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Hilflos im Hafen

Es ist der 27. August. In dieser Nacht kehrt Ruhe auf der Sea-Watch 4 ein - noch ist die Lage stabil. Seit sechs Tagen ist das Seenotrettungsschiff im Stand-off auf hoher See. So nennen es die Seenotretter*innen, wenn sie warten müssen, bis sie die Geretteten in einen Hafen bringen dürfen. Die meisten der etwa 200 Menschen auf dem Schiff schlafen bereits. Nur ein paar sitzen noch zusammen und unterhalten sich.


Eine Gruppe junger Männer hat noch nicht in den Schlaf gefunden. Gemeinsam starren sie in den Nachthimmel und tauschen Zukunftspläne aus. Sie wissen noch nicht, dass es für sie in Europa nicht leicht wird - zum Beispiel, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen. Oder sich frei in der EU zu bewegen, um eine Unterkunft oder einen Job zu suchen. Sie überbrücken die Warterei mit Träumereien. Einer der Männer hat in seiner Heimat in einem Film mitgespielt. In Europa will er Regisseur werden. Ein anderer war Ziegenhirte und möchte in den Niederlanden auf einem Hof arbeiten. Die Crew des Schiffes bringt es nicht übers Herz, den Menschen, die ohnehin ein schweres Schicksal haben, zu sagen, dass es für sie nicht leichter werden wird, sobald sie das Schiff verlassen.


Für die Rettungscrews sind die Tage des Wartens zum gewohnten Bestandteil ihrer Einsätze geworden. Die Sea-Watch 4 ist nicht das einzige Schiff auf dem Mittelmeer. Der dänische Frachter Maersk Etienne hat am 4. August 27 Flüchtende in Seenot aufgenommen, darunter eine Schwangere und ein Kind. Am 6. September, nach über einem Monat des Wartens, sind drei der Geflüchteten aus Verzweiflung über Bord gesprungen. Sie mussten von der Crew erneut gerettet werden. In den vergangenen Monaten haben die meisten Seenotrettungsschiffe mindestens eine Woche auf See warten müssen, bis sie einen Hafen anlaufen durften. Viele auch länger.


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