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Einmal durchs Tal der Verzweiflung

Zwischen der Premiere seines ersten, dem Casting für seinen nächsten Kinofilm und einem „Tatort“, für den er das Drehbuch schreibt, lässt Thomas Stubers Terminkalender kaum Platz für ein Interview.

Fünf Jahre ist es her, dass Thomas mit VON HUNDEN UND PFERDEN sein Diplom an der Filmakademie bestritten hat. Fünf Jahre, in denen er die Hoffnungen, die auf ihn gesetzt und das Lob, welches man ihm hatte zuteil werden lassen, bestätigte. Denn seit dem Kurzfilm, für den Thomas unter anderem mit dem Studenten-Oscar in Silber und dem Deutschen Kurzfilmpreis ausgezeichnet wurde, flutscht die Karriere des Leipziger Regisseurs ganz gut. Dabei hätte alles ganz anders laufen können. Aber von vorn. Wenn man so will, ist der Diplomfilm die Visitenkarte aller Absolventen in spe; und Thomas wollte alles daran setzen, diese Visitenkarte auf Hochglanz zu bringen. Er arbeitet das Konzept für einen Langspielfilm aus, putzt Klinken, um die Finanzierung zu decken, verlängert das Studium schließlich um ein Jahr, um diesen, seinen Stoff umzusetzen. Und fährt immer weiter in eine Sackgasse. Dass man dort mehr lernt als auf der grünen Wiese, erklärt sich von selbst. Doch das Eingeständnis, dass man der falschen Fährte hinterherjagt, trifft sich nicht leicht. Thomas' Rettung: Die Filmakademie macht Druck – „schaue bitte, dass du fertig wirst, ja?“ – und er stolpert gerade rechtzeitig über eine Idee, die er schon länger in sich trägt: eine Kurzgeschichte zu verfilmen; genauer gesagt: eine Kurzgeschichte von Clemens Meyer. Jenem Autor, dessen Geschichten Thomas schon als Jugendlichen mitrissen, jenem Autor, der ganz genau Thomas’ Nerv trifft.

Er verwirft seine ursprüngliche Idee und stürzt sich in Meyers Geschichte über einen Mann, der Geld auf Pferderennen setzt, um Geld für die Operation seines Hundes einzutreiben. „Ich habe Clemens Meyer eine Mail geschrieben und ihm von meinem Projekt erzählt. Und einfach so stand er dann bei den Dreharbeiten auf der Matte.“ Bei dem Überraschungsbesuch ist es nicht geblieben: Zwei Filme hat das Team Stuber-Meyer bereits gemeinsam produziert, der nächste ist in der Mache. Ganz nebenbei sind sie Freunde geworden. „Mein Diplomfilm hat mich stark geformt, und er hat mich zu HERBERT geführt“, sagt Thomas. Auch in seinem aktuellen Kinofilm geht es um einen Mann, der, von seinem Schicksal gebeutelt, den Schopf aus dem Schlamassel zu ziehen versucht. Antihelden, die an bizarren Schauplätzen ums Leben kämpfen, Menschen, die am Rand der Gesellschaft ein Dasein fristen, das den meisten entginge, wenn die Stubers und Meyers dieser Welt es nicht aufschrieben, sind das Herzstück von Thomas' Filmen. HERBERT ist die Geschichte eines Boxkämpfers, der sich nach einer ALS-Diagnose mehr schlecht als recht als Boxtrainer am Ring und damit am Leben zu halten versucht. „Ich mag harte Themen. Der Film fordert die Zuschauer und spielt mit der Nervosität.“ Thomas sprudelt vor Begeisterung, wenn er von HERBERT spricht. „So lange hat mich noch kein Film begleitet.“ Vor zwei Jahren drehte er das Drama, reiste fast ein Jahr lang mit ihm auf Festivals und konnte im März 2016 endlich die Kinopremiere feiern – die Kritiker haben HERBERT mit Lob überschüttet, und im Mai 2016 wurde der Film mit drei Deutschen Filmpreisen ausgezeichnet, als Bester Spielfilm in Silber, für die Beste männliche Hauptrolle (Peter Kurth) und Bestes Maskenbild (Hanna Hackbeil).

