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Riesenreich zum Schnäppchenpreis (dpa-Korr)

Der Berg Denali, bis 2015 Mount McKinley, in Alaska. dpa

Im Oktober 1867 versammelten sich Repräsentanten des russischen Kaiserreiches und der Vereinigten Staaten an der Küste Alaskas. Sie hatten Masten aufgestellt, an einem wehte die mit dem Doppeladler bestickte Flagge des Kaiserreiches, an dem anderen sollte die amerikanische gehisst werden – als Symbol für die Übergabe der Souveränität über Alaska. Doch die russische Flagge verhedderte sich auf 20 Metern Höhe und kam nicht herunter. Ein hinaufgehievter Matrose schnitt sie frei. Erst fiel sie auf die Bajonette der Ehrengarde, sodann fiel Prinzessin Maria Maksutowa, Frau des letzten russischen Gouverneurs, angeblich in Ohnmacht.

Etwas holprig übergab Russland vor 150 Jahren, am 30. März 1867, was Zar Alexander II. an die Amerikaner verkauft hatte: Alaska, größte Exklave der Welt. Die 7,2 Millionen amerikanische Dollar waren ein Freundschaftspreis, die Staaten waren verbündet. Russland wollte verhindern, dass Großbritannien, sein damals größter Rivale, die verwundbare Kolonie in einem militärischen Konflikt an sich reißt. Das Reich war nach dem verlorenen Krimkrieg 1853-56 geschwächt, der Zar besann sich auf innere Reformen wie die Aufhebung der Leibeigenschaft für die Bauern. So groß der Reichtum Alaskas an Seeotter-Fellen und anderen Schätzen war, fraß doch der weite Transportweg die Gewinne auf.

Seit dem Verkauf ist viel Wasser den Yukon hinunter geflossen. Dennoch finden sich in Alaska noch Spuren von Russisch-Amerika - etwa in Dörfern auf der Kenai-Halbinsel. In dem Gebiet sprechen heute schätzungsweise 500 Menschen fließend Russisch. Auf den Grabkreuzen neben der orthodoxen Kapelle mit dem grünen Dach in dem Dorf Ninilchik stehen russische Namen.

„Das wichtigste und sichtbarste Zeugnis der russischen Ära sind die vielen russisch-orthodoxen Gemeinden und Kirchen", sagt Stephen Haycox, Geschichtsprofessor an der University of Alaska Anchorage. Dutzende Gemeinden sind im Land verstreut - mancherorts ist das einzige Gotteshaus weit und breit ein orthodoxes. In der Stadt Sitka steht die erste russisch-orthodoxe Kathedrale in Nordamerika. Allerdings sei der Einfluss Russlands in Alaska nie sonderlich groß gewesen, sagt Professor Haycox. Kaum mehr als 800 Russen lebten je in Russisch-Amerika. Diejenigen, die blieben, heirateten Eingeborene.

Der Verlust des Landes bereitet dem modernen Russland heute kaum Phantomschmerzen – anders als der Abfall der ehemaligen Sowjetrepubliken 1991. In der Ukraine, im Kaukasus und in Zentralasien will Moskau seinen Einfluss um jeden Preis halten. Viel Geld hätte Russland in Alaska verdienen können, sagt Michael Oleksa, Experte in alaskischer Geschichte und ehemaliger Dekan des orthodoxen Seminars St. Herman's auf Kodiak. „Es gab eigentlich keinen wirtschaftlichen Anlass, das Land zu verkaufen." Doch die eisbedeckten Lande waren schwer zu verwalten, mit dem Schiff dauerte die Reise von Sankt Petersburg über ein halbes Jahr. Russland habe kein großes Interesse gehabt, Alaska zu bevölkern, erklärt Oleksa, und Bürgern per Gesetz verboten, permanent überzusiedeln.

Lange russische Kolonialgeschichte auf dem amerikanischen Kontinent

So klingt nur manchmal etwas Wehmut nach Russisch-Amerika an. Die Rockband Ljube, gern gehört von russischen Soldaten, singt: „Stell Dich nicht an, Amerika! Gib unser Land Alaska zurück!" Und der Armee-Fernsehsender Swesda stellte 2016 das Gedankenspiel an, wie sich russische Atomraketen in Alaska ausnehmen würden. Ergebnis: Den russischen Teil der Arktis könne man vom eigenen Gebiet aus sichern.

Die Offiziere im entlegenen Fernen Osten Russlands seien heilfroh, dass sie nicht jenseits der Beringstraße dienen müssten, berichtete Swesda. Deshalb laute ihr traditioneller Trinkspruch: „Auf Sascha!", auf den Zaren, der Alaska verkauft habe. Gleichwohl sind die Russen stolz auf etwa 130 Jahre Kolonialgeschichte auf dem amerikanischen Kontinent. Russisch-Amerika reichte sogar bis in das heutige Kalifornien. Fort Ross, gelegen 80 Kilometer nördlich von San Francisco, war von 1812-41 der südlichste russische Stützpunkt.

Für die Vereinigten Staaten ist Alaska, das sie vor 150 Jahren als Schnäppchen erworben haben, von unschätzbarem Wert. Es gilt als letzte Wildnis und letzte Grenze. Dabei hatten es manche nach dem Kauf als „Gefriertruhe" oder „Eisbärengehege" verspottet. 1959 wurde Alaska der 49. Bundesstaat der Vereinigten Staaten. Alaska ist reich an Gold, und auch „schwarzes Gold" gibt es reichlich. Das größte in der amerikanischen Geschichte entdeckte Ölvorkommen liegt unter der Prudhoe Bay im Norden des Landes.

Die Wildlachs-Fischerei im 49. amerikanischen Bundesstaat ist sogar die größte der Welt. Der „Alaska National Interest Lands Conservation Act" von 1980 gilt als eins der drei wichtigsten Umweltgesetze der Nation. Apropos Umwelt: Sollte das Eismeer des Nordpols wegen des wärmer werdenden Klimas weiter schmelzen, läge Alaska auf der Hauptschifffahrtsroute für Nordeuropa und Asien. Michael Oleksa ist sich sicher: „Der Wert Alaskas wird mit der Zeit nur noch größer."


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