2 subscriptions and 1 subscriber
Article

Präsidentenstichwahl in Kolumbien - Der Flirt mit Fajardos Wählern

Am Sonntag wählt Kolumbien einen neuen Präsidenten. Das bestimmende Wahlkampfthema ist der Friedensvertrag mit den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC). In der Stichwahl treten zwei Kandidaten gegeneinander an, die für einen komplett konträren Kurs stehen: Ivan Duque und Gustavo Petro.
Duque von der rechten Partei Centro Democrático erhielt im ersten Wahldurchgang 39,1 Prozent der Stimmen, Petro von der linken Plattform Colombia Humana bekam 25,1 Prozent. Der Mitte-links-Kandidat Sergio Fajardo von der Bewegung Compromiso Ciudadano, zog mit 23,7 Prozent nicht in die Stichwahl ein. Seine Wählerschaft wird den Ausgang der Wahl entscheiden.

Eine Unterstützerin Fajardos ist die 70-jährige Sozialarbeiterin und Lehrerin Nora Ossa Hoyos. Für sie ist ausschlaggebend, dass der ehemalige Professor für Mathematik für die Suche nach Konsens bekannt ist. „Er weiß: Kolumbien ist voller Wunden, Frieden kann man nicht in Rage bauen, wir brauchen eine Kultur der Koexistenz und Legalität“, sagt sie. Fajardo hat sich einen Namen als Bürgermeister der Stadt Medellin gemacht, wo der Lebensstandard vieler Bürger durch soziale Investitionen deutlich gesteigert wurde - etwa durch die Einrichtung öffentlicher Bibliotheken in armen Randbezirken oder Seilbahn-Anbindungen für jene, die weit weg vom Stadtzentrum leben.
Dennoch ist es die Partei Centro Democratico des ehemaligen Präsidenten Alvaro Uribe, die hier die meisten Wählerstimmen bekam. Der Slogan der Partei, „Mano firme, corazon grande“ - starke Hand, großes Herz - steht unter anderem für einen harten Kurs gegenüber der Guerilla und die Zwangsvernichtung von Kokafeldern. Sprüche wie „Kolumbien darf nicht Venezuela werden“ und „Das Land nicht den FARC schenken“ sind in Medellin und dem umliegenden Bundesstaat Antioquia oft zu hören. Im Wahlkampf versprach Duque Änderungen des Abkommens mit den FARC - Kritiker befürchten, dies könne das Ende des jungen Vertrags bedeuten, der bereits auf wackligen Beinen steht. Viele von Duques Wählern sehen darin jedoch einen wichtigen Schritt: Sie meinen, Verbrechen müssten bestraft werden, Straffreiheit sei den Opfern gegenüber nicht fair.

Nora Ossa Hoyos lebt in der Gemeinde Granada, etwa drei Stunden von Medellin entfernt. Selbst für Antioquia ist die Unterstützung der Partei Centro Democratico in Granada ausgesprochen groß. Duque erhielt hier 77,6 Prozent der Stimmen, Fajardo 11,3 Prozent und Petro 3,6 Prozent. Ossa Hoyos sitzt auf einer Bank auf einem kleinen Platz im Herzen des Dorfes. Eine Häuserreihe ist komplett neu aufgebaut: eine tägliche Erinnerung an das Attentat, das die FARC hier im Dezember des Jahres 2000 verübten. Eine Autobombe wurde gezündet, 18 Stunden Gefecht zwischen dem Militär und der Guerilla folgten. 20 Menschen kamen dabei ums Leben, mehr als 200 Häuser wurden zerstört. Nur ein Monat zuvor hatte eine paramilitärische Gruppe 19 Personen auf der Straße ermordet, denen sie vorwarf, mit der Guerilla zusammenzuarbeiten. Bis ins Jahr 2005 folgten weitere bewaffnete Auseinandersetzungen. Seither hat sich die Lage beruhigt, jedoch gilt die Gemeinde bis heute als eine Hochburg rechter Paramilitärs.