Dass eine gute Kritik oder auch ein Preis nicht die Welt bedeuten, hat Thomas für sich erkannt, als jene „verrückte Welle“, auf die ihn sein Diplomfilm mitnahm, durch sein Leben zischte. Als einer von drei Auserwählten durfte er nach Los Angeles fliegen, Stars der Filmbranche treffen, von ihnen lernen. Und: einen Preis entgegennehmen – den Studenten-Oscar nämlich. „Das hat mich für ein paar Monate in eine Glücksblase katapultiert“, erzählt Thomas, „und im Rückblick sehr beruhigt. Jemand hat mir mal gesagt, 'das kann dir keiner nehmen', und das stimmt. Nur ändert es auch nichts daran, dass du bei jedem Projekt neu anfangen musst. Und nach einer Woche spricht keiner mehr über deine Auszeichnung, das ist einfach 'business of the day'.“

Als die Hollywood-Blase auf Leipziger Asphalt trifft, ist Thomas „eigentlich ganz froh, zurück zu sein.“ Er weiß es zu schätzen, vom Filmemachen leben zu können und schielt nicht unbedingt über den großen Teich. „Klar könnte ich es mir vorstellen, aber meiner Familie und mir geht es zu gut hier, es ist ein großes Privileg, dass ich Kino- und Fernsehfilme machen kann.“ Amerika spielt eine wichtige Rolle in Thomas' Leben: Sein letztes Schuljahr verbrachte er dort, schaute jeden Film, den er in die Hände bekommen konnte und liebäugelte mit einem Studium an der UCLA in Los Angeles. Beworben hat er sich dort nicht; die Filmakademie schien ihm für seinen Traum die richtige Grundlage zu sein. Nach mehreren Praktika arbeitet er in Leipzig als Script/Continuity und zieht für das Regiestudium nach Ludwigsburg.

„Dann war alles ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte“, erinnert er sich. „Ich hatte damit gerechnet, dass ein Allwissender jedes Fachs vor mir steht und sagt: 'Hefte auf, Klassenarbeit'“. Stattdessen war von Anfang an Praxis angesagt. Nach einer Eingewöhnungsphase begreift Thomas die Freiheit als Chance: „Zuerst dachte ich, da schwimmt man nur im eigenen Saft. Dann wurde mir klar: Du kannst hier alles machen, sei mal kreativ!“ Sein Drittjahresfilm TEENAGE ANGST läuft auf der Berlinale, sein Diplomfilm VON HUNDEN UND PFERDEN rettet ihn aus der ersten großen Krise. Bei der ist es bisher auch geblieben.

Neben Kinofilmen wie HERBERT hat sich Thomas abendfüllenden Fernsehfilmen verschrieben. Wie sein „Tatort“ VERBRANNT, der den wahren Fall eines Asylbewerbers behandelt, der in einer Gefängniszelle in Sachsen-Anhalt ums Leben kam. Und – zu Thomas’ eigenen Erstaunen – auf der Leinwand landete. „Grundsätzlich mache ich keine großen Unterschiede zwischen Kino- und Fernsehfilmen. Von der Größe des Bildes leite ich eine gewisse Art des Geschichtenerzählens ab, ja, aber ich habe absolut keine Berührungsängste mit dem Fernsehen.“ Auch das, erzählt er, habe ihn die Filmakademie gelehrt. „Es ist möglich, richtig gute, anspruchsvolle Fernsehfilme zu machen. Ich halte diese Fahne gerne hoch!“ Ohnehin, sagt er noch, könne es sich in Deutschland eigentlich kein Filmemacher leisten, ausschließlich Kinofilme zu machen. „Ich arbeite einfach viel zu gerne, als dass ich nur alle drei, vier Jahre einen Film machen möchte.“


Text: Ana-Marija Bilandzija
Foto: Filmkrant.nl


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