Szenenwechsel ins Bahnhofsviertel, einige Monate zuvor in der Münchener Straße 55. Am frühen Morgen des 9. Oktober 2012 führt die Polizei im Auftrag des Wohnungsamtes eine Razzia durch - wegen des Verdachts auf Überbelegung. Und tatsächlich fanden die Beamten allein im Dachgeschoss 42 Menschen, die auf 180 Quadratmetern lebten. Manche schliefen auf dem Boden. Das Wohnungsamt berichtet von schlechten hygienischen Zuständen.
Am Tag darauf kann man die Situation bereits an den ramponierten Briefkästen im Hinterhaus ablesen, auf denen sich die Namen drängen - teilweise fast unlesbar, weil immer wieder neu überklebt. Im Dachgeschoss ist es dreckig, der Bodenbelag wellt sich, Kabel sind offen an der Wand entlang verlegt und die wenigen Möbel wirken improvisiert. Toilette und Dusche sind stark verschmutzt, Schrott und Abfall stapeln sich im Flur.
Sowohl in der Münchener Straße 55 als auch in der Leipziger Straße 68 ging es um Bulgaren; in beiden Fällen um Gebäude des Frankfurter Immobilienunternehmers Heinrich Gaumer. Der Name ist stadtbekannt, die Familie besitzt viele Häuser in Frankfurt, vornehmlich in den besten Lagen, wie in der Leipziger und Berger Straße. Seit Jahren wundern und ärgern sich Anwohner und Stadtplaner über sein merkwürdiges Geschäftsgebaren, über leerstehende Häuser und Bauruinen, wie zum Beispiel den ehemaligen Kaufhof in Bockenheim. Über die Beweggründe ist kaum etwas bekannt, weil die Kommunikation mit Gaumer schwierig ist und oft nur über seine Anwälte und Architekten läuft. Ruft man in seinem Büro an, heißt es, man solle seine Fragen nur per Fax oder E-Mail stellen. Und die werden nicht immer beantwortet.
In einer Stellungnahme, die dem Ortsbeirat 2 und den Fraktionen im Römer zugegangen ist, wirft die „Krisengruppe Frankfurt" den Unterzeichnern des offenen Briefs zur Leipziger Straße 68 rassistische Ressentiments vor.
Seit den Fällen im vergangenen Jahr ist bekanntgeworden, dass zu Gaumers Portfolio auch verwahrloste Gebäude gehören, in denen Bulgaren unter zweifelhaften Bedingungen leben. Die Münchener Straße 55 und die Leipziger Straße 68 sind keine Einzelfälle. Seit dem EU-Beitritt von Bulgarien und Rumänien werden Menschen aus diesen Ländern nicht nur als billige Arbeitskräfte, vornehmlich auf Baustellen, eingesetzt; immer wieder werden Wohnungen oder ganze Häuser zu Massenunterkünften für die Arbeiter umfunktioniert - auch in Frankfurt. Mehrere davon in verschiedenen Stadtteilen gehören Heinrich Gaumer.
In der Münchener Straße 55 wollen die bulgarischen Bewohner am Tag nach der Razzia nichts zu Gaumer sagen, weil sie Angst haben, Probleme zu bekommen. Kaum jemand spricht mehr als ein paar Brocken Deutsch. Ein junger Mann erzählt, dass er mit zwei, manchmal mit drei anderen in einem Zimmer schläft, das nicht größer als zehn Quadratmeter ist. Ein kleiner Klapptisch, der an der Wand steht, wird in die Zimmermitte vor das Sofa geschoben, auf dem später einer der Zimmergenossen schlafen wird. Gekocht wird auf einer tragbaren Herdplatte.
Ein anderer, älterer Mann, der die Fremdsprache besser beherrscht, erzählt: Die 42 Menschen, unter denen auch Kinder sind, gehören einer türkischsprachigen Minderheit in Bulgarien an. Nach Deutschland sind sie gekommen, weil es in der Heimat kaum Arbeit für sie gibt und sie diskriminiert werden. In Frankfurt sind sie in diese Wohnung geraten, in der sie sich ein Bad und drei Toiletten teilen. „Alles andere ist zu teuer", sagt er. Für das Zimmer zahlten die drei Bewohner zusammen über 500 Euro. Einmal im Monat komme ein Mann vorbei, der das Geld einsammle. Wie er heißt, können oder wollen sie nicht sagen.
Der junge Mann ist erst seit zwei Monaten in Deutschland. Er kommt mit Hilfsarbeiten auf dem Bau und Hausmeisterarbeiten über die Runden: „Jeden Tag woanders." Zwei Razzien habe er schon miterlebt. Bei der letzten wurde ihm und den meisten der anderen Bewohner des Dachgeschosses eine Frist von wenigen Tagen gesetzt, innerhalb derer sie sich etwas anderes suchen müssen. Laut Gesetz darf auf neun Quadratmetern nur eine Person wohnen - alle anderen müssen raus. Polizisten hätten ihm geraten, eine Beratungsstelle - wahrscheinlich vom Wohnungsamt - aufzusuchen. Versuchen wird er es, aber viel Hoffnung hat er nicht. Zum Schluss sagt er noch: „Wir tun doch niemandem etwas Böses, wir wollen nur arbeiten."
