Es ist lange nicht mehr passiert, dass ich in ein Museum flüchten musste. Jetzt war es wieder so weit. Die Missbrauchsfälle aus den USA und alles, was damit zusammenhängt, führten zu dem, was ich als Katholikin am meisten hasse: dieses ständige Sichrechtfertigenmüssen im privaten wie beruflichen Umfeld. Da steht man dann als junge Frau und muss sich für alte Männer erklären, die schwere Verbrechen begangen, sich versteckt und gegenseitig gedeckt haben. Das ist unerträglich.
Die Gemäldegalerie hilft mir, Deckung im Sturm der Nachrichten zu finden. Ruhe in der Schönheit des Ideals - inmitten der herrlichen alten Bilder aus der Renaissance, dem Barock und dem Mittelalter. Als das Christentum und die Kirche noch die Kunst beherrschten und sie nicht von Skandalen beherrscht wurden. Es sind Glaubenszeugnisse in prächtigsten Farben, die mit feinsten Pinselstrichen dem Betrachter die Herrlichkeit des Glaubens und der Kirche vergegenwärtigen. Strahlende Darstellungen von Petrus, wie Christus ihm die Himmelsschlüssel überreicht. Glorifizierende Bilder von Franziskus, Anna, Maria, Katharina von Alexandrien, Maria Magdalena. Eine himmlische Welt.
Ich ergötze mich daran, will so viel Schönes wie möglich sehen in dieser Misere. Will mich daran erinnern lassen, warum ich eigentlich zu dieser Kirche gehöre: weil sich Jesus und die Sakramente seit Jahrtausenden allen Missständen zum Trotz in dieser Kirche finden lassen und sie das Glaubensbekenntnis unbeschädigt durch die Zeiten transportiert. Ich brauche diese Zusage gegen die Schrecklichkeit der Enthüllungen von immer neuen Männerbünden. Auch die Gänge voller Kreuze trösten mich, Christus leidet - doch immer schon wartet sie: die Auferstehung! In meiner Wut und Hilflosigkeit sehne ich mich danach, darauf vertrauen zu können, dass dieser Albtraum endlich endet. Dass wirklich unabhängige Gremien eingesetzt werden, dass öffentlichkeitswirksam durchgegriffen wird, dass alles ans Licht kommt und auch kommen darf. Dass der Papst handelt, statt sich auf fliegenden Pressekonferenzen zu verhaspeln oder zu erschreckendsten Anschuldigungen gar nichts zu sagen.
Dann könnte ich meine Kirche guten Gewissens wieder verteidigen und sagen: Sie hat keine Angst, sich der Wahrheit zu stellen, und handelt entschlossen. Wenn ich aber höre, was die mutige Irin Marie Collins berichtet, die einst aus Frust die päpstliche Kinderschutzkommission verlassen hat, schwindet meine Hoffnung. Vor ein paar Tagen twitterte sie, dass der Papst von einem Missbrauchsopfer gefragt wurde, was Jesus sagen würde, wenn er sähe, was derzeit mit der Kirche geschieht. Franziskus hätte geantwortet: "Er würde an die Tür klopfen - nicht, um hineinzukommen, sondern heraus."
Ich sehe das anders, ich glaube ja, er würde wüten wie damals im Tempel, als er die Tische der Händler umwarf. Ein kompromissloses Aufräumen ohne Rücksicht auf Privilegien - das ist es, was mir das Vertrauen geben würde, dass sich wirklich etwas ändert. Momentan scheint der Taumel aus Gerüchten, kirchenpolitischen Störmanövern und unerbittlichem Schweigen einfach nicht aufzuhören. Ich bin nicht katholisch wegen irgendwelcher Bischöfe oder Priester, sondern weil ich glaube, dass es diese Kirche ist, die Jesus gegründet hat, und er sich in ihr finden lässt. Im Moment hilft mir die Kunst, damit ich das nicht vergesse.