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Let's go Krakau: Selig sind die Barmherzigen - (Schein)Heiligkeit auf dem Weltjugendtag?

Vor einem Monat ging der Weltjugendtag in Krakau zu Ende. In den Medien in Vergessenheit geraten ist die Frage, welche Wirkung das Großereignis der jungen Katholiken in dieser Welt hat.

Nach einem Jahr Auslandsstudium in Italien habe ich nun viele Freunde und Bekannte auf der ganzen Welt. Daher freute ich mich umso mehr, weitere Kontakte mit jungen Leuten aus anderen Ländern zu knüpfen. Dies stellte sich für mich nur leider schwieriger vor, als ich dachte.


Zu meiner Enttäuschung blieben die meisten Pilger in ihrer eigenen Pilgergruppe oder taten sich mit Pilgergruppen aus ihrem eigenen Land zusammen. Dabei sollte doch gerade die Völkerverständigung im Vordergrund stehen, um sich gegenseitig näher kennenzulernen. Dies geschah dann vorsichtig durch den Austausch kleiner Geschenke wie Armbänder oder Rosenkränze. Auch ich habe meinen Pilgerhut gegen eine Kappe getauscht und einen Rosenkranz und gar eine weiße Rose geschenkt bekommen.


Der Heilige Geist oder einfach nur „Partystimmung"?

Die Stimmung auf dem Weltjugendtag wird immer als atemberaubend und kraftgebend in den Medien wiedergegeben. Mich beeindruckte auch die Furchtlosigkeit der tausenden jungen Menschen aus aller Welt inmitten von Militärhubschraubern und der Terrorangst in Europa.


An jeder Straßenecke waren Pilger und Verkaufsstände mit Hawaii-Ketten in den Farben Polens, Europa-Flaggen und anderen Souvenirs. Das erinnert mich spontan an die Partymeile Anfang Juli in Rimini, als Straßenhändler jedem Urlauber Deutschland-Hawaii-Ketten verkaufen wollten. Wo bleibt die Religiosität inmitten von solchen Verkaufsständen noch erhalten?


Nach den Messen am Abend liefen die jungen Pilger durch die Straßen. Ich war begeistert, wie ausgelassen und voller Freude so viele Menschen aus der ganzen Welt zusammen feiern konnten. Viele riefen nach Jesus, Maria und dem Heiligen Geist. Einige beteten das Vater Unser und andere Gebete inmitten der verschiedenen Länderfahnen.

Ich fühlte mich wie auf einem Musikfestival, nur ohne Alkohol. Jeder war glücklich und alle tanzten und sangen. Nun verstand ich zum ersten Mal, was mir Religionslehrer in der Schule ständig versuchten näherzubringen. Wie die Menschen miteinander kommunizieren können, obwohl sie nicht die Sprache des jeweils anderen sprechen - das musste der Heilige Geist sein.


Mit Behinderung auf dem WJT

Dennoch veränderte sich mein Blick im Laufe des Weltjugendtages. Schon am ersten Tag musste ich die Erfahrung machen, dass ich als Mensch mit Behinderung nicht mehr Rücksicht von den Pilgern erwarten sollte. Ich musste mit meinem Hilfsmittel, einem Rad, entgegen dem Strom der vielen Menschen fahren und wurde glatt umgerannt. Das ging mehrere Tage so.


Das Motto war: „Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Erbarmen finden". Gehört es gerade dann nicht dazu, das Motto gleich auf dem Weltjugendtag zu praktizieren und weiterzutragen? Indem man etwa Rücksicht auf Schwächere nimmt, damit wir alle gemeinsam eine schöne Zeit verbringen können?


In den Straßen Krakaus zogen tausende Menschen umher. Die einen machten Musik oder schauten sich - wie ich - interessiert die Stadt näher an. Viele andere dagegen wollten einfach nur Party machen. Mit Kopfschütteln beobachtete ich, wie über fünfzig Leute sich auf die Statue zur Ehrung des polnischen Nationaldichters setzten und freudestrahlend ihre Länderfahnen schwenkten.


Viele Menschen rempelten mich an. Ich konnte mir oft nur noch mit lautem Geschrei oder indem ich anderen Pilgern auf die Füße gefahren bin meinen Weg bannen. Gelebte Barmherzigkeit sieht deutlich anders aus. Dabei wurde im Pilgerheft von meinem Bistum sogar noch ausdrücklich dazu aufgerufen, Menschen mit Behinderung zu unterstützen, wenn sie es brauchen.


