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Ich bin erst ein paar Stunden hier, aber schon jetzt wollen zwei Frauen für mich beten und eine Missionarin aus Thailand hat mir ihre schwere, heiße Hand auf die Schulter gelegt, um mich zu segnen.
Gerade versucht Kithijon, mich von meinen Rückenschmerzen zu heilen. Das heißt, nein, es wäre nicht in seinem Sinne, das so zu sagen. Es ist ja nicht er, der mich heilen soll, sondern Gott. Er nennt ihn "Papa", seine Hand liegt auf meinem Rücken während er mit ihm spricht. Gott soll mich ansehen. Ich sei ein guter Mensch. Danke.
Kithijon ist mir nachgelaufen, weil er mitbekommen hat, dass ich den Leuten hier mein Diktiergerät unter die Nase halte. Ein vitaler, kräftiger Typ, Basecap nach hinten, 23 Jahre jung, Eltern aus Sri Lanka.
Kithijon auf der "Holy Spirit Knight"
"Und?", fragt Kithijon und grinst.
"Normal", sage ich und dass ich gerade jetzt eh keine Schmerzen gehabt hätte, aber wenn sie nicht wiederkommen, wüsste ich ja bei wem ich mich zu bedanken hätte.
Nicht bei mir. Bei Jesus.
Samstagnachmittag in der Hanns-Martin-Schleyer-Halle in Stuttgart. Laut Veranstalter sind "weit mehr als 10.000 Menschen" zur "Holy Spirit Night" gekommen. Der Veranstalter, "Gospel Forum", ist Deutschlands größte evangelische Freikirche, die "Nacht für den Heiligen Geist" ist ihr Festival für junge, ziemlich christliche Leute.
Aussteiger erzählen, es gäbe beim "Gospel Forum" eine fundamentalistische Gesinnung ( Der Spiegel), in einer Dokumentation vom NDR werden Führungspersonen der Szene als Manipulatoren der Massen dargestellt.
Evangelikale Freikirchen gelten als besonders wertkonservativ und bibeltreu. Es ist allerdings schwierig, eine generelle Aussage zu treffen, weil es sich nicht um eine einheitliche Konfession handelt: In Stuttgart treffen sich Pfingstler, Charismatiker, Baptisten, vielleicht sogar ein paar Mennoniten. M anche werden in sektenartigen Strukturen beten, andere nicht.
Die Grenzen sind fließend. Was ist eigentlich eine Sekte? Dieses Video erklärt es:Video-Player wird geladen...
Was bewegt diese Menschen?
Warum entscheiden sie sich für diese Kirche? Und was halten sie von mir, dem Ungläubigen, der die Bibel eher als Literatur schätzt, aber ein Schöpferwesen doch eher unwahrscheinlich findet?
Viele wollen lieber nicht mit mir reden - oder sie geben mir erst ein Interview, möchten dann aber ihren Namen nicht nennen. Dabei haben sie einen klaren Missionierungsauftrag, die Freikirchler sollen von Jesus erzählen und "Seelen ernten". Aber der Presse gegenüber ist man skeptisch.
Kithijon hingegen will seine Geschichte erzählen, auf jeden Fall."Ich bin christlich aufgewachsen, mein Vater ist selber Pastor. Aber ich habe nie so einen Bezug zum Glauben gehabt und eine Leere in mir gespürt." Mit Alkohol, Frauen und Drogen habe er versucht, diese Leere zu füllen. Er fing an zu dealen. "Dann wurden meine Leute verraten. Alle Namen wurden genannt, außer meiner. Das fand ich krass."
Von seinen Eltern lässt sich Kithijon überreden, an einer christlichen Jugendfreizeit teilzunehmen. Hier, sagt er, spricht Gott zu ihm. Gott sagt: Geh nach vorne. „Ich habe nach links und nach rechts geschaut, aber da war niemand." Also geht Kithijon nach vorne, vor die Bühne, wo man ein Team für sich beten lassen kann. „Als sie angefangen haben, musste ich weinen, weil ich diese Leere in mir entdeckt habe. Das war wie ein Aufbruch für mich."