Ossa Hoyos sagt, sie sei fassungslos, wie die Menschen hier trotz vieler Jahre Krieg in großer Mehrheit für das Centro Democratico stimmen können. Für sie steht dieses für eine Fortsetzung der Gewalt. Fajardo, mit seinem versöhnlichen Kurs, schien ihr der richtige Präsident in diesem heiklen Moment in Kolumbiens Friedensprozess. Sie hat noch nicht entschieden, ob sie im zweiten Durchgang Petro oder weiß wählen wird. Sie fühlt sich von keinem der Kandidaten repräsentiert, doch Duque will sie keinesfalls - vor allem vor dem Mann, der hinter ihm steht, Alvaro Uribe, habe sie Angst. Petro habe sich zunehmend moderater gezeigt in den letzten Wochen und die Unterstützung der politischen Mitte gewinnen können. „Aber das Gespenst Venezuelas hängt über allem - auch wenn es lächerlich ist“, sagt Ossa Hoyos.

Im Allgemeinen ist der Friedensprozess ausschlaggebend für die Wählerschaft Fajardos, sagt Laura Baron-Mendoza (28), eine Völkerrechts-Anwältin, die im Bereich der Implementierung des Friedensvertrags arbeitet. Auch sie wählte Fajardo im ersten Durchgang. „Petro- und Duque-Wähler flirten jetzt mit den Zentralisten. Aber wenn das Zentrum zu seinen Idealen stehen will, ist die Entscheidung entweder weiß oder Petro“, sagt Baron-Mendoza. Duque sei nicht wählbar, weil er und seine Partei die Intensität des bewaffneten Konflikts wieder neu aufflammen lassen könnten. Petro hingegen, früher selbst Mitglied der Guerillagruppe M-19, geht vielen Fajardo-Wählern zu weit. „Seine Vorschläge sind aber eigentlich gar nicht, was wir als extrem links bezeichnen. Ein Risiko mit Petro sind jedoch Defizite in seiner Fähigkeit zu regieren - als Bürgermeister von Bogota war das sein Makel“, sagt sie. Sie hat sich trotzdem entschieden, ihm in der Stichwahl ihre Stimme zu geben, um mit dem Status quo zu brechen, der erst zu der Gewalt im Land geführt hat.
Fajardo werfen viele vor, er beziehe keine klare Position, doch das sei genau das, was das Land brauche, meinen seine Unterstützer. „Das wichtigste, was ein Präsident jetzt können muss, ist sich hinzusetzen und mit allen sozialen Klassen zu reden“, sagt Baron-Mendoza. Auch in der Stichwahl stellt sich Fajardo auf keine der beiden Seiten - er gab bekannt, dass er weiß wählen werde. Darüber zeigt sich Baron-Mendoza enttäuscht - bei diesem „match point“ hätte sie sich dann doch mehr Engagement gewünscht.

Auch die Auslandskolumbianer in Österreich haben mehrheitlich für Fajardo gestimmt, 50,9 Prozent bekam er hierzulande. Petro landete mit 24,6 Prozent auf Platz zwei und Duque mit 19,1 Prozent auf Platz drei. Manuel Velasquez, der für das Musikwissenschaftsstudium nach Wien gekommen ist und ebenfalls Fajardo gewählt hat, sagt: „Jetzt entscheide ich mich einfach mathematisch. Ich bin nicht für Petro, aber Duque wäre eine Katastrophe.“ Außerdem stehe Petro für einen politischen Richtungswechsel, der dringend nötig sei. Doch selbst sollte Petro gewinnen, wird es nicht leicht für ihn, umfassende Vorschläge durchzubringen, da er sich auf keine Mehrheit im Kongress stützen kann.

In Orten wie Granada sind die Folgen des Kriegs zwischen links und rechts, zwischen Staat, Guerilla und Paramilitär deutlich zu spüren. Kompromissbereitschaft ist bitter nötig - doch das ist eine Stärke, die bisher keinem der beiden Kandidaten in der Stichwahl nachgesagt wird. Umso richtungsweisender wird der Sonntag für Kolumbien. (APA, 12.6.2018)