Immer wieder höre ich im kirchlichen Kontext ein nerviges Mantra: "Man muss die Menschen da abholen, wo sie sind." Warum mich das nervt? Weil ich glaube, dass der Sprecher oft gar nicht weiß, was er damit eigentlich meint. Wo sind die Menschen denn? Wer sind "die Menschen"? Und wohin sollen sie gebracht werden? Ich frage mich, ob das nicht oft nur eine vermeintlich gut klingende pastorale Floskel ist, eine Ausrede dafür, die Barrieren so gering wie möglich halten zu können, à la: erst mal bloß nicht anecken. Bequem ist das allemal, doch dass trotz Hunderter verteilter Flyer oder kurzweilig erfolgreicher Aktionen nur wenige auf Dauer anbeißen, überrascht mich nicht. Denn wenn Kirche beim Abholen stehen bleibt und nicht deutlich macht, wen sie eigentlich wohin bringen will (im Ideal: in eine Beziehung mit Jesus Christus), verliert sie ihren eigentlich anziehenden Charakter. Sie wird zu einer Art NGO, die sich von anderen weltlichen Hilfsorganisationen äußerlich allenfalls durch (schlecht besuchte) Gottesdienste und Andachten unterscheidet. Denn vieles von dem, was oft angeboten wird, um die Menschen vermeintlich abzuholen, findet man längst auch woanders: Gemeinschaft - die Vereinslandschaft ist breit genug. Musik und Kultur - auch das ist religionsfrei zu finden.
Als zusätzliche Hürde sind in den Köpfen derer, die abgeholt werden sollen, außerdem Vorurteile präsent, die eine wirkliche Annäherung verhindern. Wer sich eine Straßenumfrage mit "Woran denken Sie bei ›katholische Kirche‹?" vorstellt, weiß sicher schnell, was ich meine - klar, Kreuzzüge, Hexenverfolgung und so weiter. Viele Menschen glauben zu wissen, was die Kirche lehrt, und vor allem, welche Fehler sie in der Vergangenheit gemacht hat. Wirklich reflektiert ist das nicht. Gegen dieses Grundgefühl mit Argumenten anzugehen, die Vorurteile aus dem Weg zu räumen, den Mut zum Zeugnis und keine Angst davor zu haben, dass das Evangelium aneckt (das hat es immer schon getan), und dann endlich davon zu sprechen, warum dieser Glaube und eine Beziehung mit diesem Gott eigentlich glücklich macht und wie man das leben, lernen und regelmäßig erfahren kann - das vermisse ich bei der Abholungsidee.
Ich musste daran kürzlich denken, als ich einen jungen Landschaftsgärtner traf, der von der Kirche bisher nicht erreicht werden konnte. Was seine Heimatgemeinde so machte, interessierte ihn nicht wirklich. Er erzählte mir dagegen, wie er durch eine eher konservative Jugendinitiative zurück zum Glauben fand. Er hatte eine ihrer Lobpreisveranstaltungen besucht und war zu seiner Überraschung von der Atmosphäre und den klaren Worten, mit denen ihm sein Glaube von Gleichaltrigen erklärt wurde, getroffen. Er wollte mehr wissen, er kam wieder. Heute organisiert er in seinem Heimatdorf ähnliche Gebetsabende mit Anbetung. So um die 60 Jugendliche kommen im Sommer regelmäßig, sagt er. Für eine kleine Kirche auf dem Land ein beachtlicher Erfolg. Abholen muss er sie nicht. Wenn das Angebot zum Magneten wird, erübrigt sich das irgendwann. Mir zeigt das: Wenn man sich überlegt, wen man wo abholen und dauerhaft halten will, geht das nicht ohne ein reflektiertes, selbstbewusstes Wohin.