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Interview

Dieser schwule Pole kämpft gegen "LGBT-freie Zonen" in seiner Heimat – und hat NOIZZ leider nur Erschreckendes erzählt


NOIZZ hat mit Bart Staszewsk gesprochen, einem schwulen, polnischen Aktivisten, der sich gegen die Homophobie und die "LGBT-freie Zonen" in dem Land engagiert. Seine Erzählungen von der Lage vor Ort sind genauso erschütternd wie seine Zukunftsprognosen. Uns hat der 29-Jährige erzählt, wieso er trotzdem immer weiter kämpft und welche Unterstützung die LGBTQ-Community in Polen jetzt braucht.

"Sie versuchen euch zu überzeugen, dass sie Menschen sind. Aber das ist einfach Ideologie" – "Sie" sind Lesben, Schwule, Bisexuelle, inter* und trans* Personen. Der Satz stammt nicht aus einem Film oder einer historischen Doku. Nicht von einem unbedeutenden Vollidioten in einer verrauchten Kneipe im vergessenen Niemandsland. Diese Worte kamen bei einer öffentlichen Kampagnenrede in Brzeg am 13. Juni 2020 aus dem Mund von Andrzej Duda, dem Staatsoberhaupt von Polen. LGBT sei eine Form des "Neo-Bolschewismus", die "in Schulen geschmuggelt" werde, um "Kinder zu sexualisieren", sagte er da auch. Knapp einen Monat später wurde Duda als polnischer Präsident wiedergewählt.

Dass Andrzej Duda nach menschenfeindlicher Rhetorik wie dieser – übrigens lange kein Einzelfall – als Staatsoberhaupt Polens im Amt bestätigt wurde, war ein erschreckendes Zeugnis für das LGBT-feindliche Klima, das in Polen herrscht. Dass es so weit kommen könnte, zeichnete sich aber bereits lange vor der Wiederwahl Dudas ab – an den selbsterklärten "LGBT-freien Zonen" des Landes.

Knapp ein Drittel Polens "LGBT-freie Zone"

Als der liberalen Bürgermeister Warschaus, Rafał Trzaskowski, Anfang 2019 ankündigte, LGBTQ-Rechte unterstützen zu wollen, reagierte die rechtskonservative Wochenzeitung "Gazeta Polska" mit einer Gegenkampagne. Städte, Bezirke und sogar ganze Landkreise in ganz Polen begannen daraufhin, sich zu sogenannten "LGBT-freien Zonen" zu erklären. Wenig überraschend geschah das vor allem im (Süd-)Osten Polens, in den Wahlhochburgen von Dudas nationalkonservativer Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS).

Anfang 2020 gab es von diesen "LGBT-freien Zonen" beziehungsweise "LGBT-Ideologie-freien Zonen" 80 in ganz Polen, inzwischen liegt die Zahl bei knapp 100. Damit hat sich mittlerweile knapp ein Drittel Polens zur Zone erklärt, in der Mitglieder der LGBT-Community nicht nur nicht gewünscht sind, sondern nicht einmal als Menschen akzeptiert werden. Wo sich diese "LGBT-freien Zonen" befinden, haben Aktivist*innen in dem "Atlas des Hasses" grafisch dargestellt.

Der polnische LGBT-Aktivist Bart Staszewski im NOIZZ-Interview

Einer, der die Entwicklungen hautnah miterlebt hat, ist Bart Staszewski. Bart ist Pole und schwul. Ende 2019 entschied er sich dazu, den Geschehnissen nicht länger nur zuschauen zu wollen und startete sein "LGBT-Free Zones Project". Mit einem selbstgemachten Schild reist er seitdem durch Polen zu den LGBT-feindlichsten Städten des Landes. Auf seinem Schild steht provokativ auf Polnisch, Englisch, Französisch und Russisch: "LGBT-freie Zone". Das Schild hängt er in den queerfeindlichen, polnischen Orten unter die Ortsschilder und macht davon ein Foto.

"Meine Idee war: Wenn diese Städte sich als LGBT-frei erklären und Menschen, diese Städte auch als solches verstehen, dann mache ich ein Schild, das genau das sichtbar macht, das diese Homophobie sichtbar macht", erzählt Bart im NOIZZ-Interview. "Bisher habe ich um die 18 Bilder, 18 weitere will ich noch aufnehmen."

Mit seinem aktivistischem Projekt will Bart zeigen, dass es in Polen ein echtes Problem gibt, dass Mitglieder der LGBT-Community dort Tag für Tag kämpfen müssen. Genau diese Mitglieder will er auch für sein Projekt mobilisieren, damit sie der Welt erzählen können, wie es ihnen in den LGBT-freien Zonen ergeht. Damit die Welt sieht, dass hinter den Schlagzeilen echte Menschen stehen, die leiden – meist junge Menschen, die nicht einmal auf die Unterstützung ihrer engsten Familie zählen können.

Am Anfang geht Barts Vorhaben auch auf, über Social Media findet er Menschen, die in "LGBT-freien Zonen" leben und sich mit seinem Schild vor ihrem Ortsschild fotografieren lassen. Für Bart sind diese Menschen "die wahren Helden dieses Projektes". "Mit ihrer Teilnahme am Projekt riskieren sie viel, denn sie leben in diesen kleinen Städten. Ich lebe hauptsächlich in Warschau, für mich ist das Risiko gering, ich bin der Privilegierte", sagt der Aktivist.