Und dann hast du dein Leben geändert?Kithijon lacht: "Ehrlich gesagt nicht." Er habe gedacht, Christ sein sei schwer.
Dann lieber wieder kiffen und saufen, das war leichter. Aber es half nicht, nicht gegen die Leere. Also erinnert er sich und besucht die Gemeinde. "Ich habe gebetet und Gott hat mir innerhalb von zwei Monaten eine Lösung für alle meine Probleme gegeben." Das war im Januar. Heute trinkt Kithijon nicht mehr, nimmt keine Drogen. Nach seiner Ausbildung zum Konstruktionsmechaniker will er auf die Bibelschule gehen und selbst Pastor werden.
Er klingt jetzt schon fast wie einer. Von Gott, der alles recycelt wie ein Pfandautomat und von Jesus, der wie ein Notausgang in einem brennenden Gebäude funktioniert. "Natürlich will ich meinen Freunden den Weg zeigen. Sie würden verbrennen. Verstehst du, was ich meine?" Kithijon lächelt. Er rät mir, noch bis zum Abend zu bleiben. Er ist sich ganz sicher, dass ich dann auch noch zu Gott finden werde.
Was eine religiöse Gemeinschaft ist, und was nicht, ist nicht immer leicht zu sagen. Im Fall des Spaghettimonsters hat ein Gericht dagegen entschieden:
Kithijon ist ein besonderer Fall. Aber nicht ungewöhnlich. Auch wenn mir die Menschen mit einer Grundskepsis begegnen: Wer mit mir spricht, ist wahnsinnig freundlich. Selbst dann noch, wenn ich zugebe, an gar nichts zu glauben und ich sie frage, ob ich in die Hölle muss, auch wenn ich meistens ein netter Typ sei. Eine echte Antwort gibt es darauf nicht, die meisten gehen davon aus, dass ich früher oder später eh noch zu Jesus finde.
An diesem Wochenende passiert mir das allerdings nicht.Die Preacher auf der enorm großen Bühne der Schleyer-Halle haben nichts mit den Pfarrern zu tun, die wir in katholischen oder normal-evangelischen Kirchen treffen. Sie wirken eher wie eine Mischung aus Comedians und Motivationstrainern, die zu Management-Aspiranten sprechen. Der Grundtenor ist "Du kannst alles schaffen. Mit Jesus." Diese Botschaft unterfüttern internationale "Stars" wie Joseph Prince oder der Sohn des Gospel-Forum-Gründers, Markus Wenz, gleichsam mit Bibelstellen und persönlichen Anekdoten.
Hier erzählt Masha, wie sie sich von den Zeugen Jehovas gelöst hat:
Doch wer so einer Veranstaltung einmal zehn Stunden beiwohnt, erlebt nicht nur harmlose Mutmacher-Momente. Ben Fitzgerald, ein Prediger aus Australien mit Wuschelfrisur und cool verlottertem Bart, sagt zum Beispiel " I want Deutsche to be proud of being Deutsche. Who cares about history?" Und niemand steht auf und sagt: "Hier, ich!".
Am Ende seiner Predigt bittet Fitzgerald die Gläubigen zu sich. Wer mit Feuer gesegnet werden möchte, solle vor die Bühne kommen. Über der Leinwand hinter ihm lodern Flammen, jemand drückt ein paar epische Akkorde auf dem Keyboard. Und alle, wirklich alle wollen zu ihm. Sie rennen, sie recken die Arme in die Luft, manche weinen. Und Fitzgerald reckt sich über die Menge und schreit: "God baptizes in fire! Fire in Jesus! Let go!"
Ich muss an die frische Luft.
Draußen unterhalte ich mich mit Deborah, 21, die mit ihrer Mutter Heike da ist. Deborah ist in einer pfingstlerischen Gemeinde aufgewachsen, sie glaubt an die Bibel im wörtlichen Sinn, inklusive Teufel, Engel und Dämonen: "Was du mit Drogen erlebst oder in Horrorfilmen siehst", sagt sie, "ist realer als du denkst." Der Unterschied der freien Gemeinden zu den Amtskirchen liege darin, dass man keine Regeln erfüllen, keine Leistung erbringen müsse. "Jesus liebt mich, das ist das Zentrum von allem. Und das ist Freiheit."
