Saint-Denis an einem Novemberabend, drei Kilometer vor der Stadtgrenze von Paris. Rechts fließt der Kanal, links jagen Lichtkegel über die Autobahn, in der Mitte scheitert, mal wieder, die europäische Flüchtlingspolitik. Hunderte Männer stehen in einer Schlange auf einem Platz aus Beton, warten auf die Suppenausgabe. Hinter ihnen beginnt der Slum.
Zelt neben Zelt neben Zelt, die ersten 200, 300, vielleicht 400 stehen unter der Autobahnbrücke, die in einer lang gezogenen Kurve quer über den Platz führt, dahinter unzählige weitere auf einer matschgewordenen Wiese. Neben den Zelten vergammelt der Müll, leere Plastikboxen, in denen Nahrung ausgeteilt wurde, Hühnerknochen, Bierdosen. Hier und da lodern Feuer in Metallfässern, um die Gruppen junger Männer hocken. Steht der Wind günstig, verdrängt der Rauch den beißenden Gestank nach Urin. Etwas abgeschieden am Rand des Lagers, hinter einem hüfthohen Sichtschutz aus Bauzäunen und Decken, spielen zwei kleine Mädchen. Ansonsten wohnen hier fast nur Männer. Ein paar wenige sind noch minderjährig oder tragen weiße Bärte, die allermeisten aber sind Anfang, Mitte 20. Plötzlich eine Schlägerei in der Suppenschlange. Abends knallt es hier oft.
Man kennt das Elend solcher Lager von den Rändern. Vom Balkan etwa oder aus Lampedusa. Und aus Moria. Seit vielen Monaten schaut Deutschland auf das Camp in der Ägäis; die Tagesschau berichtet, der Bundestag debattiert; man echauffiert sich über die Griechen oder die Türken oder Horst Seehofer. Unter die Autobahnbrücke von Saint-Denis schaut niemand.
Original