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München: Das Erbe von Georg Högel

Foto: Tanja Edel


Ein Haus voll mit Gemälden. Mit Aufzeichnungen. Briefen. Tagebüchern. Als Katharina Högel, 21 Jahre alt, begann, das gesamte Lebenswerk ihres Großvaters der Öffentlichkeit zu zeigen, bekommt auch sie einen besseren Zugang zu ihm. Vielleicht zum ersten Mal.


Es scheint, als könnten die Gegensätze nicht größer sein: Ein ehemaliger Marinesoldat im Zweiten Weltkrieg und eine junge Münchnerin, die gerne integriertes Design studieren würde. Katharina Högel hat sich auf die Spuren ihres Großvaters gemacht. Einem Mann, der ein Leben geführt hat, das sich von ihrem kaum stärker unterscheiden könnte. Doch die beiden haben eine Gemeinsamkeit - ihre Liebe zur Kunst.


Georg Högel, ein stattlicher Mann mit grau meliertem Haarkranz und großer halbrunder Brille, verstarb im Jahr 2014 - Katharina war damals gerade einmal 13 Jahre alt. Viel Zeit, um ihn wirklich kennenzulernen, blieb ihr also nicht. Doch er hinterließ ihr und ihrer Familie viel - sein gesamtes Lebenswerk, in Form von Gemälden, Skizzen, Tagebüchern, Briefen und Aufzeichnungen. Katharina macht diese für Außenstehende zugänglich. Doch nicht nur die Öffentlichkeit lernt den Künstler kennen, sondern auch Katharina. "Sich Tag ein, Tag aus mit dem Lebenswerk eines anderen zu beschäftigen, macht etwas mit einem. Unsere Beziehung war zu seinen Lebzeiten nie wirklich tief. Das könnte ich heute nicht mehr sagen", sagt die junge Frau.


Ein Treffen mit Katharina über Zoom - bedingt durch eine Quarantäne-Situation. Die kurzen blondierten Haare trägt sie geflochten nach hinten gebunden, angezogen hat sie ein kariertes Hemd. Sie lacht viel, wirkt ausgeglichen und gut gelaunt. Im Hintergrund erkennt man ordentlich strukturierte Regale und an den Wänden Pinnwände mit Übersichtsplänen und Fotos. Doch wie kommt es, dass sich ausgerechnet eine 21-Jährige dem Erbe ihres Großvaters verschreibt?


Sommer 2018 - Katharina hatte gerade die Hochschulreife erfolgreich erworben und bewarb sich für einen künstlerischen Studiengang. Doch es sollte anders kommen, sie erhielt eine Absage der Hochschule und stand nun an einem Punkt, an dem sie sich Gedanken machen musste, wie es weitergeht. "Ich musste Zeit überbrücken, bis ich meinen zweiten Bewerbungsversuch starten konnte. Die Wohnung meiner Großmutter wartete darauf, ausgeräumt zu werden. Dort befand sich die Hälfte der Kunst meines Großvaters. Also beschloss ich, mich darum zu kümmern, denn aus meiner Familie gab es leider auch niemanden, der Zeit dafür gehabt hätte. Ohne diese Absage hätte ich mich vermutlich nie so ausgiebig mit all dem beschäftigen können."


Wenn man Katharina zuhört, wie sie von ihrem Projekt erzählt, kann man gar nicht glauben, dass dieses mehr aus einer Art Notfallplan heraus entstanden ist. Sie wirkt voller Leidenschaft und Begeisterung, wenn sie von ihrer Arbeit spricht. Sie lacht viel und erzählt, wie sie zunächst planlos und überfordert an diese Aufgabe herangetreten ist und wie sich über die Jahre eine Struktur und vor allem eine tiefere Bindung zu ihrem Großvater entwickelt hat.


"Die Beziehung zu meinem Großvater war während meiner Kindheit schwierig, weshalb ich ihn immer schwer einschätzen konnte. Ich weiß noch, dass es ihm immer darum ging, etwas zu schaffen. Er stand sich selbst und anderen sehr kritisch gegenüber." Am liebsten zeichnete Georg Högel den Englischen Garten, vor allem den Monopteros und die Menschen im Park. Er ging dort spazieren und holte sich so stets neue Inspiration.

Selbst in den Jahren vor seinem Tod konnte er den Schaffensprozess nie ablegen. Er schrieb weiterhin Tagebücher und hielt so seine Gedanken und Erlebnisse fest. "Die letzten fünf Jahre seines Lebens war er sehr krank, man konnte seinen Gesundheitszustand auch anhand der Tagebuch-Einträge mitverfolgen. Seine Schrift wurde über die Jahre immer zittriger und unleserlicher."


Katharina wusste über ihren Großvater nicht viel, nur was ihr von anderen erzählt wurde. Er war verschlossen und sprach selten über seine Vergangenheit. Später sollte Katharina erfahren, dass der Grund hierfür Schuldgefühle waren, Schuldgefühle in Bezug auf seine Kriegsvergangenheit.


Georg Högel trat 1937 in die Marine ein. Er fuhr unter anderem als Oberfunkmaat in der U30, ein ehemaliges U-Boot der Deutschen, das für den Untergang des Passagierschiffes "Athenia" verantwortlich war. Von 1941 bis 1946 war er als Kriegsgefangener in Kanada. Während dieser Zeit malte er 315 Bilder, die auch noch heute im Thunder Bay Military Museum ausgestellt sind.


Während der Archivierung und der Digitalisierung des Erbes stieß Katharina auch auf Briefe und Tagebücher, die sie daraufhin las. Sie bekam ein neues Bild von ihrem Großvater. Es hatte ihm zu schaffen gemacht, Teil dieser Kriegsvergangenheit zu sein, seine Schuldgefühle waren enorm. In Georgs Biografie "Zwischen Grönland und Gibraltar" schrieb er unter anderem: "Falls jemand interessiert ist zu erfahren, wie viele Schiffe wir versenkt haben, will ich gleich darauf hinweisen, dass wir Tonnage versenken wollten, aber nicht Menschen!"

Katharinas Mutter berichtete, dass Georg Högel es oft bedauert hatte, nicht die Möglichkeit gehabt zu haben, mehr Schiffbrüchige aufzunehmen und ihnen zu helfen. Vereinzelt hätten sie dies zwar gemacht, aber auf einem U-Boot ist bekanntlich wenig Platz, weshalb dies nur bedingt möglich war.


Mittlerweile hat Katharina eine Website mit Onlineshop sowie eine digitale Ausstellung und Social-Media-Kanäle im Namen ihres Großvaters erstellt. Auch eine Ausstellung im "KKV Hansa Haus" ist für September geplant.


Hilfe hatte Katharina nur von ihrer besten Freundin. "Grundsätzlich mache ich alles allein, aber bei der Ausstellung, der Sortierung des Lagers sowie bei Digitalisierungsarbeiten war meine Freundin mir eine große Hilfe."


In herausfordernden Situationen nicht aufzugeben, ist für Katharina am härtesten. Oftmals ist ihre Arbeit sehr einsam und überfordernd, vor allem da sie durch die Verwaltung und den Verkauf der Kunstwerke auch an viele rechtliche Auflagen gebunden ist. "Ich stelle mir dann natürlich schon manchmal die Frage: Für wen mache ich das alles überhaupt? Aber dann stehe ich in meinem Lager und weiß, dass diese Bilder und Kriegsgeschichten nicht für immer nur für meine Familie sichtbar sein sollten."

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