Die Antwort ist immer die gleiche, egal ob man Rainer aus Wilhelmshaven, Mary aus Schweinfurt oder den zweiten Rainer, aus Trunstadt, fragt: Sie sind normal geblieben, die Ulrichbrüder aus dem mittelhessischen Villingen. Und: Sie singen Lieder vom Leben. "Das sind Lieder, die treffen jeden", sagt Trunstadt-Rainer.
Vielleicht stimmt das ja sogar. Dem Reporter geht's heut eh nicht so doll, flaues Gefühl im Magen. Vielleicht muss er sich mal auf etwas einlassen, sich abholen lassen, vom Einfachen. Vielleicht genau das Richtige. Die Musik der Amigos ist Minimalismus-Schlager: Keine Pyrotechnik, kein Konfetti. Nur zwei Brüder in roten Glitzeranzügen und ihre Songs direkt aus dem Leben.
In der Regel geht es um brennende Herzen und Frauen, die schön wie Engel sind. Ein Video, das über die Leinwand flimmert, bevor die beiden die Bühne betreten, verrät, dass ihnen diese Songs bislang 25 Mal Platin und 67 Mal Gold eingebracht haben.
Flammen der LeidenschaftDer Hype ist real. Die Konzerthalle zumindest fast ausverkauft. Und während die Amigos ihren ersten Song schmettern, flackern Flammen der Leidenschaft im Hintergrund: "Ich geh für dich durchs Feuer, auch wenn der ganze Himmel brennt." Im Publikum schwenkt man Plastik-Glitzerherzen im Takt. Und Mary und Wolfgang haben sich tatsächlich in Stellung gebracht, vorne links, direkt vor der Bühne entrollen sie ihr Plakat. Das Ehepaar Wagner singt und tanzt und ist sehr selig.
Der Reporter hat sich derweil einen ausgewachsenen Kopfschmerz zugezogen, weil er inmitten dieser Parfümwolke sitzt. Das macht's alles nicht besser, leider. "Wen trifft man im Paradies?", fragt Bernd Ulrich sein Publikum. Das weiß Bescheid: "Den Engel der Liebe." Umschauen: Die Bamberger Amigos-Fans singen leise, fast verhalten mit, wirken eher hypnotisiert als ausgelassen. Einige Ehemänner sehen ein bisschen mitgebracht aus.
Es braucht schon so einen richtigen Hit, um sie aus ihren Sitzen zu reißen: "Weiße Rosen blühen in Athen." Jetzt steht sogar Rainer Uwe, der angekündigt hatte, nicht zu tanzen. Eigentlich will er lieber sitzen und zuhören. Nun aber reißt er ekstatisch die Augen auf, schlägt die Hände überm Kopf zusammen und schreit: "Hoppa!" Den Ulrich-Brüdern werden Blumen an die Bühne gebracht. Man ist vorbereitet als echter Fan.
Das mit dem Abholen-Lassen funktioniert nicht so wirklich, die Songs treffen jeden, ja, aber den Reporter nicht. "Könnt ihr aufstehen?", fragt Bernd sein Publikum. "Ich habe da meine Bedenken. Was knackt da denn so?" Frecher Kerl. Unangenehm, jetzt sitzen zu bleiben, noch unangenehmer aber wäre es, aufzustehen.
Warum die roten Lackschuhe, fragt man sich. Warum funktioniert das? 25 Mal Platin, das heißt 25 Mal über 200 000 verkaufte CDs. Deutscher Schlager ist auch 2017 noch ein florierendes Geschäft. Hier werden noch CDs gekauft. Und durch den deutschsprachigen Raum gereist, um zwei Brüder aus Mittelhessen singen zu hören.
Nach den Klassikern der vergangenen zehn Jahre folgen nach der Pause die neuen Hits. Tempo und Tenor bleiben gleich. Die Gitarre, die Karl-Heinz da streichelt, ist nach wie vor unhörbar. Bernd schenkt einer jungen Rollstuhlfahrerin einen Spielzeug-Amigos-Laster, das Bamberger Publikum klatscht superengagiert mit. Ausdauernd und vielleicht ein bisschen hypnotisiert.
"Diese Ausstrahlung", sagt Rainer Uwe, "ist einfach der Wahnsinn." Morgen wird er sich in den Zug setzen und nach Aalen fahren, zum nächsten Konzert. "Solange die beiden machen", sagt er, "bin ich dabei." Verstehen muss man das nicht, aber schön ist es irgendwie schon, schön wie ein Engel. Hoppa.