"Wegen der Konsequenzen, die ihnen drohen, haben Leute Angst mitzumachen und Angst vor ihrem Coming-out"

Im Januar 2020 geht das "LGBT-Free Zones Project" viral. Seitdem wird es für Bart immer schwieriger Teilnehmer*innen zu finden. "Soweit ich weiß, hatten einige Leute, die an dem Projekt teilgenommen haben, einige Probleme danach. Das ist wirklich ein großes Zeugnis dafür, was gerade los ist in Polen: Wegen der Konsequenzen, die ihnen drohen, haben Leute Angst mitzumachen und Angst vor ihrem Coming-out", sagt Bart. "Selbst wenn Menschen mich anschreiben, haben sie Angst. Meist sagen sie mir nach mehreren Tagen ab, weil sie sich davor fürchten, wie ihre Familie auf die Fotos reagieren könnte. Die Menschen haben wirklich große Angst."

Bart sagt, für die polnische Regierung ist er ein ziemlicher "pain in the ass". Was er tut, ist deshalb nicht immer ungefährlich. "Ich wurde vor einigen Wochen wegen meiner Bilder von der Polizei verhört. Die Beamt*innen behaupteten, die Bilder seien gesetzeswidrig. Ich hätte die Erlaubnis von der Stadt einholen müssen, um die Schilder anzubringen. Es wird deshalb bald einen Gerichtsprozess geben."

Angst vor rechtlichen Konsequenzen habe er trotzdem nicht, der Aktivismus geht vor. "Ich bin aber natürlich nicht der einzige Aktivist, es gibt viele Protestaktionen", erzählt Bart. "Manche sprechen sogar vom polnischen Stonewall. Ich glaube, wir befinden uns aktuell an einem Punkt, der über die Zukunft von Polen entscheiden wird."

Es geht um Einschüchterung und Abschreckung

Bart erklärt im NOIZZ-Interview, dass es bei den "LGBT-freien Zonen" vor allem um Einschüchterung geht. Der LGBT-Community soll Angst gemacht werden. Schwul sein ist nicht verboten, "aber es wird klargemacht, dass es nicht erwünscht ist und diejenigen, die trotzdem laut für ihre Rechte kämpfen, werden Konsequenzen spüren", erzählt der Aktivist. Wie genau diese Einschüchterung funktioniert, zeigt Bart uns an einem persönlichen Erlebnis. Er erzählt von einem Reportagen-Dreh mit der britischen BBC im polnischen Świdnik:

"Bei dem Dreh kam die Polizei und wollte unsere Ausweise sehen. Nach nur wenigen Stunden erschien auf einmal ein Artikel in lokalen Medien, in dem von ausländischen Medien die Rede war, die eine Fake-News Story über die 'LGBT-freie Zonen' drehen würden. Die Polizei war also in Kontakt mit Politiker*innen und die haben wiederum mit den lokalen Medien gesprochen. 

Diese Verknüpfungen sorgen für diesen abschreckenden Effekt. Es ist nicht so, dass die Polizei in den Städten aktiv nach Mitgliedern der LGBT-Community sucht. Es geht um diese Einschüchterung, diese Angst, die geschürt wird, für diejenigen die sich outen wollen oder etwas organisieren wollen."

"Die Situation wird immer schlimmer und schlimmer"

Bart ist besorgt: "Die Situation wird immer schlimmer und schlimmer – gerade in diesen 'LGBT-freien Zonen." Immer mehr junge, queere Menschen leiden unter Depression und Selbstmordgedanken. Diese Menschen sind es auch, die Bart dazu anspornen, weiterzumachen: "Ich denke immer an diese Kids und junge Menschen, denen es am schlechtesten geht; die in homophoben Städten mit homophoben Eltern leben und davon träumen ihre Stadt zu verlassen und in die Großstadt zu ziehen. Ich muss meine Privilegien nutzen, die ich als schwuler weißer Mann in einer Großstadt habe. Ich war schon immer ein Kämpfer, das nutze ich jetzt für den guten Zweck."

Bart hofft vor allem auf Hilfe aus der Europäischen Union: "Wir können uns auf unsere Regierung nicht verlassen. Sie nutzen uns als Werkzeug in ihren Kampagnen. Es ist jetzt an der Zeit, dass die Europäische Union zeigt, dass sie nicht nur eine Union der leeren Worte ist, sondern eine Werte-Union. Dass Polen als Mitglied einer solchen Union, so nicht handeln kann und alle Menschen respektieren muss. Wir brauchen politischen Druck gegen die polnische Regierung."

So kannst du der polnischen LGBT-Community und Bart helfen

Wenn du die LGBT-Community in Polen unterstützen willst, sagt Bart, sollst du Solidarität zeigen, die Bilder teilen und nicht aufhören, über die Missstände zu sprechen. Du kannst außerdem Solidaritätsevents organisieren und an Aktivist*innen sowie LGBT-Organisationen vor Ort spenden. "Zeigt uns, dass wir nicht alleine sind und macht Druck auf die polnische Regierung, damit sie wissen, dass die Welt sehr wohl hinschaut und genau beobachtet, was in Polen passiert", sagt Bart.