Am Ende ging mir das Singen der kirchlichen Lieder nur noch auf die Nerven, da es in meinen Augen nicht ehrlich klang. Ist es der Sinn zu beten, aber nicht den Sinn hinter den Worten des Gebets zu verstehen? Mit dem Rufen nach Jesus, Maria und ein bisschen Halleluja verändert sich die Welt leider kein Stück.


„Noch ist Polen nicht verloren" oder welche Bedeutung dieser Satz für mich gewinnen sollte

Wegen meiner Behinderung wurde ich erneut in meinem Leben auf eine Probe gestellt, die mir auf ganz eigene Weise den religiösen Sinn des Weltjugendtages zurückgegeben hat. Die Vigilfeier und die Aussendungsmesse mit Papst Franziskus fanden auf dem Campus Misericordiae statt. Dieser befand sich ungefähr zehn Kilometer außerhalb der Stadt Krakau.

Nach einer Messe auf den Blonia-Wiesen gab es ein großes Gedränge, in dem ich eigentlich nicht einmal verloren gegangen bin. Trotzdem meinten einige im Leiterteam meiner Pilgergruppe, dass es zu gefährlich wäre, mich auf den Campus Misericordiae mitzunehmen und ich mit dem Behindertendienst dort hinfahren solle.


Dieser Dienst für Pilger mit Behinderung war aber nicht erreichbar. Meine polnische Gastmutter hat auf meine Bitte im Internet nach den Daten gesucht und diese innerhalb einer Stunde gefunden. Nach den Informationen sollten alle Behinderten die letzten drei Kilometer zusammen mit allen anderen Pilgern wandern.


Das erschien mir machbar und ich freute mich schon auf die beiden Messen mit Papst Franziskus. Mein Glück sollte nicht lange währen, als ich erfahren hatte, dass ein Verantwortlicher aus dem Leiterteam ohne mein Wissen meine Eltern angerufen hatte. Diese sollten mir, obwohl ich 23 Jahre alt bin, die Teilnahme an der Pilgerwanderung verbieten. Dies machten sie natürlich nicht. Ich bin doch nicht entmündigt.


Am nächsten Tag wollte mich niemand mehr aus dem Leiterteam bei meinen Plänen unterstützen an der Wanderung und den beiden Messen teilzunehmen. Vehement kämpfte ich für mich und die Gleichberechtigung Behinderter. Mein Motto, an das ich tief glaube, lautet: „Schließt sich eine Tür, öffnet sich ein Fenster."


Meine Gastfamilie unterstützte mich dabei. Letztendlich hat mich mein Gastvater den gesamten Weg mitten in der Sonne begleitet. Ich weiß bis heute nicht, wie ich ihnen dafür jemals danken kann. Für mich bedeutete die Teilnahme unheimlich viel. Und nun verstehe ich auch, was das polnische Motto „Noch ist Polen nicht verloren" bedeutet: Gebe nie die Hoffnung auf und glaube an deine Träume und Wünsche.


Entgegen aller Erwartungen war der Großteil des Weges asphaltiert und ohne Probleme mit einem Fahrrad befahrbar. Die jungen Pilger in meiner Gruppe freuten sich sehr, dass ich trotzdem gekommen bin. Das Fenster hatte sich geöffnet, das erkannte nun jeder. Während der Pilgerwanderung spürte ich den wahren Sinn des Weltjugendtags für mich. Setze dich für deine Ziele ein und gib nicht auf. Ich hoffe, dies konnte ich auch an den einen oder anderen weitergeben, der daran zweifelte, dass ich es schaffen würde.


Wie der Weltjugendtag mich verändert hat

Im weiteren Verlauf des Weltjugendtags zeigte sich, dass die anderen jungen Pilger in meiner Gruppe alle sehr aufgeschlossen sind und jeder half mir sehr gerne, wenn ich Hilfe benötigte. Und gerade die letzten Tage habe ich die gelebte Barmherzigkeit und Nächstenliebe von Weltjugendtagspilgern aus meiner eigenen Pilgergruppe erlebt. Während eines Projekts zur Flüchtlingshilfe traf ich einige Pilger. Die Barmherzigkeit zeigt sich wohl nicht gleich im internationalen Rahmen vor Ort, sondern verborgen im Kleinen Zuhause.

Auch ich reflektiere mein eigenes Verhalten mehr als vorher und versuche, die eine oder andere schlechte Angewohnheit zu ändern. Mit vielen weiteren Pilgern bin ich auch im Kontakt oder wir haben uns getroffen. Keiner will den Kontakt aufgeben und die neugewonnenen Freundschaften weitererhalten. Der Gemeinschaftssinn geht deutlich über die zwei Wochen in Polen hinaus.

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