Aus Studium und Beruf kenne ich mittlerweile sehr viele Priester und Diakone. Immer wieder treffe ich mich mit ihnen auf einen Kaffee im Pfarrhaus oder telefoniere, um zu hören, wie es gerade geht. Es sind teilweise langjährige Freundschaften, und ich schätze den Austausch mit den geistlichen Herren. Was mir dabei in letzter Zeit jedoch verstärkt auffällt, ist das immer gleiche Lamento von wenig Freizeit, wenig Kraft, viel Verwaltung und dem Gefühl, in vielen Dingen allein gelassen zu werden. Es ist im ersten Moment immer etwas merkwürdig, wenn sich die Rollen verschieben und der Seelsorger sein Herz ausschüttet.
Und meistens bin ich mir auch nicht sicher, ob sie mit diesen Sorgen bei mir an der richtigen Stelle sind oder nicht eher einen geistlichen Begleiter oder eine priesterliche Weggemeinschaft brauchen. Wenn ich das anspreche, kommt meistens: Zu wem sollen wir denn gehen? Es tut ihnen offensichtlich gut, mit jemandem, der kein Gemeindekind ist, offen über ihre Sorgen sprechen zu können - also höre ich verständnisvoll zu, ermutige und betone immer wieder, wie wichtig ihr Dienst ist. Und erinnere sie daran, wie euphorisch sie einst gestartet sind, wie schön ihre Weihen und Einführungsgottesdienste waren. Trotzdem - die Nöte sind zahlreich: In einer Zeit des Priestermangels werden dem Priester nicht selten Supermann-Qualitäten abverlangt.
Das fällt mir gerade im Vergleich auf, wenn ich mit älteren Generationen spreche, die jetzt im Priester-Ruhestand sind. Bei diesen höre und spüre ich oft eine größere Zufriedenheit mit Blick auf das vergangene Berufsleben. Sie hatten vielleicht drei Kirchlein und ein paar Kapellen zu betreuen, die alle fast fußläufig verbunden waren. Heute sind teilweise riesige Seelsorgeeinheiten zu bewältigen, Gottesdienste an Aushilfspriester zu verteilen, die Arbeit des Pastoralteams zu koordinieren, die eigenen Gottesdienste vorzubereiten, Korrespondenz zu erledigen, sich Zeit für die Mitarbeiter zu nehmen, Sakramente zu organisieren und zu spenden - und mit Sicherheit noch viel mehr, von dem ich gar nicht weiß. Dass der Pfarrer immer erreichbar ist, versteht sich sowieso. Für innovative Gedanken, die oft verlangt werden und einst auch mal die hehre Zielsetzung waren, bleibt wenig Zeit. Und leider wohl auch für das persönliche Gebet. Die meisten spricht man besser nicht auf ihr Versprechen an, die Stundenliturgie der Kirche zu beten.
Dabei war und ist wohl gerade auch das mit ein Erfolgsrezept der alten Priester. Einen Angehörigen dieser Generation habe ich neulich besucht und war erstaunt, dass der über 80-Jährige ein Tablet auf dem Küchentisch liegen hatte. "Meine Sehkraft hat nachgelassen, deshalb", folgte die Erklärung. Ob er damit vergrößert Zeitung lese, fragte ich. "Aber nein, das habe ich nur für das Stundengebet! Ohne kann ich nicht leben", war die Antwort. Das hat mich beeindruckt. Der beständige Kontakt nach oben gibt ihm Kraft, die aus der Ruhe des Gebets entspringt. Wenn heute im Gemeindealltag schon dafür kaum Zeit zu bleiben scheint, sollte man die Priester wenigstens zu ein bisschen Freizeit zwingen, denke ich mir - und sie auch mal zum Essen einladen oder mit ihnen einen Kaffee trinken gehen, bei dem sie reden können und nicht zuhören müssen. Eine Superlösung ist das trotzdem nicht.