Eine Woche darauf haben die meisten Bewohner die Wohnung verlassen. Das Wohnungsdezernat bestätigt später, dass insgesamt 61 Personen, darunter Familien mit Kindern, der Räumungsverfügung gefolgt seien. Einige der Bewohner sind wieder in Bulgarien, heißt es im Dezernat. Zwei der im Dachgeschoss verbliebenen Bewohner bestätigen das und berichten von einer Miete um 600 Euro pro Zimmer. Angesprochen auf ihren Vermieter zeigen sie auf die Küchentür: „Aras" steht dort, darunter eine Handynummer.
Der Name Yener Aras ist bereits im Zusammenhang mit der Leipziger Straße 68 bekanntgeworden. Auf ihn verwies das Büro Gaumer per Fax, als die FR ihn auf die Situation der dort wohnenden Bulgaren ansprach. Aras bestätigte gegenüber der FR, dort Mieter von Gaumer zu sein und die Wohnungen im Hinterhaus unterzuvermieten, bestritt aber die Lager als Wohnraum nutzen zu lassen. Alle anderen Bewohner seien Obdachlose, von denen er kein Geld nehme. Seine Untermieter hätten ihm gesagt, es seien Besucher.
Protagonisten schieben sich die Schuld zuDie beiden Protagonisten schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu. Zur Münchener Straße 55 schreibt Gaumer im November per E-Mail an die FR, die Räume für sieben Euro pro Quadratmeter an einen „Investor" vermietet und von einer Überbelegung nichts gewusst zu haben. Den Namen will er nicht nennen, da gegen diesen wegen der Überbelegung ermittelt werde. Die Erklärung dafür ist ähnlich wie bei der Leipziger: „Ein Teil der an den Investor vermieteten Räume wurden von Fremden besetzt und diese haben unbefugt die Mieträume genutzt", so Gaumer.
Aras gibt zwar zu, in mehreren Gebäuden Zimmer an Bulgaren zu vermieten, sieht sich aber keineswegs als Investor, sondern als jemand, der lediglich Gaumers Aufträge ausführt. Die Überbelegung sei nicht seine Schuld, pro Zimmer vermiete er nur an jeweils eine Person, zum Preis von 300 Euro. Die überzähligen Bewohner seien Besucher. Ein Mitarbeiter kontrolliere zwar die Belegung der Zimmer, könne aber auch nicht ständig da sein. Angesprochen darauf, dass die Bewohner von einer fast doppelt so hohen Miete berichtet haben, bestreitet er dies: „Viele von den Bulgaren sind Lügner."
Einem Informanten zufolge, der nicht namentlich genannt werden will, betrage die vertraglich festgelegte Miete 250 bis 300 Euro pro Person, doch Aras verlange einen Aufschlag. Weil bar bezahlt werde, habe dieser größeren Spielraum und könne mehr verlangen, als er an Gaumer zahle. Der Informant berichtet auch, dass einige der Bulgaren, die in den Häusern von Gaumer wohnen, auch für ihn und eine für ihn tätige Firma arbeiteten, die als Bauherr und Bauunternehmen fungiert. Aras kassiere auch als Arbeitsvermittler Provision, indem er einen Anteil vom Verdienst der Bulgaren einbehält, 3,50 Euro von zehn Euro Stundenlohn.
Untervermieter kassiert auch als ArbeitsvermittlerAuch Aras sagt, dass die meisten der Leute auf Baustellen von Gaumer arbeiten, bestreitet aber, dass er an der Untervermietung oder an der Arbeitsvermittlung Geld verdiene. „Ich bekomme das Geld von den Bulgaren, schreibe eine Quittung und gebe genau das Geld an Herrn Gaumer weiter", sagt Aras. Er sei ein Angestellter, eine Art Hausmeister des Unternehmers. Dieser habe Kontakte nach Bulgarien, werbe dort Arbeiter an, und bringe sie dann in Frankfurt in den von Aras verwalteten Wohnungen unter. Gefragt danach, warum er die Wohnungen dann von Gaumer gemietet habe, drückt Aras sich recht unklar aus. „Mit diesen Leuten ist es problematisch", sagt Aras und erzählt, dass er zum Beispiel mit ihnen zur Meldestelle gehen müsse.
Heinrich Gaumer hilft nicht dabei, die Verhältnisse und Widersprüche aufzuklären. Auf die Fragen der FR zu Aras und den Bulgaren will er, wie er per E-Mail mitteilt, nicht antworten. Gaumer: „Selbst wenn ich Bulgaren beschäftigt hätte: Welches Problem haben Sie damit?"
Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit Lukas Gedziorowski