Und wenn ich schwul bin zum Beispiel, liebt er mich dann auch?
Er liebt jeden Menschen gleich
"Egal ob Mörder, oder Terrorist. Er liebt auch die Homosexuellen", sagt Heike. Deborah: "Es entspricht halt nicht der Natur." Für sie ist Homosexualität eine Entscheidung. "Ich kenne auch viele Leute, die selbst damit in Berührung gekommen sind, aber sagen: Ich will mit Gott leben." Die Unterdrückung der eigenen Sexualität - zumindest die Leistung muss im entsprechenden Fall also schon erbracht werden.
Drinnen darf später noch Jean Luc Trachsel auf die Bühne. Auch er, ein Schweizer, ist Prediger, aber auch: "Entrepreneur." Gott selbst hat ihm einst eine leitende Position bei der Schweizer Bank verschafft. Sein Auftritt heute dauert nur wenige Minuten und lässt sich auf die schlichte Forderung herunterbrechen: „Seid großzügig!"
Die Gläubigen sind angehalten, ihr "Bestes" zu geben, egal ob ein Euro oder eine Million, Hauptsache, es kommt jetzt ein bisschen Kohle rüber.Und noch während Trachsel spricht, Englisch mit zuckrigen französischen Akzent, wandern die blauen Putzeimer durch die Reihen und niemand, niemand wird es wagen, ihn an sich vorüberziehen zu lassen, ohne die eigene Großzügigkeit unter den Augen des Herrn unter Beweis gestellt zu haben.
Was hilft, wenn Menschen in Sekten abzurutschen drohen? Diese Expertin weiß Rat:
Früher, als man sowas noch Ablasshandel nannte, war wenigstens der Gottesdienst umsonst. Dieser hier, mitsamt den eingeflogenen Stars, der Lichtshow, den Videoleinwänden, den Nebelmaschinen, den Bands, den Infoständen für Missionsarbeit in Afrika und gegen Abtreibung kostet, je nachdem, um die 30 Euro. Gott mag umsonst sein, der Heilige Geist nicht unbedingt. In der „Code Red Zone" werden hippe Shirts und Jutebeutel aus der „Fearless"-Kollektion verkauft.
Diese jungen Evangelikalen sind nicht die Eiferer, die beim Anblick von mir, dem Atheisten, Gift und Galle spucken. Man sieht ihnen den Glauben nicht an, wenn sie an der Straße an einem vorübergehen. Und doch ist ihr ganzes Leben, ihr Alltag davon durchdrungen, dass sie die Wahrheit über die Welt in einem mehr als 2000 Jahre alten Buch vermuten.
Neben mir wirft eine thailändische Missionarin etwas in den blauen Putzeimer. Ich traue mich nicht, sie anzusehen. Ich trage ihn über den Gang und drücke ihn einem älteren Herrn in die Hand und jeder, der eh schon mitbekommen hat, dass ich nie aufstehe oder die Arme hebe oder auch nur die Hände falte, sondern immer nur Notizen mache, hat nun auch gesehen, wie ich nichts in den Eimer werfe. Ich weiß, dass ich langsam gehen sollte.
Am nächsten Morgen wache ich mit Rückenschmerzen auf. Wenn es einen Gott gibt, dann liebt er mich vielleicht, aber geheilt hat er mich noch nicht.
Es gibt Depressionen, die sich mit einer Psychotherapie behandeln lassen. Und es gibt Depressionen, die nur durch Medikamente erträglicher werden.
Aber dann gibt es auch Depressionen, die auf nichts davon ansprechen. Die Diagnose lautet: "therapieresistent". Für die Betroffenen ist das sehr schwer, nichts kann ihr Leid lindern. Nun hat ein Wissenschaftlerteam in einer neuen Studie möglicherweise erste Erfolge für diese Gruppe vorzuweisen - und zwar mit Hilfe von Magic Mushrooms.